Reiner Hofmann hat seiner Mutter versprochen, dass sie zu Hause sterben darf. Er hat Wort gehalten. 16 Jahre lang pflegten die Hofmanns aus Eltmann im Landkreis Haßberge die kranke Familienangehörige – bis zu ihrem Tod im September 2016. "Wir dachten, nun würden wir wieder mehr Zeit für uns haben, um gemeinsam Dinge zu erleben", erzählt Reiner Hofmann. Der 60-Jährige legt seine Hand auf die von Ehefrau Edeltraud. Sie sitzt neben ihm am Küchentisch, den leeren Blick auf das volle Glas Wasser vor ihr gerichtet. "Manchmal trinkt sie nicht", sagt Hofmann.
Alles kam anders.
Vor wenigen Monaten musste Reiner Hofmann Edeltraud das gleiche Versprechen geben wie einst seiner Mutter. Inzwischen ist seine 58-jährige Ehefrau ein Pflegefall. Sie hat Krebs. Der Rollator steht neben dem Tisch. Zum Laufen fehlt die Kraft. Auch das Sprechen fällt schwer. "Für uns ist es selbstverständlich, dass wir Mama nicht ins Heim stecken", sagt Sabrina Hofmann. Die 29-jährige Tochter kümmert sich ebenfalls um ihre kranke Mutter, wie schon ihr Vater um die seine.
Wie lange Edeltraud Hofmann noch leben wird, weiß niemand
Die Hofmanns sind damit nicht alleine. Nach Schätzungen des Sozialverbands VdK gibt es in Bayern mindestens 750.000 Angehörige, die ein Familienmitglied zu Hause umsorgen. In Unterfranken zählte das Landesamt für Statistik im Jahr 2019 rund 59.000 Pflegebedürftige. 21 Prozent von ihnen waren vollstationär in Heimen untergebracht, alle anderen – immerhin fast 36.500 Menschen – wurden auch in den eigenen vier Wänden versorgt. Tendenz steigend. Immer häufiger erfüllt sich der Wunsch Vieler, die letzten Lebensjahre zu Hause im Kreise der Familie zu verbringen – und auch dort zu sterben.
Wie lange Edeltraud Hofmann noch leben wird, weiß niemand. Nicht sie, nicht ihre Familie, nicht die Ärzte. "Ziemlich sicher ist nur, dass die Hoffnung auf Heilung verschwindend gering ist", sagt Reiner Hofmann.
Der Krebs schien besiegt – und kehrte doch wieder zurück
Vor zehn Jahren, als die Leidensgeschichte seiner Frau begann, sei das noch anders gewesen, erzählt er. Damals habe Edeltraut etwas Festes in ihrer Brust ertastet. Einen Knoten. Die anschließende Mammographie, ein radiologisches Diagnostikverfahren, bestätigte die Befürchtung: Ein bösartiger Tumor hatte ihre Brust befallen und bereits bis in Lymphdrüsen gestreut.
Ein medizinischer Marathon begann, mit Operationen, Chemotherapien, Bestrahlungen, er zog sich über Jahre. Dann war der Tumor verschwunden, die Krankheit besiegt. Zumindest schien es so, auch die Nachsorgeuntersuchungen legten das nahe.
Im März 2021 schließlich, knapp ein Jahrzehnt nach der ersten Krebsdiagnose, begannen die stechenden Schmerzen im Kopf. Sechs Monate dauerte es, bis Ärzte die Metastasen im Gehirn von Edeltraud Hofmann endlich fanden. Die Krankheit war zurück, heftiger und gnadenloser als zuvor.
"Manchmal schaut sie mich an - und blickt durch mich hindurch. Dann frage ich mich: Sieht sie überhaupt, dass ich noch da bin?", sagt Reiner Hofmann. Er hält noch immer die Hand seiner Frau, die neben ihm sitzt und schweigt. Die neurologischen Ausfälle sind beträchtlich.
Doch die Rückkehr der Krankheit hat die Familie noch enger zusammenrücken lassen. Sabrina Hofmann wohnt inzwischen im Erdgeschoss des Elternhauses, ihr Vater im ersten Stock. Die Mutter hat auf beiden Etagen ihr eigenes Zimmer. Hier leben die drei ihren Alltag, der ohne Abstimmung und Planung nicht funktionieren würde. Den Takt gibt stets der Krebs vor.
Pflege zu Hause neben Vollzeit-Beruf: "Viel Verständnis nötig"
Es ist seltener die Krankheit, die pflegenden Angehörigen die größten Probleme bereitet. Häufiger sind es die Rahmenbedingungen. Die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf etwa. Beide – Vater und Tochter – arbeiten in Vollzeit: Sabrina Hofmann meist tagsüber im Büro, Reiner Hofmann oft nachts im Schichtdienst, der um 23 Uhr beginnt und um 6 Uhr endet.
