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RUDERN: WM
Im Boot kabbeln sie sich meist: Würzburger Zwillingsschwestern kämpfen bei der Ruder-WM ums Olympia-Ticket
Marion und Johanna Reichardt vom Akademischen Ruderclub Würzburg wollen 2024 nach Paris. Im Training schreien sie sich an. Im Gespräch verblüffen sie. 
Die Zwillingsschwestern Johanna (links) und Marion Reichardt vertreten Deutschland und den Akademischen Ruderclub Würzburg im September bei der Ruder-Weltmeisterschaft in Belgrad im Leichtgewichts-Doppelzweier.
Foto: Johannes Kiefer | Die Zwillingsschwestern Johanna (links) und Marion Reichardt vertreten Deutschland und den Akademischen Ruderclub Würzburg im September bei der Ruder-Weltmeisterschaft in Belgrad im Leichtgewichts-Doppelzweier.
Natalie Greß
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:27 Uhr

Ein Gespräch mit Marion und Johanna Reichardt ist ein Erlebnis. Erste Herausforderung: die Zwillingsschwestern optisch voneinander zu unterscheiden. Wenn sie stehen, ist Marion, die eine Minute Ältere, mit knapp 1,69 Metern rund einen Zentimeter größer. Wenn sie nebeneinandersitzen, wie auf der Eckbank im Festsaal des Akademischen Ruderclubs (ARCW) Würzburg, dann muss man schon sehr genau hinschauen.

"Mein Gesicht ist asymmetrischer als Johannas", sagt Marion und deutet auf ihren Kiefer. Leichter zu erkennen ist, sofern beide ihre blonden Haare zusammengebunden haben, dass Marions linkes Ohr oben eine kleine Mulde hat, Johannas nicht. Es hilft, dass die Zwillinge andersfarbige T-Shirts tragen: Johanna ein pinkes, Marion ein weißes.

Der ARCW stellt bei der WM die meisten Athletinnen und Athleten

Zweite Herausforderung: die 26-Jährigen akustisch voneinander zu unterscheiden. Das Handy zeichnet das Gespräch auf, doch wer soll diese Nuance, die ihre Stimmen in manchen Momenten anders klingen, beim Abhören noch zuordnen können? Ihr Sprachduktus ist ebenso ähnlich wie ihre Mimik und Gestik. Mehrmals beginnt eine Schwester einen Satz und die andere vollendet ihn. Manchmal fangen beide auch gleichzeitig mit den gleichen Worten an. Es ist verblüffend. Und unterhaltsam.

"Wir sind uns insgesamt sehr ähnlich", sagen Marion und Johanna Reichardt unisono und lachen. Beide mit großem Bewegungsdrang. Beide mit amüsanter Schlagfertigkeit. Und beide in einem Boot. Was nicht so einfach ist: Sie kabbeln sich meist.

Bei der Weltmeisterschaft (3. bis 10. September) in Belgrad vertreten die Zwillinge den deutschen Ruderverband im Leichtgewichts (LG)-Doppelzweier. Für den leichten Doppelvierer wurden ihre Kameraden Joachim Agne und Fabio Kress nominiert. Mit dem von Andreas Holz trainierten Quartett ist der ARCW wie bei der WM 2022 der deutsche Verein, der die meisten Athletinnen und Athleten bei der WM stellt – und die einzigen aus Unterfranken.

Leichtgewichtsrudern soll in Paris letztmals olympisch sein 

Für die Schwestern steht in Serbiens Hauptstadt ein Ziel im Fokus: "Wir werden uns um Platz sieben kloppen", sagt Johanna, 2019 U-23-Vizeweltmeisterin im LG-Einer. Der würde die Qualifikation für Olympia in Paris bedeuten. Für die Zwillinge wären es die ersten Spiele, für ihre Disziplin wahrscheinlich die letzten.

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) unter seinem in Würzburg geborenen Präsidenten Thomas Bach will Leichtgewichtsrudern nach 2024 komplett streichen und durch Coastal Rowing (Küstenrudern) ersetzen. Die geplante Änderung war bereits für die Olympischen Spiele 2020 vorgesehen, wegen der Corona-Pandemie aber verschoben worden.

