In sattem Grün fließt der Main vorbei. Die Bootsanleger-Stege ruhen auf der glatten, von der Sonne glitzernden Wasseroberfläche in der Bucht des Flußarms an der Mergentheimer Straße. Das Gelände des Akademischen Ruderclubs Würzburg (ARCW) – mit mehr als 770 Menschen mitgliederstärkster Ruderverein in Bayern und sechstgrößter bundesweit – ist ein kleines Idyll.
Andreas Holz schätzt sich glücklich, an einem solchen Ort zu wirken. Dass der 60-Jährige das mit Herzblut und Hingabe in gleich drei Funktionen tut, ist vom ersten Moment des Gesprächs an diesem Junitag zu spüren. Sein Antrieb? "Ganz einfach", antwortet er: "Als ich Kind und Jugendlicher war, hat sich jemand in einem Ruderverein um mich gekümmert. Jetzt kümmere ich mich."
2005 hat es den gebürtigen Limburger, der teils in Würzburg und teils im Elsass lebt und arbeitet, durch eine seiner Firmen von der Lahn an den Main verschlagen. Weil er wieder anfangen wollte zu rudern, heuerte der Ingenieur beim ARCW an.
Fünfmal in Serie deutscher Masters-Meister mit dem Würzburger Vierer
In den vergangenen fünf Jahren wurde Holz mit dem Würzburger Vierer fünfmal in Serie deutscher Masters-Meister. Seit 2007 ist er zudem Vereinspräsident, seit der letzten Jahreshauptversammlung auch Sportvorsitzender. Und als Trainer verantwortet er seit knapp zwei Jahren den Bereich Leistungssport und ist damit zuständig für fünf Athletinnen und Athleten im Nationalkader.
In dieser Zeit hat Holz beim ARCW, der schon früher etwa durch Konstantin Steinhübel und Laura Tasch, heute Tibitanzl, große Erfolge gefeiert hatte, ein kleines Leistungszentrum für Leichtgewichtsrudern aufgebaut. 2022 waren mit Joachim Agne und Fabio Kress im leichten Doppelvierer, Marion und Johanna Reichardt im leichten Doppelzweier sowie Sophia Wolf im leichten Zweier ohne Steuerfrau erstmals alle fünf bei den Weltmeisterschaften in Racice, Tschechien, am Start – laut Holz so viele wie von keinem anderen deutschen Verein.
Für die Europameisterschaften Ende Mai dieses Jahres im slowenischen Bled waren vier von ihnen qualifiziert, Wolf pausiert aktuell. Die Zwillingsschwestern Reichardt hoffen sogar auf eine Qualifikation für die Olympischen Sommerspiele 2024 in Paris. Voraussetzung ist, dass sie bei den Weltmeisterschaften in Belgrad (3. bis 10. September) an den Start gehen können. Davor stehen noch die Weltcups in Varese (16. bis 18. Juni) und Luzern (7. bis 9. Juli) an.
Küstenrudern soll nach Paris 2024 das Leichtgewichtsrudern ersetzen
Der Deutsche Ruderverband (DRV) stimmte damals "nach Diskussionen" zu, dass die Athletinnen und Athleten aus dem Bundeskader in Würzburg unter Holz trainieren dürfen, statt regelmäßig zu den Bundesstützpunkten in Ratzeburg (Männer) und Berlin (Freuen) reisen zu müssen – in Annahme der geplanten Änderungen im Rudersport, die seinerzeit schon ihre Schatten vorauswarfen. Diese, befürchtet Holz, könnten nicht nur die Sportart tiefgreifend verändern, die in Deutschland eine 150-jährige Tradition hat, sondern grundlegend auch den "Typus Ruderer" – und damit Auswirkungen auf den ARCW und das Leistungszentrum haben.
Die erste geplante Änderung, die bereits für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio vorgesehen war, wegen der Corona-Pandemie aber um vier Jahre verschoben wurde, soll nun nach den Sommerspielen in Paris 2024 umgesetzt werden: Das Internationale Olympische Komitee (IOC) unter seinem in Würzburg geborenen Präsidenten Thomas Bach will das Leichtgewichtsrudern, das erst seit 1996 zum Programm gehört und bereits in Tokio auf die Doppelzweier reduziert worden war, komplett streichen und durch Coastal Rowing (Küstenrudern) ersetzen. Offiziell beschlossen ist das noch nicht, aber angekündigt.
Kaderathletinnen und -athleten trainieren zwölfmal pro Woche
Athletenvertreter befürchten, dass diese Entwicklung – ähnlich wie das Aus für die leichten Riemer im olympischen Programm – das Leichtgewichtsrudern mittelfristig kaputtmachen würde, weil ohne die Olympia-Perspektive der hohe Trainingsaufwand nicht zu rechtfertigen sei. Die Kaderathletinnen und -athleten beim ARCW trainieren jeweils zwölfmal pro Woche, insgesamt 20 bis 25 Stunden: ein Halbtagsjob. Auch Holz befürchtet: "Wenn es so kommt, wovon ich ausgehe, würde das die Abschaffung einer Disziplin bedeuten. Und zwar sehr schnell, glaube ich."