"Ich bin Etappenschläfer. Ich kann das morgens, mittags oder abends nachholen, meinem Körper ist das egal", sagt der 60-Jährige. So bleibe die Zeit, all das zu erledigen, was am Tag anfällt: Behördengänge etwa, oder Apotheken- und Arztbesuche. Auch Behandlungstermine in der Onkologie, um die Tumore in Edeltraud Hofmanns Kopf am Wachstum zu hindern.
"Da braucht man ein verständnisvolles Umfeld – privat wie beruflich", sagt Sabrina Hofmann. "Das haben wir." Ihr Tag beginnt bereits um 5 Uhr in der Früh. "Ich füttere die Tiere – Hühner, Hunde, Katze –, gieße den Garten, erledige den Haushalt." Es folgt eine halbe Stunde Sport, "als Ausgleich", erzählt die 29-Jährige."Dann sehe ich nach Mama, wechsle die Windel, richte das Frühstück, verabreiche Medikamente." Der Arbeitgeber gewährt Sabrina Hofmann zwei Tage Homeoffice pro Woche. Darüber hinaus pendelt sie, 45 Minuten einfach. Spätestens um 9 Uhr muss sie das Haus verlassen. Dann kommt der Sozialdienst.
Bürotage seien lang und besonders anstrengend. "Aber es ist schön, auch mal andere Menschen zu sehen", sagt sie. Das passiere selten in der letzten Zeit. Nicht nur die Freunde, auch der Partner müsse zurückstecken. Wenn sie abends nach Hause kommt, meist nach 19 Uhr, steht an, was sich tagsüber angesammelt hat: aufräumen, Bettwäsche und Windeln wechseln – schlafen.
So vergehen die Tage, die Wochen, die Monate. Zeit zum Nachdenken über die neue Rolle bleibe ihr nicht. "Man funktioniert einfach", sagt Sabrina Hofmann. "Wenn wir uns gegenseitig nicht hätten, würde das nicht klappen." Sie blickt zu ihrem Vater.
"Unnötige Kämpfe" kosten viel Energie und Nerven
Die Familie sei schon mehrmals der Verzweiflung nahe gewesen, beginnt Reiner Hofmann zu erzählen. "Nicht wegen Edeltraud, sondern wegen der Bürokratie. Ich würde mir wünschen, dass alles unkomplizierter vonstatten ginge, ohne langen Wartezeiten und ohne Widerspruch einlegen zu müssen."
Wie etwa bei der telefonischen Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) während der Pandemie. Der habe Edeltraud Hofmann Pflegegrad 2 zugewiesen, die zweitniedrigste Stufe. "Unsere Ärzte und Pfleger haben gesagt, dass das falsch ist", sagt der 60-Jährige. Die Familie legte Einspruch ein, der MDK lenkte ein. Nun hat Edeltraud Hofmann Pflegegrad 4, die zweithöchste Stufe. "Diese unnötigen Kämpfe kosten unglaublich viel Energie und Nerven", sagt Rainer Hofmann. Nur ein Beispiel von vielen, in denen das System auch Fehler produziert.
Inzwischen ist es Abend. Reiner Hofmann kümmert sich um die Medikamente seiner Frau. Die Liste ist lang. Drei Seiten Papier beschreiben, was die 58-Jährige einnehmen muss. "Da ist alles dabei", sagt Hofmann. "Etwas gegen Schmerzen, Atemnot, gegen Wassereinlagerungen, Depressionen und ein Blutverdünner." Vorsichtig befüllt er die Dispenser mit Tabletten. "Manchmal denke ich, sie überlebt das Jahr nicht - und dann blüht sie plötzlich wieder auf." Wie an diesem Abend, an dem der Glanz in die Augen zurückkehrt. Die Familie sitzt am Tisch und lacht, fast als hätte es den Krebs nie gegeben.
"Ich bin mir sicher, Edeltraud hätte für mich das Gleiche getan", sagt Reiner Hofmann und sieht zu ihr hinüber. "Ja!", sagt seine Frau entschieden.
Meinen allergrößten Respekt für Menschen die Pflege Zuhause bewerkstelligen können...
ein Heim kann vielleicht das medizinische besser aber das emotionale und zwischenmenschliche kann eine Pflege im Heim niemals ersetzen...
Meinen allergrößten Respekt für Menschen die Pflege Zuhause bewerkstelligen können...
ein Heim kann vielleicht das medizinische besser aber das emotionale und zwischenmenschliche kann eine Pflege im Heim niemals ersetzen...
Letztlich kommt es immer auf den Einzelfall an, welche Lösung die beste ist. Heime als die von vornherein schlechtere Option zu verteufeln, ist jedenfalls kein guter Weg.