Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will in Bayern die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien bis 2030 verdoppeln – auf dann etwa 80 Terawattstunden (TWh). Damit wäre der aktuelle bayerische Strombedarf von zuletzt bis zu 85 TWh zumindest rechnerisch weitgehend gedeckt.
Gelingen soll dies mit dem Ausbau aller erneuerbaren Stromquellen. Unter anderem soll die umstrittene 10-H-Abstandsregel für Windräder gelockert werden. Damit könnten laut Söder mehr als 800 neue Windkraftanlagen in Bayern möglich werden. Aktuell gibt es gut 1100 Windräder im Freistaat.
Doch ist Söders Energieplan wirklich realistisch? Und wie viele neue Wasserkraftwerke, Solarfelder und Windräder sind notwendig, um die erneuerbare Stromerzeugung zu verdoppeln? Die Antworten auf die wichtigsten Fragen:
Können mit den Lockerungen von 10-H tatsächlich 800 neue Windräder entstehen?
Anstatt der seit 2014 in Bayern geltende Regel, dass ein Windrad mindestens die zehnfache Höhe Abstand zur nächsten Wohnbebauung haben muss, soll in für Windräder geeigneten Vorranggebieten nur noch pauschal ein Abstand von 1000 Metern gelten – unabhängig von der Höhe. Auch im Wald oder bei Gewerbegebieten sollen 1000 Meter Abstand reichen.
Doch ist das genug, um die von Söder angekündigten 800 Windräder zu bauen? Bayernweit gibt es aktuell gut 24.000 Hektar ausgewiesene Vorranggebiete für Windkraft. Davon sind aber laut Wirtschaftsministerium nur noch rund 14.800 Hektar für neue Windkraftanlagen frei verfügbar.
Zudem gibt es Vorranggebiete, die weniger als 1000 Meter Abstand zur Wohnbebauung haben. Laut Wirtschaftsministerium werden deshalb trotz der Lockerung "auf rund 29 Prozent der Flächen in den Vorranggebieten weiterhin Beschränkungen durch 10-H bestehen bleiben" – also auf rund 7000 Hektar.
Wie viele Windräder könnten auf den verfügbaren Vorranggebieten entstehen?
Weil zudem nach einer Studie des Umweltbundesamtes nur rund 70 Prozent der verfügbaren Flächen tatsächlich genutzt werden können, könnten laut dem Grünen-Energieexperte Martin Stümpfig letztlich nur gut 7000 Hektar der Vorrangflächen von der 10-H-Lockerung profitieren – also etwa 0,1 Prozent der bayerischen Landesfläche. Auf dieser Fläche könnten, so Stümpfig, im besten Fall 260 Windräder der Fünf-MW-Klasse gebaut werden – die pro Jahr rund 3,1 TWh erzeugen.
Das Wirtschaftsministerium erklärt dazu auf Nachfrage, für die Anzahl neuer Windräder durch die geplante 10-H-Lockerung könnten derzeit nur "Potenziale abgeschätzt" werden. "Eine verfeinerte Abschätzung" setze "die nähere Ausformulierung" des beschlossenen Energieplans voraus. Diese liegt aber bislang nicht vor.
Laut Söder sind bereits 0,7 Prozent der Landesfläche für Windkraft reserviert. Stimmt das?
Die 0,7 Prozent ergeben sich aus der Addition der bestehenden Vorranggebiete plus der sogenannten Vorbehaltsgebiete plus der von Kommunen in ihrer eigenen Bauleitplanung für Windenergie ausgewiesenen Flächen. Diese Zahl ist wichtig, weil Bundesklimaminister Robert Habeck (Grüne) überall in Deutschland zwei Prozent als Zielmarke einfordern will.
Allerdings lehnt die CSU eine 10-H-Lockerung für die rund 12.000 Hektar Vorbehaltsgebiete in Bayern bislang ab. Laut Wirtschaftsministerium wären davon ohnehin nur noch rund 4000 Hektar für neue Windräder frei verfügbar. Zudem sind ausgewiesene Vorrang- und Vorbehaltsgebiete und die kommunalen Windkraftflächen teilweise identisch – worauf die Staatsregierung selbst hinweist. Die tatsächlich für Windkraft zur Verfügung stehende Landesfläche dürfte aktuell also deutlich kleiner sein als 0,7 Prozent.
Fest steht hingegen, dass die regionalen Unterschiede der ausgewiesenen Windkraft-Flächen sehr groß sind: Während die Regionen Main-Rhön (1,64 Prozent), Würzburg (1,19 Prozent) oder Mittelfranken (1,29 Prozent) dem Zwei-Prozent-Ziel bereits recht nahe kommen, sind etwa im Allgäu (0,1 Prozent) oder im oberbayerischen Oberland (0,24 Prozent) nur geringe Flächen ausgewiesen. Teile Oberbayerns, der Oberpfalz sowie die Region Aschaffenburg haben bisher sogar gar keine Flächen für Windkraft ausgewiesen.
Müssen auch in Unterfranken neue Flächen für Windkraft ausgewiesen werden?
Laut Wirtschaftsministerium liegt es bei den einzelnen Planungsregionen, welche Flächen für Windkraft neu ausgewiesen werden. Der Auftrag zur Neuausweisung betreffe aber alle Regionen – auch die mit bereits hohen Windkraft-Quoten.
