
Slang zu sprechen, das war zu Hause bei Steven Key verpönt. "Yo man, und so weiter, das gab es nicht", erinnert sich der 52-Jährige an seine Jugend in Maryland an der Atlantikküste der USA. Seine Mutter wollte nicht, dass Menschen, die ihn als Person of Color sowieso schon anders beurteilten als weiße Amerikaner, ihre Vorurteile bestätigt sahen. "Sie sagte, ich soll ihnen keine Entschuldigung geben, mich mit anderen in eine Schublade zu stecken", erzählt Key. Er hielt sich immer an diese Empfehlung - und verstand zugleich, dass sie ein Ausdruck des tief verwurzelten systemischen Rassismus in den USA ist. So wie der gewaltsame Tod von George Floyd am 25. Mai dieses Jahres. Als infolge dessen die Proteste der Black-Lives-Matter-Bewegung Ende August ihren Höhepunkt erreichten, wurden sich weltweit viele Menschen des Rassismusproblems gewahr. Jetzt darf dieses Thema nicht von der Agenda verschwinden, sind sich Steven Key und Felix Hoffmann einig. Der Co-Trainer und der Flügelspieler von Basketball-Bundesligist s.Oliver Würzburg sprechen im Interview über persönliche Erfahrungen mit Rassismus, den Umgang damit in der Mannschaft und die Bedeutung des Sports für die Protestbewegung.
Es ist zuletzt relativ still geworden um die Black-Lives-Matter-Bewegung. Ist das auch Ihr Eindruck?
Felix Hoffmann: Ja. Am Anfang war es ein sehr starkes Thema. Vor allem, weil in Amerika in kürzeren Abständen immer wieder etwas passiert ist. Durch die Medien wurde das breit gestreut und gerade, weil die Hälfte unserer Mitspieler eine andere Hautfarbe hat, haben wir uns natürlich fast jeden Tag darüber unterhalten. Mittlerweile hat die Medienpräsenz stark nachgelassen, obwohl es ein sehr wichtiges Thema ist. Eines, das man nicht vergessen sollte.
Steven Key: Rassismus ist kein neues Thema, vor allem nicht, wenn du aus Amerika kommst. Dass ihm diesmal soviel Aufmerksamkeit zuteil wurde, liegt meiner Meinung nach an der Corona-Pandemie. Viele Leute konnten nicht zur Arbeit gehen und saßen viel zu Hause rum. So hatte das Thema die Chance, aufmerksamer wahrgenommen zu werden, als es sonst vielleicht der Fall gewesen wäre. Auch, weil es sich über Social Media verbreitet hat. Was George Floyd passiert ist (er starb, weil ihm ein weißer Polizist minutenlang das Knie auf den Hals drückte, Anm. d. Red.), ist nichts Neues. Dergleichen passiert in den USA seit Jahrzehnten. Der Unterschied ist, dass inzwischen fast jeder ein Smartphone hat, dass solche Dinge aufgenommen und verbreitet werden. So hat das Thema eine breitere Mehrheit erreicht. Zugleich haben wir bald Wahl in den USA. Das heißt, dass ständig neue Themen auftauchen und schnell wieder in der Versenkung verschwinden. Dabei wäre es so wichtig, dass die Black-Lives-Matter-Bewegung nachhaltig im Bewusstsein bleibt.
Wie kann das gelingen?
Key: Man muss dem Thema Aufmerksamkeit schenken, auch wenn es unangenehm ist. Und zwar so lange, bis es Regeln oder Gesetze gibt, die helfen, die Misstände zu beseitigen. Das wird nicht in ein oder zwei Jahren passieren. Dass es überhaupt so weit kommt, dass ein weißer Polizist einem Schwarzen in den Rücken schießt, während der davonläuft (so wurde drei Wochen nach dem Tod von George Floyd der Afroamerikaner Rayshard Brooks in Atlanta getötet, Anm. d. Red.), zeigt das ganze Ausmaß des systemischen Rassismus in den USA. Man hat in den letzten Jahrzehnten nie davon gehört, dass ein weißer Amerikaner auf diese Weise von der Polizei getötet worden ist.
Hoffmann: Das Gute ist, solche Fälle lassen sich nicht mehr leugnen, weil es jetzt Videoaufnahmen davon gibt. Niemand kann sich mehr rausreden und jeder sich seine eigene Meinung bilden.
Herr Key, Sie haben eine deutsche Frau, Ihre Kinder (neun und 13 Jahre alt) wachsen in der Nähe von Gießen auf. Haben die schon rassistische Erfahrungen machen müssen?
Key: Ich glaube nicht. Ich will sie nicht zu oft fragen, aber die beiden wissen, dass sie jederzeit zu mir und meiner Frau kommen können, wenn irgendetwas ist oder jemand etwas Blödes sagt. Ich habe ihnen gesagt, dass sie darauf gar nicht eingehen sollen, solange nicht eine bestimmte Grenze überschritten wird. Ich bin jetzt 52, und meiner Erfahrung nach kann man die Meinung eines anderen Menschen in diesem speziellen Moment sowieso nicht ändern.
Aber man kann die Meinung früh prägen, gerade als Eltern. Herr Hoffmann, wie wichtig ist es Ihnen und Ihrer Frau, ihr Kind weltoffen und tolerant zu erziehen?
Hoffmann: Sehr wichtig. Unser Sohn ist fünfeinhalb Monate alt und für meine Frau und mich war von Anfang an klar, dass er in die Kita kommt. Nicht nur, um soziale Kontakte zu haben, sondern vor allem, weil er mit Kindern aufwachsen soll, die eine andere Herkunft haben als er. Er soll lernen, dass wir alle gleich sind, dass wir alle die gleichen Werte haben.

