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RUDERN
Präsident des Akademischen Ruderclubs: Herr Holz, wird Leichtgewichtsrudern in Würzburg bald aussterben?
In Paris ist Leichtgewichtsrudern letztmals olympisch. Andreas Holz befürchtet weitreichende Folgen für Athleten und Vereine – gar ein Fitnessstudio auf dem Wasser.
Andreas Holz, Präsident des Akademischen Ruderclubs Würzburg, befürchtet, dass sich der Rudersport zum Fitnessstudio auf dem Wasser entwickeln muss.
Foto: Silvia Gralla | Andreas Holz, Präsident des Akademischen Ruderclubs Würzburg, befürchtet, dass sich der Rudersport zum Fitnessstudio auf dem Wasser entwickeln muss.
Natalie Greß
 |  aktualisiert: 08.06.2024 02:35 Uhr

Kein bayerischer Ruderverein hat in den vergangenen Jahren so viele Sportlerinnen und Sportler zu Weltcups und Weltmeisterschaften geschickt wie der Akademische Ruderclub Würzburg (ARCW). Mit rund 770 Menschen ist er der mitgliederstärkste Ruderverein im Freistaat und der sechstgrößte bundesweit. Präsident Andreas Holz (61) hat in der Mergentheimer Straße ein Leistungszentrum für Leichtgewichtsrudern etabliert und trainiert dort aktuell fünf Athletinnen und Athleten aus dem (erweiterten) Nationalkader. Die Aushängeschilder: Joachim Agne und Fabio Kress, die regelmäßig Medaillen von internationalen Regatten mitbringen. Gut möglich, dass damit bald Schluss ist. 

Bei den Olympischen Spielen in Paris wird Leichtgewichtsrudern zum letzten Mal auf dem Programm stehen. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) unter seinem in Würzburg geborenen Präsidenten Thomas Bach hat entschieden, die Disziplin, die erst  1996 olympisch geworden ist und bereits bei den vergangenen Spielen in Tokio auf die Doppelzweier reduziert worden war, zu streichen und ab 2028 durch Beach Sprint Rowing zu ersetzten, eine Disziplin des Coastal Rowing (Küstenrudern).

Andreas Holz erwartet dadurch nicht nur tiefgreifende Veränderungen der Sportart, die in Deutschland eine 150-jährige Tradition hat. Er erwartet weitreichende Konsequenzen für die Rudervereine in Deutschland, in denen mehr als die Hälfte aller Mitglieder im Leichtgewicht aktiv sind. Der ARCW-Präsident sagt sogar: "Ich befürchte, dass Leichtgewichtsrudern aussterben wird."

Herr Holz, warum ist es so wichtig für eine Disziplin wie Leichtgewichtsrudern, bei Olympia vertreten zu sein?

Andreas Holz: In Deutschland werden olympische Disziplinen in der Regel vom Bundesinnenministerium (BMI) gefördert. In den vergangen zwei Jahren konnte ich dadurch unsere Zwillinge Marion und Johanna Reichardt im leichten Doppelzweier auf Kosten des Deutschen Ruderverbandes (DRV) zu Rennen schicken, der das Geld vom BMI dafür bekam. Nach Paris fällt Leichtgewichtsrudern aus der Förderung heraus. Die Vereine müssen die enormen Kosten für ihre Kaderathletinnen und -athleten und Trainer wie mich dann selbst stemmen – so es überhaupt noch internationale Wettbewerbe geben wird.

Was kostet einen Verein wie den ARCW ein A-Klasse-Athlet bzw. eine -Athletin pro Jahr? 

Holz: Wenn man von Starts bei zwei der drei Weltcups, die je rund 3000 Euro kosten, und Teilnahmen an der Europa- und Weltmeisterschaft ausgeht, für die je 3000 bis 4000 Euro anfallen, etwa 16.000 Euro inklusive Trainingslager. Bei einer WM in Kanada wie dieses Jahr im August fallen rund 5800 Euro pro Person an. Die Kosten für neue Boote kommen alle zwei Jahre obendrauf. Für einen Einer kann man mindestens 15.000 Euro veranschlagen, für einen Vierer nicht unter 32.000 Euro. 

