
Sind die Würzburg Baskets ohne ihren MVP Otis Livingston II wirklich 49 Punkte schlechter, als mit ihm? Denn Spiel eins der Viertelfinal-Serie in den Play-offs der Basketball-Bundesliga gegen ratiopharm Ulm haten die Würzburger am Samstag mit 13 Punkten (78:65) gewonnen. Doch knapp drei Minuten vor Schluss hatte sich Livingston II am Innenband verletzt. Die Saison ist für ihn beendet und die Baskets kassierten am Montag im zweiten Spiel eine 64:100-Klatsche in Ulm. Nun steht es in der Serie 1:1 vor den beiden Heimspielen in der tectake-Arena am Mittwoch (20.30 Uhr) und Freitag (18.30 Uhr).
Beantworten kann man die eingangs gestellte Frage aktuell noch nicht, aber es deutet vieles darauf hin, dass Livingston II alleine nicht fast 50 Punkte Unterschied macht. "Ich habe das Spiel irgendwann abgeschenkt", sagte Würzburgs Trainer Sasa Filipovski am Montag bei der Pressekonferenz. Etwa zur Mitte des dritten Viertels hatte er erkannt, dass gegen die Ulmer in dieser Form nichts zu holen sein wird. "Auch mit Otis hätten wir vielleicht am Montag verloren", gab Sportdirektor Kreso Loncar zu. Also schonte Filipovski die Leistungsträger und konzentrierte sich in seinen Auszeiten darauf, seinen Spielern klarzumachen, was sie aus dieser Partie lernen können.
Der Marathon wurde zum Bergmarathon
"Denn Play-off-Serien sind ein Marathon und es ist egal, ob man mit einem Punkt oder mit 40 verliert", erklärte der Slowene. Um im Bild zu bleiben: Aus dem Marathon ist ohne Livingston II ein Bergmarathon geworden. Die Bedeutung des nun verletzten US-Amerikaners lässt sich gut an einer Statistik festmachen. Spieler, die in der Bundesliga häufig den Ball in der Hand haben, laufen im Schnitt zwölf Mal pro Spiel ein "Pick and Roll", es ist die am häufigsten verwendete Taktik im modernen Basketball.
Livingston II hat in der bisherigen Saison 22 Mal pro Spiel das "Pick and Roll" gelaufen, wie das Fachmagazin BIG - Basketball in Germany am Dienstag in seinem Podcast erklärte. Aus diesen Situationen entstanden jeweils im Schnitt 1,2 Punkte für die Baskets, die nicht immer direkt Livingston II erzielt hat, aber möglicherweise einer seiner Mitspieler nach einem Pass des Würzburger Aufbauspielers. Ein herausragender Wert, der die Wahl Livingstons II zum MVP und besten Offensivspieler nochmal bestätigt.
Verständnis für Bess' Ausraster
Und die zeigt, welche Qualitäten nun fehlen, denn Darius Perry und Isaiah Washington haben ihre Stärken eher in anderen Bereichen. Einer, dem die Pässe von Livingston II fehlten, war am Montag Javon Bess. Der beste Verteidiger der Liga erwischte einen schlechten Tag und blieb ohne Punkte, nachdem er am Samstag noch elf Punkte erzielt und drei Dreier verwandelt hatte.
Während einer Filipovski-Auszeit im Schlussviertel ließ Bess seiner Enttäuschung freien Lauf und beschwerte sich über die fehlenden Anspiele. "Die Spieler sind ehrgeizig, was gut ist, aber sie müssen lernen, wann ein Spiel verloren ist", sagte Filipovski dazu am Montag.
Filipovski will den Druck von den Aufbauspielern nehmen
Klingt so, als glaube Filipovski noch an ein Weiterkommen. Nicht umsonst trug er beim Training am Dienstag das #WUEbelieve-T-Shirt. Ein Signal an seine Mannschaft, weiter an sich zu glauben. "Ich lasse es nicht zu, dass mein Kopf an Dinge wie Urlaub oder ein Ausscheiden denkt", sagt er. "Wir Trainer geben niemals auf."
Deshalb versuchte Filipovski beim Training am Dienstag, Dinge zu verändern. "Sie machen viel Druck auf unsere Aufbauspieler. Da haben wir ein paar Dinge geändert", sagte er im Anschluss. Gegen diese druckvolle Verteidigung, die schon in der Würzburger Hälfte beginnt, gibt es zwei Möglichkeiten. Erfahrene Aufbauspieler können mit dem Druck umgehen, behalten die Ruhe und schaffen es trotzdem, in die Angriffssysteme zu kommen. Würzburg verfügt mit Perry, Washington und Julius Böhmer aber nicht über besonders viel Erfahrung auf dieser Position.
Filipovski kritisiert die Regelauslegung in der BBL
Deshalb müssen die Würzburger den Druck der Ulmer Verteidiger schlagen, also an ihnen vorbeiziehen. Im Anschluss muss die Raumaufteilung stimmen. Die anderen Spieler dürfen nicht zu nahe beieinander stehen oder damit beschäftigt sein, einander frei zu blocken.
Filipovski hat sowieso ein grundsätzliches Problem damit, wie in der BBL verteidigt wird. "Nur in Deutschland verteidigen große athletische Flügelspieler wie Ulms Karim Jallow oder L.J. Figueroa einen kleinen Aufbauspieler", sagte er. In anderen Ländern würden die Schiedsrichter diese physische Spielweise mit Fouls direkt bestrafen.
In Deutschland führe es zu Verletzungen von Schlüsselspielern, meint Filipovski. Mit Livingston II und Vechtas Tommy Kuhse sind die beiden besten Offensiv-Spieler in den Play-offs nun verletzt. "Aber ihretwegen kommen die Zuschauer in die Halle, nicht wegen der Verteidiger", kritisiert Filipovski. Zumindest bei Livingstons II Verletzung war mit Figueroa einer jener athletischen Flügelspieler beteiligt.