Fast wirkte er wie ein Fremdkörper an diesem schier magischen Dienstagabend im Bauch der Berliner Mercedes-Benz Arena, so wie Gordon Herbert da in seinem dunklen Anzug mit dunklem T-Shirt beim Interview mit dem übertragenden Internet-Streamingdienst stand. Während um den Bundestrainer herum nach dem berauschenden 107:96 (57:61)-Erfolg der deutschen Basketball-Nationalmannschaft im EM-Viertelfinale gegen die favorisierten Griechen der Jubel, der Trubel und die ausgelassene Fröhlichkeit kaum zu kanalisieren waren und aus den Boxen ein Party-Hit nach dem anderen dröhnte, resümierte der 63-Jährige in unnachahmlich stoischer Art das zuvor auf dem Parkett Dargebotene.
Erst als ihn der Reporter fragte, was denn passieren müsse, dass er mal nicht so ruhig bliebe, antwortete Herbert mit einem verschmitztem Lächeln: „Oh, bei einigen Pfiffen der Referees Ende der ersten Halbzeit habe ich doch meine Coolness verloren.“ Der Kanadier ist der stille Vater des augenblicklichen Erfolgs, der in Deutschland eine schon lange nicht mehr erlebte Begeisterung für den Basketball ausgelöst hat.
Doch wer Gordon Herbert ein wenig länger kennt, der weiß, dass es eine dieser wohltuenden Eigenschaften des Kanadiers ist, nur selten Maß und Mitte zu verlieren. Es wäre unfair, ihn aufgrund seiner vordergründigen Nüchternheit als spröde oder gar langweilig zu charakterisieren. Herbert hat einen feinen Sinn für Humor, wie er auch nun bei der EM in Berlin bewies. Auf die Frage nach dem Triumph über Griechenland, ob er denn wie Italiens Nationaltrainer Gianmarco Ponzzecco die Mannschaft mit seiner Kreditkarte zum Feiern schicken würde, antworte Herbert: „Dennis hat mich das auch schon gefragt. Aber ich bin dreimal geschieden. Daher würde ihm das Limit vermutlich nicht gefallen.“
Die ersten Karriereschritte bei Bundesligist DJK s.Oliver Würzburg
Die ersten Karriereschritte im deutschen Basketball machte Herbert in der Saison 2000/01 bei Bundesligist DJK s.Oliver Würzburg. Aus Österreich von den Oberwart Gunners war er in die Domstadt gewechselt und führte den Klub damals sensationell auf Platz fünf nach der Hauptrunde – das bis heute beste Abschneiden in der regulären Saison eines Würzburger Basketball-Erstligisten. Die Zeit in Würzburg sei der „positive Wendepunkt meiner Karriere“ gewesen, berichtete er später einmal im Gespräch mit dieser Redaktion.
Auch seine erste kritische Phase meisterte Herbert einst in souveräner Manier. Als Dirk-Nowitzki-Mentor Holger Geschwindner trotz aller Erfolge live im Deutschen Sportfernsehen (DSF) grantelte, dass Eigengewächse wie Robert Garrett oder Demond Greene zu wenig Spielzeit erhalten würden und er drohte, „meine Bube“ abzuziehen und bestehende Verträge ihm „wurscht“ seien, konterte Herbert kühl: „Kritik zu äußern, ist sein gutes Recht. Es ist eine Frage des Stils, dies zu tun.“
Bedacht im Ton, bestimmt in der Sache. Damals wie heute zeichnet sich Herbert durch Tugenden wie Geradlinigkeit und Durchsetzungsfähigkeit aus. Auch die Ausbootung des langjährigen Kapitäns Robin Benzing wenige Wochen vor der EM passen da ins Bild. Herbert setzte sich damit offenbar auch gegen die Verbandsspitze durch, die Benzing gerne als zwölften Mann als eine Art „Team-Maskottchen“ dabei gehabt hätte.
