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IPHOFEN
Sommerserie „Kunst geht fremd“, Folge 2
Von unserer Mitarbeiterin Katja Tschirwitz
 |  aktualisiert: 27.04.2023 02:06 Uhr

Die himmelblauen Wände des Ausstellungsraums garantieren dem Neuling im Knauf-Museum Iphofen einen effektvollen Auftritt: Georg Ehmigs feuerrotes „Bildnis der Gattin des Künstlers“ hängt hier im Rahmen der Kunsttauschaktion „Kunst geht fremd … und macht schön“ bis 6. November im großen griechischen Saal – zwischen Reliefrepliken antiker Tempel, darunter ein Amazonen-Sarkophag aus Zypern und die weltberühmte, lässig Sandalen schnürende Nike, die trotz ihrer Kopflosigkeit unverschämt erotisch wirkt.

Wie Museumsleiter Markus Mergenthaler anmerkt, geht das Knauf-Museum bereits zum dritten Mal fremd: „Ich schätze den entstandenen Austausch der Museen untereinander, der weit über den bloßen Objekttausch hinausgeht. Zwar kannte ich einige der Museumsleiter vom Sehen, aber vorher war ich hier in Iphofen doch auf einer Insel – und mit meiner Sammlung, die keine Kunst des 19. oder 20 Jahrhunderts beinhaltet, eher ein Exot. Nun kriegt man die Sorgen und Nöte der Kollegen mit.“

Im ersten Jahr war die Kunstaktion noch unbemerkt an ihm vorbeigerauscht, doch eine Schweinfurter Kollegin machte ihn auf das neue Projekt aufmerksam. Dieses Jahr verleiht Mergenthaler eine ägyptische Schmink- und Prunkpalette an die Kunsthalle Schweinfurt. Im Gegenzug hat er Georg Ehmigs 65 mal 100 Zentimeter großes Ölbild vom Museum im Kulturspeicher Würzburg entgegengenommen.

Auf der „Gottbegnadeten-Liste“

Georg Ehmig, geboren 1892 in Altona, verbrachte seine Kindheit in Schweinfurt. Dort absolvierte er eine Lehre als technischer Zeichner, bevor er unter anderem bei Ferdinand Spiegel in Berlin studierte und hier auch lebte. Nach einer kurzen Zeit in Osttirol kehrte er 1947 nach Unterfranken zurück, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1968 in Würzburg wohnte. Wenig rühmlich ist seine Rolle als Lieferant linientreuer Kunst für die nationalsozialistischen Machthaber. Ehmig stand auf Hitlers „Gottbegnadeten-Liste“ und war regelmäßig auf der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ präsent.

Von diesem Sündenfall ist 1927, im Entstehungsjahr des Iphöfer Tauschbilds, noch nichts zu ahnen. Georg Ehmig und die Künstlerin Martha Genkel, sie zwei Jahre älter als er, hatten gerade geheiratet. Auf seinem „Bildnis der Gattin des Künstlers“ porträtiert Ehmig die frisch Angetraute nach dem Bad – es darf somit als Hochzeitsgeschenk verstanden werden. Auf dem Bild ist die jugendlich hübsche Frau vermutlich 37 Jahre alt. Nicht nur Marthas roter Bademantel mit seiner grün-rosa Blütenstickerei und den schwarzen Kontrastsäumen springt hier ins Auge. Vor allem ihr wasserblauer, unverwandter Blick unter dem Handtuchturban hervor ist es, der den Betrachter quasi ins Bild saugt: Ruhig und sachlich, fast kühl ruht er auf dem Gegenüber.

Viel Geheimnis, viel Ungesagtes

Gerade diese Neutralität wirft beim Betrachter eine Menge von Fragen und Interpretationsmöglichkeiten auf: Hat ihr Blick etwas Abschätziges? Ist Martha traurig? Oder nach dem Bad einfach nur müde? Auch Identität und Absicht der im Hintergrund vorbeihuschenden Brünetten bleiben unklar. Sie trägt ein Tablett mit petrolblauem Geschirr, das die Farbe ihres Rocks aufgreift. In diesem Bild liegt viel Geheimnis, viel Ungesagtes.

Die quasi ausdruckslose Mimik der Porträtierten geht Hand in Hand mit Ehmigs glatter, flächiger Malweise, die charakteristisch ist für den Stil der Neuen Sachlichkeit. Die Zimmerumgebung wird schnörkellos und detailgenau dargestellt: Marthas Wangen sind ebenso rosig wie ihre makellos gepflegten Fingernägel. Das herrenlose Handtuch im Hintergrund wirft perfekte Falten. Und das Zimmerthermometer zeigt exakt 24 Grad, die ideale Lufttemperatur für eine Dame, die gerade dem Bad entstiegen ist.