Als Deutscher ist man geneigt zu denken, dass Rassismus vor allem andere Länder betrifft. Besonders institutionellen Rassismus wollen hierzulande viele nicht wahrhaben. Herr Key, Sie sind in den USA geboren und aufgewachsen und leben jetzt schon sehr lange in Deutschland. Was ist Ihr Eindruck: Gibt es auch hier systemischen Rassismus?
Key: Den gibt es in Europa genauso wie in den USA und fast überall auf der Welt. Denn das gesellschaftliche System ist nicht für People of Color entwickelt. In Amerika gab es 400 Jahre lang die Sklaverei. Und die Menschen denken, nur weil die Sklaverei zu Ende ist, ist auch der Gedanke dahinter verschwunden. Man muss sich bewusst machen, dass Weiße die Schwarzen aus Afrika entführten, weil sie sie für weniger wert hielten.
Wie im europäischen Kolonialismus ...
Key: Genau. Das war im Grund der gleiche Gedanke. Man fuhr irgendwohin und nahm anderen ihren Besitz weg, weil sie sich nicht wehren konnten. Das System bevorzugt bis heute diejenigen, die es kreiert haben. Das ist institutioneller Rassismus. Ein Beispiel aus meinem Alltag. Nachdem Frankreich bei der Fußball-WM 2018 den Titel geholt hatte, hat jemand in eine Whatsapp-Gruppe, in der ich war, ein Bild der zu gut 70 Prozent nicht-weißen Mannschaft gestellt. Mit dem ironischen Kommentar: ,Typisch französisch'. Seitdem rede ich mit diesen Leuten nicht mehr als das Nötigste. Sie verstehen nicht einmal, was sie da tun - und das ist systemischer Rassismus.

Im Unterschied dazu würde wohl nie jemand thematisieren, dass Herr Hoffmann ein weißer Mann ist.
Hoffmann: So ist es. Gut finde ich, dass die Black-Lives-Matter-Bewegung zur Sensibilisierung beigetragen hat. (Schaut Steven Key an) Ich darf die Geschichte erzählen, oder?
Key: (nickt).
Hoffmann: Wir haben in Würzburg ein Golf-Turnier gespielt. Als wir zum Platz kamen, saß einer unserer Sponsoren da, gab Steven einen Klaps und sagte: ,What's up my boy?'. Ich fand das total respektlos, auch wenn ich weiß, dass er es sicher nicht so gemeint hat und ein ganz netter Kerl ist. Ich hab an Stevens Gesichtsausdruck direkt gesehen, dass das nicht in Ordnung ist. Aber der, der das gesagt hat, der hat das gar nicht gemerkt.
Wie sind Sie damit umgegangen?
Key: Ich war stolz auf Felix, dass er es bemerkt hat.
Hoffmann: (Grinst etwas verlegen) Das ist das, was ich meinte. Man wird sensibler als Weißer. Ich würde jetzt auch nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass ich noch nie etwas gesagt habe, was diskriminierend war. Aber ich weiß, dass ich das nie mit bösem Willen getan habe. Ich frage auch jedes Jahr die Amerikaner, die neu bei uns sind, wie sie zum N-Wort stehen. Da haben wir welche, denen ist es egal, wenn du es nutzt. Und andere, die sagen, du bist für mich gestorben, wenn du das tust. Das ist für mich interessant, wie unterschiedlich das aufgenommen wird.
Key: Ich nutze das N-Wort nie. Aber mir fällt gerade noch eine andere Geschichte ein. Der beste Freund meines Sohnes hat mich immer, wenn er bei uns war, so ein bisschen skeptisch angeschaut. Als vor zwei Jahren sein Vater gestorben ist, haben mein Sohn und ich viel mit ihm unternommen. Nach etwa einem halben Jahr kam er zu mir und sagte: ,Steven, weißt du was. Ich hatte am Anfang Angst vor dir, weil du anders aussiehst. Aber mittlerweile merke ich, dass du ein richtig guter Mensch bist. (Ihm kommen die Tränen und er wendet sich ab)
Hoffmann: Das zeigt, wie sehr Dinge, die wir sagen, andere mitnehmen können. Und wir merken es oft gar nicht. Deswegen finde ich es so wichtig, dass das Thema Rassismus präsent bleibt.
Was kann der Sport zur Anti-Rassismus-Debatte beitragen?
Hoffmann: Der Mannschaftssport ist prädestiniert dafür, sich gegen Rassismus stark zu machen, weil es bei uns ums Team geht. Wir funktionieren nur als Einheit, wir müssen an einem Strang ziehen, der eine muss sich auf den anderen verlassen können. Da ist es egal, wo du herkommst und welche Hautfarbe du hast. Dazu kommt die Reichweite des Profisports.
Key: (Ringt ein wenig um Fassung) Ach (winkt ab), eigentlich hasse ich es, über das Thema Rassismus zu reden. Es ist einfach sehr emotional. Ich will mich nicht die ganze Zeit damit beschäftigen. Für mich ist das kein Thema, auch wenn ich natürlich weiß, dass es ein Thema ist.
Nur noch zwei Fragen. Wie wichtig ist es, dass sich auch Weiße in der Anti-Rassismus-Bewegung engagieren?
Key: Sehr wichtig. Wir hätten Obama nicht als Präsident gehabt in den USA, wenn nicht 20 bis 30 Prozent der Weißen gesagt hätten, wir geben ihm eine Chance. Die Mehrheit muss der Minderheit helfen.
Und was wünschen Sie beide sich für die Zukunft?
Unisono: Das Rassismus einfach irgendwann kein Thema mehr ist.