Die bemerkenswerteste Szene spielte sich nach dem Ertönen der Schlusssirene ab. Direkt nach dem Abklatschen mit dem Gegner und den Schiedsrichtern ging's im Schweinsgalopp in die eigene Kabine. Gänzlich unüblich, da Basketballer sich im Anschluss, egal, ob die Begegnung gewonnen oder verloren wurde, üblicherweise erst noch einmal zumindest kurz im Kreis versammeln und sich ein paar Takte flüstern. Und so den Zusammenhalt beschwören wollen. Das taten die Spieler von s.Oliver Würzburg am späten Samstagabend auch. Halt anders.
In der Umkleide lag ihr Teamkollege Justin Sears. Der hatte lediglich zehneinhalb Minuten aktiv sein können auf dem Parkett im Bonner Telekom Dome. Mitte des zweiten Viertels war der Amerikaner während des Ballvortrags beim Dribbling ohne Mittun eines Gegners umgeknickt und hatte sich das Knie verdreht. Wie er - von Felix Hoffmann und Florian Koch gestützt - mehr oder weniger einbeinig vom Feld hopste, ließ Schlimmes befürchten. Und wie er - nach ein paar Minuten auf einem Stuhl hinter der Bande, wo er sein linkes Knie kühlte - dann in die Kabine humpelte, konnte auch nicht viel Hoffnung schüren.
"Justin kennt seinen Körper genau, und seine erste Rückmeldung verheißt nichts Gutes. Sein Gefühl ist, dass etwas kaputtgegangen ist", sagt Denis Wucherer später. Der Baskets-Trainer ist natürlich kein Freund von Ferndiagnosen, aber er glaubt: "Es kann durchaus sein, dass wir ihn sehr lange nicht sehen werden." Es ist das linke Knie von Sears, im rechten ist ihm schon mal das Kreuzband gerissen. Nach zwei komplizierten Verletzungen (die andere war an der Achillessehne), die ihn zu monatelangen Zwangspausen nötigten, hat sich der am vergangenen Sonntag 27 gewordene Amerikaner in Würzburg gerade erst wieder auf bundesligataugliches Niveau gehievt. Und seit seinem Comeback vor ein paar Wochen war der Center mit seinen 2,03 Metern nicht nur eine - auch wörtlich - feste Größe im Team, sondern ein ganz wichtiger Pfeiler in Wucherers System.
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Ein paar erste Tests durch den Bonner Mannschaftsarzt vor Ort legen nahe, dass es womöglich erneut das Kreuzband von Sears erwischt hat. Am Montag wird der Center von Baskets-Mannschaftsarzt Kai Fehske genau untersucht. "Dann wissen wir mehr", sagt Wucherer, der bereits auf Zach Smith verzichten muss, der demnächst an der Schulter operiert und in dieser Saison vermutlich nicht mehr zur Verfügung stehen wird.
Sears' ganz offenbar erneut sehr schwerwiegende Verletzung war also der Wermutsschoppen beim vierten Saisonsieg der Weinfranken am Samstagabend. "Es wird ein Duell auf Augenhöhe. Da entscheidet der Wille", hatte Koch kurz vor der Partie in seiner Geburtsstadt im Internetfernsehen gemeint. Als hätten seine Kollegen den 28-Jährigen gehört! In einem erstaunlichen Akt des Willens drehten die Baskets in den letzten knapp acht Minuten erst dank eines 10:0-Laufs zum Ausgleich und dann dank eines 15:0-Laufs in den letzten zwei Minuten und 41 Sekunden einen Zehn-Punkte-Rückstand (60:70) in einen Zwölf-Punkte-Sieg (89:77). Die Würzburger, die nach nicht einmal sechs Minuten auch gleich schon mal mit elf Zählern hinten lagen, gingen in dieser Partie genau ein einziges Mal in Führung, das war 87 Sekunden vor Schluss - die gaben sie dann nicht mehr her.
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Das war so - auch wegen Sears' Aus und dem dadurch nicht nur größenmäßig erheblichen Nachteil unter den Brettern - nicht zwingend mehr zu erwarten. Aber wie meinte Alex King, der Topscorer der Partie, der die Aufholjagd anführte und gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber in den letzten gut sieben Minuten zehn seiner 18 Punkte machte, mit einem kleinen Schuss Pathos: "Wir sind auf dem Spielfeld wie eine Familie, das hat man heute gesehen. Wir haben auch für Justin gespielt, jeder hat hart gekämpft und sich reingehauen. Nach seiner Verletzung waren wir unter dem Korb limitiert, aber wir haben es gut hinbekommen."
Das stimmt, zweifellos - wenngleich zur ganzen Wahrheit dieses Abends freilich auch gehört: So beeindruckend der Wille und die Leidenschaft und der Kampf der Baskets in der zweiten Halbzeit und vor allem in den letzten knapp acht Minuten auch war: In den gut 32 zuvor war es über weite Strecken eine Partie, die Freunden des ästhetischen Basketball-SPIELS Tränen in die Augen treiben musste. Die Akteure beider Teams agierten zwischenzeitlich derart verkrampft, dass sich mit dieser Begegnung ein ganzer Neurologenkongress in einem mehrtägigen Workshop beschäftigen könnte. Auch für Gamewinner King war es keine schöne Partie: "Es war ein Kampfspiel, na und? In der Schlussphase sind wir diesmal, anders als in den letzten Spielen, ruhig geblieben, haben es nicht mit dem Kopf durch die Wand versucht, sondern unsere Spielzüge durchgezogen." Der 35-Jährige lachte dann noch herzlich und meinte: "Wir haben einen Schritt nach vorne gemacht. Ich bin sehr stolz auf diese Mannschaft."
Da erging es ihm wie seinem Trainer. Auch Wucherer nahm das Wort, das er eigentlich gerne umschifft, nun schon zum zweiten Mal hintereinander nach einer Partie in den Mund. "Die Art und Weise, wie wir in der zweiten Halbzeit gekämpft haben, allen voran Felix Hoffmann und Alex King, die die anderen mitgerissen haben, macht mich sehr stolz. Da hat man auch gesehen, wie viel Herz in den ganzen Jungs steckt."
Und offenbar auch - wie sie mit ihrem Sturm in die Kabine bewiesen - wie viel Zusammenhalt.