Gegenbewegung zur Expressivität

Die Neue Sachlichkeit, eine betont nüchterne, am rein Sichtbaren orientierte Kunstrichtung, etablierte sich nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden – als Gegenreaktion auf die überbordende Expressivität vorangegangener Strömungen. Nicht selten haftet den Bildern etwas Düster-Melancholisches an, es gibt aber auch zeitkritische, boshafte Varianten, etwa bei Otto Dix und George Grosz. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 fiel die Stilrichtung der Durchsetzung einer „Deutschen Kunst“ zum Opfer, der sich Otto Ehmig bald anpasste. Zu Ehmigs regimetreuen Gemälden gehört auch das Bild „Weinbergsarbeiterin“ von 1939, auf dem er eine wohlgeformte, vor Gesundheit strotzende junge Frau vor weißblauem Himmel posieren lässt.

Die Stadt Würzburg erwarb das Bild 1962, heute lagert es im Depot des Kulturspeichers.

„So etwas kann man nicht unkommentiert ausstellen“, erläutert Nico Kirchberger, stellvertretender Direktor des Museums im Kulturspeicher Würzburg. Ehmigs Atelier und viele seiner Arbeiten wurden 1943/44 in Berlin zerstört, woraufhin er versuchte, einige dieser Bilder wieder nachzumalen. Dass die gezeigten Stoffe auf Georg Ehmigs „Bildnis der Gattin des Künstlers“ bestens mit den wehenden und Falten werfenden Mänteln auf den griechischen Reliefs korrespondieren, dürfte dem aufmerksamen Betrachter nicht entgehen. Das Ensemble wirft jedoch auch einen nachdenklichen Blick auf das Weibliche in der Kunst, das ja oft mit Schönheit gleichgesetzt wird: Die Kunst ist weiblich, Musen sind in der Regel weiblich.

Umringt von Amazonen

Hier im großen griechischen Saal kämpfen Amazonen – das sind grimmige Emanzen aus der griechischen Sagenwelt – gegen männliche Griechen und veranstalten ein blutiges Gemetzel. Sie wollen die Männer vernichten und eine Welt der Frauen erschaffen. Ein bisschen ähnlich, wenn auch weniger martialisch, gehe es gerade in der unterfränkischen Kulturlandschaft zu, sagt Mergenthaler schmunzelnd: „Unsere Museumslandschaft ist immer fester in weiblicher Hand. Nur vier der beteiligten Häuser werden momentan von Männern geleitet, acht von Frauen.“ Dass sowohl die Produktion von Kunst (siehe Ehmigs Bild, das zwar mit weiblicher Schönheit punktet, aber von einen Mann gemalt wurde) als auch das künstlerische Genie lange Zeit nur Männern zugebilligt wurden, steht dagegen auf einem anderen Blatt.

In einer früheren Version dieses Artikels war an einigen Stellen auch von "Otto" Ehmig die Rede - es muss natürlich durchgängig Georg Ehmig heißen.

Kunst geht fremd ... und macht schön

Zwölf Museen beteiligen sich dieses Jahr an den künstlerischen Seitensprüngen, die bis 6. November ausgewählte Objekte kreuz und quer durch Unterfranken reisen lassen. Unter dem Motto „Kunst geht fremd … und macht schön“ verlassen zwölf Kunstwerke ihr angestammtes Museum, um sich ein neues, temporäres Zuhause zu suchen.

In ungewohnter Umgebung sollen sie ihre Betrachter für ein paar Monate irritieren, provozieren und zu intensiverem Sehen anregen: Was ist Schönheit? In unserer Sommerserie stellen wir jedes der zwölf Kunstwerke vor.

Eine Broschüre führt durch die diesjährigen Seitensprünge, angenehm schmal und dünn und somit geeignet für jede Hand- und Jackentasche. Auf den letzten Seiten findet sich eine Liste aller Museen mit Öffnungszeiten, Adressen und Telefonnummern, begleitenden Veranstaltungen und eine Unterfrankenkarte mit allen teilnehmenden Ortschaften. Homepage zur Aktion: www.kunst-geht-fremd.de

Das Knauf-Museum Iphofen beherbergt eine einmalige Reliefsammlung alter Weltkulturen von Mesopotamien über Ägypten, Rom und Griechenland bis ins Alte Amerika in über 200 Repliken. Außerdem bietet es regelmäßig Sonderausstellungen an. Knauf-Museum Iphofen, Am Marktplatz, Tel. (0 93 23) 31 528, Öffnungszeiten: Di.–Sa. 10–17 Uhr, So. 11–17 Uhr. www.knauf.museum.de

 
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