Auf den Tag genau 85 Jahre ist es her, dass vier Männer aus Würzburg Sportgeschichte schrieben: Am 14. August 1936 gewann der Ruder-Vierer ohne Steuermann bei den Olympischen Spielen in Berlin Gold. Schlagmann Wilhelm "Willi" Menne, Martin Karl, Carl Anton "Toni" Rom und Rudolf "Rudi" Eckstein sind bis heute die einzigen Olympiasieger aus Würzburg.
"Ich nehme es gelassen, aber bin schon auch stolz auf meinen Vater", sagt Gisela Götz und lacht. Es ist ein sonniger Augustnachmittag in Höchberg. Die Tochter von Willi Menne und Gattin von Peter Götz, Gesellschafter der Firma Gebrüder Götz, sitzt mit ihrem Mann auf der Terrasse ihres Hauses. Ein Brunnen plätschert, Blumen stehen in voller Pracht. Gisela Götz trägt Erinnerungsstücke aus dem Wohnzimmer heraus: eine Fotografie der Olympiasieger in ihrem Boot, ein Geschenk von Roms verstorbener Frau Ilse. Und: die gerahmte Goldmedaille des Vaters.
"Meine Mutter hat sie nach der Zerbombung Würzburgs aus der Asche gegraben", erzählt die 77-Jährige. Sie wohnten damals in der Uhlandstraße in der Sanderau. Dass die Medaille aus der Nazi-Zeit stammt, habe für sie keinen Schatten auf den Glanz des Goldes geworfen.
Willi Menne sah seine Tochter nur ein einziges Mal im Krieg
An ihren Vater hat Gisela Götz keine eigene Erinnerung. Menne sah seine Tochter nur ein einziges Mal: Als sie sechs Wochen alt war. Die Olympiasieger seien im Zweiten Weltkrieg zwar privilegiert gewesen, Mitte 1944 aber wurde Menne noch an die Front geschickt. "Er sollte zurückgeholt werden, doch der Befehl hat ihn nicht mehr erreicht", weiß Gisela Götz.
Ihr Vater fiel kurz vor Ende des Krieges in der Slowakei, am 27. März 1945 - zwei Tage vor ihrem ersten Geburtstag. Auch keiner der drei anderen Olympiasieger lebt mehr. Ende 1994 starb mit Toni Rom der letzte, gut eineinhalb Jahre nach Rudi Eckstein. Martin Karl kehrte wie Menne nicht aus dem Krieg zurück, er fiel bereits 1942.
Die Vier vom Würzburger Ruderverein von 1875 hatten vor ihrem größten Erfolg schon etliche Titel in verschiedenen Bootsklassen bei Welt- und Europa- sowie deutschen Meisterschaften errungen, trotzdem wurde ihr Sieg in Berlin damals als Sensation gewertet. Sie hängten den "Wundervierer" aus der Schweiz ab und ließen das starke Boot aus England im Zieleinlauf deutlich hinter sich. Bis heute bleibt der Coup des Quartetts ein historischer.
Freiwasserschwimmer Thomas Lurz hatte 2012 in London die Chance, eine weitere Goldmedaille in die Domstadt zu holen, brachte stattdessen Silber mit. Bei den Sommerspielen in Tokio verpassten jüngst zwei Würzburgerinnen Medaillen: Leonie Beck wurde im Freiwasserschwimmen über zehn Kilometer Fünfte, Leonie Ebert schied im Florettfechten im Achtelfinale aus.
"Am 14. August 1936, als die Ruder-Mannschaft in Berlin siegte, stand Würzburg Kopf", berichtete Ilse Rom einmal in einem Gespräch mit dem "wob". "Alle Geschäfte hatten geschlossen, ganz Würzburg war auf den Beinen, und man versammelte sich vor den Radiogeräten, um den Wettkampf mitzuverfolgen – Fernseher gab es ja noch keine."
Ein extra Bier und eine Eiche als Geschenk für Gold
Gisela Götz weiß aus Erzählungen, dass die Gold-Ruderer damals von ihrem Trainer Wolfgang Freyeisen extra ein Bier bekamen. Als offizielles Geschenk erhielt jeder Olympiasieger einen Eiche-Setzling. Der von Menne verbrannte beim Bombenangriff auf Würzburg am 16. März 1945. Im Garten der Roms in der Sanderau wuchs die Olympia-Eiche dagegen zu einem stattlichen Baum heran, bis sie 2012 gefällt wurde.
Bei seiner Rückkehr in die Heimat wurde der Vierer gebührend gefeiert. Fotos von damals dokumentieren jubelnde Menschenansammlungen beim Empfang am Bahnhof und einen Triumphzug durch die Domstraße. "Wie heute bei Fußballern", sagt Gisela Götz.
Sie eiferte als Kind ihrem Vater nach. "Ich wollte immer dahin, wo er gewesen war": zum Rudern. Mit 14 trat sie ebenfalls in den Verein ein. Die Mädchen trainierten seinerzeit mit den Jungs – auch unter Wolfgang Freyeisen. "Wir waren auf vielen Regatten, aber wir haben das nicht so ernst genommen wie die Sportler heute. Bei uns ging es oft sehr lustig zu."
Der Erfolg blieb dennoch nicht aus. Auch Gisela Götz kann heuer selbst ein Jubiläum feiern: Vor 60 Jahren, im Juli 1961, gewann sie im Vierer mit Steuerfrau die deutsche Jugendmeisterschaft in Duisburg – nach dem Krieg und der Olympia-Medaille der erste große Titel für den Würzburger Ruderverein. Und das, obwohl die Schlagfrau – wie Menne 1936 – einen Fehlstart hinlegte: "Ich bin vom Sitz gefallen", erinnert sie sich und lacht. Nicht die einzige Gemeinsamkeit mit ihrem Vater: "Wir waren beide allergisch gegen Wind."
Als deutsche Jugendmeisterinnen mit offenen Autos durch die Stadt
Auch die jungen Frauen wurden damals in Würzburg empfangen, von ihren Vereinsfreunden: "Sie haben uns mit offenen Autos am Bahnhof abgeholt und durch die Stadt chauffiert. Und im Vereinsheim war der ganze Saal mit Rosen dekoriert. Damals, das war unsere sorgloseste und schönste Zeit."
Bis heute ist die 77-Jährige dem Rudern und ihrem Verein verbunden geblieben. In beidem lebt auch die Verbindung zu ihrem Vater weiter, einem der vier einzigen Olympiasieger aus Würzburg.