"Die Konkurrenz im Doppelzweier ist noch mal enger zusammengerückt", sagt Marion Reichardt, amtierende deutsche Meisterin im LG-Einer, mit Blick auf die WM. "Für uns ist es erstaunlich, dass wir es geschafft haben, da mitzugehen." Um das Ticket für Paris zu lösen, müsse in Belgrad alles passen. "Und es braucht Glück."

Weltrekord im Indoor-Rudern

Rund 20 Stunden pro Woche trainieren die von der Deutschen Sporthilfe geförderten Sportlerinnen für ihren Traum von Olympia. Im vergangenen Jahr unterboten beide über die Halbmarathon-Distanz den Weltrekord im Indoor-Rudern; Marion hält ihn seither (1:21,45 Std.)

Mit einem Quartett wird der ARCW bei der WM erneut der deutsche Ruderklub mit den meisten Starterinnen und Startern sein. Zwei von ihnen sind Johanna (links) und Marion Reichardt. 
Foto: Johannes Kiefer | Mit einem Quartett wird der ARCW bei der WM erneut der deutsche Ruderklub mit den meisten Starterinnen und Startern sein. Zwei von ihnen sind Johanna (links) und Marion Reichardt. 

Bevor die gebürtigen Niedersächsinnen aus Bückeburg Ende 2021 beim ARCW anheuerten, ruderten sie für den SC DHfK Leipzig. In der sächsischen Messestadt studierten sie Sportwissenschaft und lebten zusammen in einer WG. "Eigentlich hat das ganz gut funktioniert, aber wenn wir gestresst waren, gab’s auch Stress mit Putzen", erzählt Johanna. "Ich bin der Meinung, wenn weniger rumgeferkelt wird, muss man auch weniger putzen. Marion ferkelt in der Hektik aber mehr rum und musste daher öfter putzen." In Würzburg bewohnt Marion nun ein Zimmer beim ARCW, Johanna alleine eine Wohnung in Heidingsfeld. "Wir brauchen auch mal die Möglichkeit, uns aus dem Weg zu gehen, damit wir uns wieder freuen, zusammen im Boot zu sitzen."

Trainingseinheiten "wie eine Seekrankheit"

So nahe sich die 26-Jährigen stehen ("Wir erzählen uns alles") und so ähnlich sie sich in fast allem sind – beide spielen auch Geige –, so schwierig war es für sie dennoch, sich rudertechnisch anzugleichen. Ihr Trainer Andreas Holz verglich die Einheiten der Schwestern einmal scherzhaft mit einer Seekrankheit: "Wenn sie aufs Wasser gehen, schnauzen sie sich unvorstellbar an. Sobald sie zurück an den Steg kommen, ist fast alles wieder gut." Die beiden belustigt der Vergleich.

Andreas Holz ist Präsident des ARCW und Trainer der Leichtgewichte im Leistungssportbereich.
Foto: Silvia Gralla | Andreas Holz ist Präsident des ARCW und Trainer der Leichtgewichte im Leistungssportbereich.

"Es wirkt oft schlimmer, als es ist, aber wir schreien uns auf jeden Fall mehr an als mit anderen", bestätigt Johanna. "Meistens ist es sogar beim Anlegen am schlimmsten", so Marion: "Ich kläre die Dinge gerne noch am Steg, statt dass wir dann weiter aneinander rumpingeln." Johanna schaut genervt. Sie findet: "Das geht gar nicht, auf dem Steg rumbummeln. Da krieg' ich 'nen Anfall!"

Wie häufig während des Gesprächs gibt ein Wort das andere – bis die Zwillinge schließlich eingestehen, dass sie beide stur seien und sich wieder einig werden in der Frage, wann immer Einigkeit zwischen ihnen herrscht: "Sobald wir Gegner von außen haben!" Bei der WM haben sie davon genug.

Falls es nicht klappen sollte mit dem Olympia-Ticket, wollen sie auf jeden Fall "für immer" weiterrudern. "Das ist das Praktische am Rudern", sagt Marion: "Ich kann es bis ins hohe Alter machen. Selbst im Rollstuhl komm' ich bis an den Steg und kann mich dann ins Boot reinhieven lassen." Johanna ergänzt: "Bis ich tot umfalle!"

 
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