Das ist der Moment, in dem man sich als Sportler ganz alleine fühlt. Von sich selbst verraten, von der ganzen Welt im Stich gelassen. Dass Luis Zwick diesen läppischen Freistoß von Tobias Fölster in der vierten Minute der Nachspielzeit über die Hände hat rutschen lassen, statt den Ball einfach weg zu boxen, wird ihn noch länger verfolgen. Selbst wenn der FC 05 Schweinfurt trotz der dadurch besiegelten 0:1-(0:0)-Niederlage gegen den TSV Havelse am kommenden Samstag (13 Uhr) vor den Toren Hannovers den Drittliga-Aufstieg doch noch klar machen würde.
Was bedeutet der krasse Fehler für die Mentalität?
Es war Zwicks Fehler. Sekunden vor Schluss, als ein 0:0 den Schweinfurtern eine gute Ausgangsposition für das Rückspiel offen zu halten schien - trotz mäßiger Leistung. Aber der 27-Jährige konnte sich auf seine Kollegen verlassen. Florian Pieper war als Erster bei ihm, nahm ihn in den Arm. Die Oldies Daniel Adlung ("wir werden in Havelse das Spiel für Luis ziehen, er hat uns zuvor im Spiel gehalten") und Adam Jabiri ("Fehler machen wir gemeinsam") nahmen den Druck genauso von ihm wie Trainer Tobias Strobl, der noch auf dem Feld lautstark zur Mannschaft sprach: "Wir haben nur die erste Halbzeit verloren. Wir sind heute nicht nicht aufgestiegen. Geknickt können wir sein. Aber das muss in den Glauben übergehen, nächste Woche das große Ding zu schaffen."
Dass die Mannschaft sich anschließend Arm in Arm den Fans präsentierte, diese ihr das Vertrauen lautstark aussprachen, zeigt: Das Gemeinschaftsgefüge dürfte intakt sein. Die Rückkehr der viel gepriesenen Selbstverständlichkeit bei den Play-off-Siegen gegen die bayerische Konkurrenz ist nun primäre Aufgabe des Trainer-Teams. Nach einer Analyse-Einheit am Sonntag, hat die Mannschaft am Montag einen Tag frei, "um den Kopf frei zu bekommen", so Strobl.
War die Niederlage auch eine Frage der Physis?
Über die physischen Grenzen ging kaum ein Grün-Weißer. Zwar präsentierte sich die Strobl-Elf, in der Innenverteidiger Lukas Billick (muskuläre Probleme) kurzfristig durch Philipp Maier ersetzt werden musste, kompakt und engagiert, doch ohne die Wucht der Play-off-Auftritte - gerade auf den Außenbahnen, wo die Tempo-Spieler Amar Suljic und Martin Thomann kaum durchkamen. Der FC 05 neutralisiete sich über weite Strecken mit den engmaschigen, schnell umschaltenden und bei Standards stets gefährlichen Gästen. Eine "Abnutzungsschlacht" mit einem Gegner, der physisch ein anderes Kaliber ist als Bayreuth es war.
Ohne, dass Jabiri es auf Schweinfurter Substanzverlust schieben wollte angesichts der vorangegangenen sieben Pflichtspiele binnen drei Wochen, während Havelse seit Oktober 2020 keines mehr absolviert hatte: "Das Körperliche hat damit nichts zu tun. Fußball ist in solchen Entscheidungsspielen ein Kopfspiel. Havelse war griffiger und frischer, hatte mehr zweite Bälle als unsere bisherigen Gegner." Adlung wertete es ähnlich, kritisierte, "dass wir zu viele Standards zugelassen haben", Mittelfeld-Kollege Kevin Fery, "dass wir einfach nicht die Leistung der letzten Wochen auf den Platz gebracht haben."
Warum hat der FC 05 kaum Tormöglichkeiten gehabt?
Durchkommen gab's für beide Teams, die vor dem letzten Spieldrittel spürbar Kräfte gelassen hatten, nur selten. Havelse hatte seine größte Szene schon nach drei Minuten, als nach einer Ecke Zwick erst glänzend gegen Kevin Schumachers Kopfball reagierte und Jabiri den Nachschuss Fölsters auf der Linie klärte. Schumacher traf den Außenpfosten (62.). Für Schweinfurt scheiterte Adlung per Kopf an der Querlatte (20.), Florian Pieper an Torhüter Norman Quindt (89.). Mehr ging beim FC 05, der in den Play-offs noch mit Chancen wucherte, nicht in Richtung Tor. Weil "wir im letzten Ball einfach zu unsauber waren", so Strobl, der vergeblich auf "den Lucky Punch" hoffte. Selbst Strafraum-Schreck Jabiri unterliefen Annahmefehler, die Abschlüsse im Keim erstickten.
Woraus der 37-Jährige, zuletzt in sechs Spielen sechs Mal erfolgreich, keinen Hehl machte. "Wir haben vorne oft die falsche Entscheidung getroffen. Uns hat die Leichtigkeit durch ein 1:0 gefehlt, um in den Flow zu kommen. Jetzt müssen wir uns halt wehren." Dass Jabiri sich mit dem 1,94 m großen TSV-Innenverteidiger Niklas Tasky ein Schwergewichts-Duell der intensiven Sorte liefern würde, hatte er erwartet: "Ich habe schon gegen Kaiserslautern II gegen ihn gespielt. Das macht Spaß. Und wir wollen immer noch in die Dritte Liga - da werden die Spieler nicht kleiner."
Kann der FC 05 in Havelse doch noch aufsteigen?
Dieses "große Ding zu schaffen" (Strobl), ist natürlich trotz des 0:1 machbar. Havelse hat sich einen enormen Vorteil verschafft, kommt mit einem Remis schon zurecht. Aber: Die blanken Zahlen haben sich durch das Tor nur geringfügig verschoben. Statt eines 0:0 muss jetzt eben ein Tor her, um zumindest eine Verlängerung zu erzwingen. Jeder andere Sieg mit einem Tor Differenz Unterschied würde dank der Auswärtstorregel reichen, ein höherer sowieso. Jabiri zieht sogar Positives aus dem späten Zeitpunkt des Gegentores: "Wir bekommen das erst in der Nachspielzeit, obwohl wir zuvor 93 Minuten nicht gut gespielt haben. Wenn wir in Havelse also wieder zu unserem Spiel finden, dann können wir über 90 Minuten auch gewinnen."
Dafür müsse, so Adlung, "aber Jeder eine Schippe drauf legen. Havelse ist schon eine andere Nummer als die Gegner in den Play-offs". Für Strobl nicht überraschend: "Der schwierigste Aufstieg im deutschen Fußball ist der in die Dritte Liga. Da verändert sich für die Vereine alles: Stadien, Verträge, Qualität." Die Qualität eines Kontrahenten, der da genauso da hin will wie der FC 05, wurde - defensiv wie taktisch Verhalten - den Schweinfurtern brutal offenbart.
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