Als Bernd Hollerbach im Februar 2014 als Trainer der Würzburger Kickers für die kommende Saison vorgestellt wurde, begann für den Fußball in seiner Heimatstadt ein neues Kapitel. Der in Rimpar aufgewachsene Ex-Bundesliga-Spieler formte aus dem Amateurverein vom Dallenberg in kürzester Zeit einen Klub, der im Profifußball mitmischte. Schon im Sommer 2016 schafften die Würzburger Kickers mit Trainer Bernd Hollerbach den Aufstieg in die 2. Bundesliga. Im Interview erinnert sich der 54-Jährige an die damalige Zeit.
Bernd Hollerbach (lächelt): Mensch, verrückt! Schon so lange her. Eigentlich war es damals nicht mein Plan hier Trainer zu werden.
Hollerbach: Grundsätzlich wusste ich, dass Fußball in Würzburg funktioniert. In den 1970er Jahren bei den Kickers und auch beim anderen Verein an der Frankfurter Straße. Als ich mich dann mit Michael Schlagbauer und Thorsten Fischer unterhalten habe . . .
Hollerbach: Da habe ich gemerkt, dass der Plan mit dem 3x3-Projekt vernünftig und realistisch aufgebaut war. Für mich war wichtig, dass sich die Sponsoren für drei Jahre verpflichten. Denn das Schwerste ist der Aufstieg aus der Regionalliga in die 3. Liga. Dass wir das nach nur einem Jahr schaffen, hätte ich am Anfang nicht gedacht. Das war einfach sensationell und beim Elfmeterschießen im Aufstiegsspiel gegen den 1. FC Saarbrücken auch ganz schön dramatisch. Ein Jahr später waren wir plötzlich Zweitligist. RB Leipzig hat für den gleichen Weg viel länger gebraucht, obwohl der Etat deutlich höher war. Ich finde immer noch, dass wir eine einmalige Erfolgsgeschichte im deutschen Fußball geschrieben haben, wenn man bedenkt, wie beim Start die Voraussetzungen waren und was an Geld eingesetzt wurde.
Hollerbach: Das stimmt. Als ich angefangen habe, haben die Verantwortlichen bei den Kickers zu mir gesagt: "Wir müssen bei den Terminen gucken, wann die Basketballer spielen." Da habe ich geantwortet: "Wenn ich es nicht schaffe, dass sich die Basketballer in einem Jahr nach uns richten, dann bin ich hier der falsche Mann." Fußball ist in ganz Europa der Sport Nummer eins. Warum sollte das in Würzburg anders sein?
Hollerbach: Wir mussten von Grund auf neue Strukturen aufbauen. Ich denke da auch an die "Sansibar"-Trikotwerbung. Ein paar Wochen später hat man plötzlich an jeder Ecke diese Trikots mit den Säbeln, dem Logo der Sylter "Sansibar", auf der Brust gesehen. Das war der Plan. Ich kenne den "Sansibar"-Gründer Herbert Seckler schon lange. Sonst macht er solche Werbung nicht. Aber damals hat er uns geholfen. Es brauchte viele fleißige Menschen, die mitgemacht haben. Wir haben den Verein nicht nur um 180 Grad, sondern noch ein Stück weitergedreht und ihn dann noch komplett auf den Kopf gestellt. Es war viel Arbeit. Vielleicht sind wir sportlich dann zu schnell gewachsen. Mit dem Rest sind wir ja kaum hinterhergekommen.
Hollerbach: Ich hatte nach meiner Verpflichtung zum Glück ein halbes Jahr Zeit, bis es wirklich losging. Das war gut, denn wir brauchten für unser Ziel eine echte Mannschaft und ich musste die richtige Mischung finden. Ich hatte dann, als es losging, mit Amir Shapourzadeh, Christan Demirtas und Robert Wulnikowski drei absolute Leader als Führungsspieler, dazu junge, hungrige Akteure wie Clemens Schoppenhauer und ein paar Einheimische wie Christopher Bieber, der hier einen super Job gemacht hat und zum ersten Mal in seinem Leben so richtig fit war.
Ich bin mit den Jungs gleich ins Trainingslager nach Österreich gefahren. Das war auch eine Art Willensschulung. Wenn du nicht leidensfähig bist, erreichst du nie die Spitze. Und dann hat sich gleich im ersten Saisonspiel mit einem 2:1-Sieg beim FC Bayern München II gezeigt, dass mit uns zu rechnen ist. Das war eine herausragende Entwicklung. Denn ganz viele hier hatten mit Profisport bis dahin nichts am Hut.
Hollerbach: Wir waren auf und neben dem Platz ein gutes Team. Manche haben Tag und Nacht gearbeitet. Es waren tolle Erlebnisse. Wenn wir zum Stadion gefahren sind und man das Gefühl hatte, die ganze Stadt brennt auf dieses Spiel. Der Klub hat heute noch einen solchen Rückhalt, dass in der Regionalliga immer über 2000 Zuschauer kommen. Dafür wurde damals die Grundlage gelegt. Es ist schön, dass sich die Kickers als Nummer eins in Unterfranken etabliert haben. Das freut mich.