Ob es eine rechtliche Verpflichtung geben wird, dass künftig alle Regionen zwei Prozent ihrer Fläche für Windkraft ausweisen müssen, ist offen: In den bisherigen Vorlagen ist hier nur unbestimmt von "ausreichend Flächen" die Rede.
Im Wald sollen bis zu 500 neue Windräder entstehen. Ist das realistisch?
Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hofft hier auf 100 neue Standorte vor allem im Staatswald mit jeweils fünf Windkraftanlagen. Eine Experten-Studie des Wuppertal-Institut im Auftrag der Grünen rechnet jedoch auf Basis früherer Erfahrungswerte nur mit im Schnitt drei Windrädern pro Standort.
Zudem könnten erfahrungsgemäß nur rund 60 Prozent der Vorhaben tatsächlich realisiert werden. Damit wären im Staatswald aber nur 180 neue Windräder möglich – was einer Stromerzeugung von 2,2 TWh pro Jahr entspricht.
Wie viel Fläche bräuchte die angekündigte Verdreifachung von Solarstrom?
Um eine Verdoppelung des grünen Stroms zu erreichen, setzt Söder vor allem auf einen Ausbau der Sonnenenergie: Hier soll die Stromerzeugung in nur acht Jahren von aktuell rund 13 auf bis zu 39 TWh steigen. Zum Vergleich: Von 2015 bis 2020 wuchs die Strommenge aus Solarkraft in Bayern um rund zwei TWh.
Angekündigt ist in Bayern bisher jedoch nur eine Solardachpflicht für neue Gewerbebauten. Eine Solardachpflicht für neue Privathäuser scheiterte dagegen bislang vor allem an den Freien Wählern.
Selbst bei einer besseren Förderung privater Photovoltaik-Anlagen wäre der angekündigte Ausbau ohne große Freiflächen-Anlagen aber unmöglich. Grünen-Experte Stümpfig rechnet hier für eine PV-Stromerzeugung von 20 TWh mit einem Flächenbedarf von rund 18.000 Hektar oder 0,25 Prozent der Landesfläche.
Ist der Ausbau von Strom aus Wasserkraft und Biogas um je 15 Prozent realistisch?
Laut Söder soll die Stromerzeugung aus Wasserkraft und Biogas in Bayern bis 2030 jeweils um rund 15 Prozent steigen. Aktuell ist die Wasserkraft mit gut 12,4 TWh die zweitwichtigste grüne Stromquelle. Allerdings ist die erzeugte Strommenge zuletzt sogar leicht gesunken – unter anderem wegen sinkender Pegel und neuer Fischtreppen in den Flüssen.
Ein Zuwachs von 15 Prozent oder rund 1,8 TWh entspricht in etwa der Stromerzeugung, die aktuell 44 größere Wasserkraftwerke in Bayern mit einer Leistung zwischen fünf und zehn MW erreichen. Ob ein Zubau in dieser Größenordnung realisierbar ist, ist umstritten – zumal die geeigneten Fließgewässer begrenzt sind.
Bei Biomasse scheint ein Ausbau einfacher. Allerdings dürfte hier eine Einspeisung ins Gasnetz als Ersatz von Erdgas für die Erzeuger lukrativer werden – was das Potenzial zur Biogas-Verstromung reduzieren könnte. Zudem werden heute bereits über zehn Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche für den Anbau von Energiepflanzen verwendet.
Geht Söders Rechnung zur Verdoppelung des grünen Stroms in Bayern auf?
Sollten trotz aller Hindernisse die ambitionierten Ausbauziele bei Solar, Wasserkraft und Bioenergie bis 2030 tatsächlich erreicht werden, könnten aus diesen Quellen mehr als 60 TWh Strom erzeugt werden. Die restlichen 20 TWh zur angestrebten Verdoppelung der "grünen" Strommenge müssten jedoch vor allem aus Windkraft kommen – was mehr als eine Vervierfachung der zuletzt 4,6 TWh aus Windenergie voraussetzen würde. Um diese Lücke zu schließen, bräuchte man nach einer Rechnung der Grünen aber nicht 800 neue Windräder, sondern bis zu 1200 neue Anlagen.
Die Bundesregierung geht zudem davon aus, dass der Stromverbrauch bis 2030 um rund 20 Prozent steigen könnte – was in Bayern einem Anstieg auf rund 100 TWh entspräche. Damit bliebe in Bayern selbst beim Erreichen des Verdoppelungsziels eine Stromlücke von etwa 20 TWh. Das Industrieland Bayern wäre damit weiter stark von Stromimporten abhängig – mit allen damit verbundenen Risiken für den Strompreis und die Versorgungssicherheit.
https://www.sueddeutsche.de/bayern/bayern-isar-2-atomkraftwerk-laufzeitverlaengerung-soeder-1.5595796
Die Umsetzung von Konzepten zur Stromspeicherung bräuchte es auch noch. Nur über Wasserstoff zu reden reicht nicht, es muss gehandelt werden. Wenn die Privatwirtschaft nicht will, dann muss sie halt dazu gezwungen werden.
Überschüssiger Strom lässt sich übrigens in Steinen sehr gut als Wärme speichern. Nachtspeicherheizung nannte man das als überzählige Kohle- und Atomkraftwerke in der Nacht weiterlaufen mussten weil nicht abschaltbar. Das könnte man als Windspeicherofen wiederbeleben.
Die unter 45-jährigen haben das mittlerweile auch gemerkt.
https://www.bundeswahlleiter.de/dam/jcr/8ad0ca1f-a037-48f8-b9f4-b599dd380f02/btw21_heft4.pdf