Abgesehen von den Kosten: Welche Auswirkungen des absehbaren IOC-Beschlusses, Leichtgewichtsrudern aus dem olympischen Programm zu streichen, sind bereits jetzt spürbar?

Holz: Vor zehn Jahren haben bei internationalen Regatten noch in allen leichten Bootklassen Rennen stattgefunden. Das ist schon längst nicht mehr so. Immer weniger Nationen melden immer weniger Boote bei Weltcups, Europa- und Weltmeisterschaften. In Europa fördern im Prinzip nur noch zwei Nationen Leichtgewichtsrudern: Deutschland und Italien. Es kann also sein, dass bei einer EM nur noch Boote aus diesen beiden Ländern gegeneinander antreten. Das ist ein Witz! Bei der WM 2022 waren im Vierer fünf Boote gemeldet, 2023 waren es nur noch drei. Wenn in Kanada weniger als fünf Boote gemeldet werden, dann diskutiert der Internationale Ruderverband Fisa sicherlich noch mehr darüber, ob das noch Sinn macht.

Das heißt, Kanada könnte die letzte WM für Joachim Agne und Fabio Kress werden?

Holz: Das halte ich für möglich. Ich gehe davon aus, dass es in drei Jahren keine großen internationalen Meisterschaften mehr im Leichtgewichtsrudern geben wird, zumindest nicht im Vierer oder Zweier. Im Einer gibt es sie vielleicht noch länger.

Welchen Trainingsaufwand betreiben die fünf Kaderathleten und -athletinnen beim ARCW?

Holz: Sie trainieren jeweils zwölfmal pro Woche, in Summe 20 bis 25 Stunden. Das entspricht einem Halbtagsjob neben Studium oder Arbeit. Dazu waren sie in der vergangenen Saison jeweils zwischen 90 und 100 Tage unterwegs für Trainingslager und Wettkämpfe.

Welchen Anreiz haben Leichtgewichtsruderinnen und -ruderer, diesen Aufwand weiterzubetreiben, wenn sie vielleicht bald nicht mehr bei internationalen Wettbewerben starten können?

Holz: Keinen. Nur für die Teilnahme an deutschen Meisterschaften, die der Deutsche Ruderverband beibehalten will, betreibt niemand diesen sehr hohen Trainingsaufwand. 

Welche Konsequenzen wird das für den ARCW haben? 

Holz: Durch fehlende internationale Medaillen werden wir weniger Vorbilder für den Nachwuchs haben und dadurch deutlich weniger Renommee. Bis wir vielleicht doch mal ein erfolgreiches Schwergewicht rausbringen, wird es dauern. 

Und welche Folgen erwarten Sie dadurch für den Ruder-Nachwuchs?

Holz: Es werden vermutlich noch mehr Jugendliche als ohnehin schon nach der Schule aufhören mit Rudern. Bereits jetzt gibt es Länder, die im Kinder- und Jugendbereich gar kein Leichtgewichtsrudern mehr haben. 

Bedeutet das: Leichtgewichtsrudern wird aussterben?

Holz: Ja. Ich befürchte, dass Leichtgewichtsrudern aussterben wird. National mittelfristig, international schon kurzfristig.

Was heißt das für die längerfristige Zukunft von Vereinen wie dem ARCW?

Holz: Ich gehe davon aus, dass wir wie auch viele andere Vereine in Deutschland Probleme bekommen werden. Vielleicht haben wir anfangs nicht gleich weniger Mitglieder, aber auf Dauer sicher weniger, die sich auf Lebenszeit an uns binden und mit der Übernahme von Trainer- oder anderen Ehrenämtern ihrer moralischen Verpflichtung nachkommen, etwas von der Unterstützung zurückzuzahlen, die sie als Aktive erhalten haben.  

Welche Ideen haben Sie, dem entgegenzuwirken, um Rudern trotzdem weiterhin attraktiv zu gestalten?

Holz: Wir müssen versuchen, Rudern mehr als Gesamt- und Gesundheitssport anzubieten und damit mehr in die Breite als in die Spitze zu gehen. Dann kommen wir halt in die Richtung, dass wir ein Fitnessstudio auf dem Wasser werden. 

 
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