Aber am Ende hatte ich das Gefühl, dass alles ausgepresst war, wie eine Zitrone. Bei den Aufstiegen haben immer alle gefeiert und ich habe dann gedacht: Uff! Wie schaffen wir das in der nächsten Saison? Mit dem Erfolg wuchsen auch die Begehrlichkeiten. Die Spieler wurden angesprochen, bekamen Angebote, manchen wurde der Kopf verdreht. Im Nachhinein ist aber schon auffällig, dass viele bei uns ihr höchstes Leistungslevel erreicht hatten.
Hollerbach: Stimmt. So wie es in Freiburg gelaufen ist, ist das ein Vorbild für ganz viele Vereine. Die Freiburger sind zusammen mit dem Trainer ab- und wieder aufgestiegen. Es braucht Vertrauen und Kontinuität. Und ich habe auch tatsächlich darüber nachgedacht, es genauso zu machen. Sportlich haben wir unterm Strich auch im Zweitliga-Jahr geliefert. Es ist ein Fehler, da immer von einer schwachen Rückrunde zu sprechen. Dafür war die Hinrunde herausragend.
Es gibt in einer Saison immer verschiedene Phasen. Am Ende hatten wir 34 Punkte. Das war für einen Aufsteiger gut. Aber ich hatte nicht das Gefühl, dass wirklich etwas vorangeht. Wir hatten im Verein viele fleißige Leute und mit Thorsten Fischer auch einen großen Förderer, der viel möglich gemacht hat. Aber von der Stadt, aus der Politik hätte ich mir mehr Unterstützung gewünscht.
Hollerbach: Es ist schade, dass dieses Momentum nicht genutzt wurde. Würzburg hat damals doch enorm profitiert. Wir hatten in der zweiten Liga immer um die 10.000 Zuschauer und Zuschauerinnen, es war eine riesige Euphorie da. Trotzdem ging in Sachen Stadion nichts voran. Wir haben damals bewiesen, dass Zweitliga-Fußball in Würzburg geht. Wir haben eine Flutlichtanlage errichtet, die Rasenheizung eingebaut, die Gegentribüne erweitert. Aber der Profifußball ist eben auch ein Verdrängungswettbewerb. Da muss man den Akteuren etwas bieten können. Wenn du dich in einer Turnhalle umziehen musst, ist es schwer neue Spieler hierherzulocken. Wenn ich heute hinschaue, hat sich seither mit Blick auf eine bessere Infrastruktur leider auch nicht allzu viel getan.
Hollerbach: Ich habe die Resultate natürlich immer verfolgt. So richtig kann ich dazu nichts sagen. Ich hatte ja neue Jobs. Und wenn ich etwas mache, dann richtig. Dann bleibt dann wenig Zeit für andere Dinge. Natürlich habe ich mitbekommen, dass Thorsten Fischer mit meinem Freund Felix Magath hier noch einmal etwas aufbauen wollte. Warum das letztlich gescheitert ist, kann ich nicht beurteilen.
Hollerbach: Ich hatte in Belgien eine super Zeit. Aber ich bin jetzt seit 34 Jahren im Profifußball aktiv. Da kommt manches zu kurz. Ich wollte einmal ganz bewusst ein Jahr Pause machen, mich um meine beiden Söhne kümmern. Das ist mir wichtig. Wenn etwas Gutes kommt, mache ich wieder was.
Hollerbach: Sicher. Man lernt enorm viel dazu. Ich wollte immer mal im Ausland arbeiten. Und Belgien ist sehr reizvoll, zum Leben aber auch als Fußballland. Da gibt es unheimlich interessante Einflüsse aus ehemaligen Kolonien. Belgien ist ein sehr weltoffenes Land. Der Klub in Sint-Truiden hat japanische Besitzer. Da habe ich noch einmal eine ganz andere Kultur kennengelernt.
Hollerbach: Wir haben nicht nur im Fußball nicht mehr den Ruf, den wir früher mal hatten. Ich finde, wir müssen uns alle ein bisschen mehr anstrengen, um wieder in die Spur zu kommen. Wir sind insgesamt zu bequem geworden. Der deutsche Fußball ist da nur ein Spiegelbild einer Entwicklung im ganzen Land.
Hollerbach: Im Fußball geht es ums Durchsetzen, darum sich zu behaupten. Wenn man bei der Weltmeisterschaft gesehen hat, welche Teams unter den letzten Vier waren: Argentinien, Frankreich, Kroatien, Marokko. Das sind Mannschaften, die sind leidensfähig und leidenschaftlich. Natürlich ist Taktik auch wichtig, aber Mentalität ist im Fußball entscheidend. Und da muss man schon bei der Ausbildung ansetzen. Es ist nicht egal, ob man verliert oder gewinnt. Wer leicht verlieren kann, der macht, glaube ich, keine große Karriere. Es ist doch nicht schlimm, wenn mal ein paar Krokodilstränen kullern. Ich konnte schon immer schlecht verlieren. Das war für mich immer ein Antrieb, um möglichst oft zu gewinnen.