Vereinsmäßig ging es für den in Pentiction in British Columbia geborenen Ex-Nationalspieler, der mit seinem Heimatland 1984 an den Olympischen Spielen in Los Angeles teilnahm, nach dem Jahr in Würzburg in Frankfurt weiter, wo er seine größten Erfolge als Klubtrainer feiern sollte. 2004 gewann er mit den Skyliners die erste und bislang einzige Meisterschaft, 2016 triumphierte er – mit dem heutigen Nationalcenter Johannes Voigtmann – im Fiba-EuropeCup-Wettbewerb. Insgesamt dreimal heuert er bei den Hessen an.
Gastspiele in Frankreich, Griechenland oder auch bei Alba Berlin gestalteten sich allerdings nicht wie erhofft. Vor allem das Engagement in der Hauptstadt dürfte mit einer der bittersten Niederlagen seiner Karriere verbunden sein – ausgerechnet in Würzburg. 2012 schieden die „Albatrosse“ völlig überraschend gegen den damaligen Aufsteiger s.Oliver Baskets im Play-off-Viertelfinale mit 1:3 aus, Herbert wurde entlassen.
Nun scheint sich der Kreis für Herbert, der 2018 und 2019 auch die Nationalmannschaft seines Heimatlandes trainierte, in Berlin zu schließen. Dort erreichen wir den seit vergangenen September amtierenden Bundestrainer am Mittwochnachmittag, am freien Tag der Nationalmannschaft. Es ist sicher keine Selbstverständlichkeit, dass ein Bundestrainer in diesen bewegten und arbeitsreichen Tagen einer Rückrufbitte nachkommt. „Kein Problem, auch wenn die letzte Nacht lang war und wir erst weit nach Mitternacht wieder im Hotel angekommen sind“, meldet er sich am Telefon. Der Erfolg gegen Griechenland klingt noch nach, „natürlich haben wir den Moment genossen. Es war ein außergewöhnliches Spiel. Und ein kühles Bier habe ich mir auch gegönnt. Aber wir waren alle doch sehr müde“.
Die außergewöhnliche Teamchemie als Geheimnis des Erfolgs
Seit Mittwochvormittag gilt die ganze Konzentration Spanien, dem Halbfinalgegner an diesem Freitag (20.30 Uhr, live bei RTL und Magentasport). Die Iberer, aktueller Weltmeister, sind die letzte Hürde auf dem Weg zur anvisierten Medaille. Einem Bestreben, dass nicht wenige Experten im Vorfeld der Titelkämpfe mit einem müden Lächeln quittiert hatten. Doch Herbert und sein Team haben jetzt schon alle Skeptiker eines Besseren belehrt. „Wir haben die sogenannte Todesgruppe mit Frankreich, Litauen und Slowenien überstanden, jetzt Griechenland geschlagen. Wir gehen Schritt für Schritt und glauben, dass wir unsere gesteckten Ziele erreichen können.“
Als Geheimnis des Erfolgs hat Herbert die außergewöhnliche Teamchemie ausgemacht. Auch die NBA-Stars Dennis Schröder und Franz Wagner ordnen sich nahtlos ins Gefüge ein. „Es ist nicht leicht, aus zwölf Spielern und unterschiedlichen Typen eine Mannschaft zu formen. Aber offensichtlich haben wir den richtigen Mix gefunden, jeder akzeptiert seine Rolle im Team. Und die Jungs haben sich ein Versprechen gegeben, alles dem Erfolg unterzuordnen. Es erfüllt mich mit Stolz, sie trainieren zu dürfen.“
Zwei Spiele warten noch auf das deutsche Team: Am Sonntag entweder das Finale oder bei einer Niederlage gegen Spanien das Spiel um Platz drei. Und wenn es am Ende zum ganzen großen Coup, dem Gewinn des Europameistertitels reichen sollte? Herbert überlegt kurz, sagt dann lachend: „Vielleicht überlege ich es mir dann auch noch mal mit meiner Kreditkarte.“