Zwar beteuere der DRV, dass er versuchen wolle, das Leichtgewichtsrudern bei Regatten in Deutschland zu erhalten, da mehr als die Hälfe der Rudernden hierzulande in den leichten Bootsklassen aktiv sei. Doch ob die Disziplin auch bei Welt- und Europameisterschaften eine Zukunft hätte, scheint ungewiss.
Finanzielle Förderung vom Bund droht ohne Olympia wegzubrechen
Auch aus finanziellen Gründen. "Wenn Leichtgewichtsrudern nicht mehr olympisch ist, wird es auch nicht mehr vom Bundesinnenministerium gefördert", erklärt Holz und verweist auf einen jährlichen Betrag in insgesamt sechsstelliger Höhe. "Das heißt: Wollen und können die Vereine ihre Athletinnen und Athleten dann auf eigene Kosten zu internationalen Wettkämpfen schicken, wenn die Teilnahme einer oder eines Einzelnen schon rund 2500 Euro kostet? Beim ARCW würde das für fünf Leute unser ganzes Jahresbudget fressen. Das können wir gegenüber den anderen 770 im Verein nicht rechtfertigen", so der Präsident.
Was also tun angesichts des zu erwartenden Dilemmas? "Ich werde versuchen, unsere Jugendlichen zu motivieren, dass eine deutsche Meisterschaft auch noch reizvoll ist", sagt Holz, befürchtet aber: "Es werden noch mehr von ihnen als ohnehin schon nach der Schule aufhören mit Rudern." Noch habe der ARCW in jeder Altersdekade, also zwischen 10 und 20 Jahren, 20 und 30 Jahren und so weiter, rund 100 Mitglieder.
IOC plant Veränderungen auch für mehr Attraktivität im Fernsehen
Dazu kommt eine zweite geplante IOC-Neuerung, die zu den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles vollzogen werden soll und alle Klassen und Disziplinen beträfe. Weil über die dortige Regattastrecke in Long Beach eine Brücke gebaut wurde, deren Stützpfeiler in den Bahnen eins und sechs stehen, droht die Renndistanz von 2000 auf 1500 Meter verkürzt zu werden. Damit geht einher, dass die Innovationen des IOC auch die TV-Attraktivität fördern sollen.
"Ich kann verstehen, dass es für Fernsehübertragungen interessanter sein könnte, kürzere Strecken einzuführen, weil die Rennen dann spannender werden, wie man im Kanusport seit der Verkürzung der Distanzen sieht", sagt Holz. "Wer, der nicht vom Rudern kommt, schaut sich schon gerne ein Rennen über sechs, sieben Minuten an, in dem es meist aussieht, als würden alle Boote nebeneinander herfahren? Das ist nicht spektakulär. Was die Jungs und Mädels da leisten, kann nur verstehen, wer vom Rudern kommt."
Von Ausdauer-Kraft-Modellathleten zu muskelbepackten Sportlern
Gleichwohl nennt der 60-Jährige auch diese geplante Neuerung "ein zweischneidiges Schwert". Zum einen würde sie mit einer langen Tradition im Rudern brechen, zum anderen den "Typus Ruderer" verändern. "Für 2000 Meter brauche ich bisher jemanden, der in der Hauptsache eine Ausdauer-Kraft-Leistung erbringt. Für kürzere Strecken wird die Kraft immer entscheidender. Dann bräuchten wir statt Modellathleten kompakte, muskelbepackte Sportler und Sportlerinnen, die in der Lage sind, über kürzere Zeit Höchstleistung zu bringen. Das geht weg von allem, was wir seit rund 100 Jahren machen und erfordert eine komplette Umstellung des Trainings und der Trainierenden."
Und das in nur vier Jahren zwischen den Olympischen Spielen 2024 und 2028. "Das ist nicht so einfach, wie es klingt und würde eine ganz andere Art von Rudern werden", betont Holz und zieht einen Vergleich zur Leichtathletik: "Das wäre in etwa so, wenn ein 1500-Meter-Läufer auf einmal 400 Meter laufen soll."
Noch trüben die Zukunftsaussichten nicht die Stimmung der "Leichtgewichte" beim ARCW. "Für die Sportlerinnen und Sportler wird das erst konkret, wenn die Entscheidungen offiziell werden und es auf die letzten Zielwettkämpfe zugeht." Holz sieht allerdings schon Wolken über der gegenwärtigen Idylle aufziehen und ahnt: "Die Veränderungen werden sehr viele Vereine betreffen."