Es scheppert von den Rängen. "Te te te te te teeeee, es es es es es eeeees, vau vau vau vau vau vauuuuu – forza TSV." Blau und gelb wehen die Fahnen. 100 Fans plärren. Und vorne steht dieser Typ mit dem Megaphon: Moritz Rottmann. Der Capo. Der Vorsänger. Ein ganz normaler Spieltag in der Bezirksliga Ost. Ein fast normaler. Es spielt der TSV Ettleben. Und da ist meist mehr Rambazamba als auf einem x-beliebigen Amateur-Fußballplatz.
Wo bei Auswärtsspielen die Einheimischen schon mal sagen oder zumindest denken: "Die ham doch 'n Schuss." Rottmann lächelt ud sagt: "Wenn die Spieler sich bedanken. Dann weißt du, dass du alles richtig gemacht hast. Das entschädigt für alles." Die Krönung: "Wenn einer vom Gegner kommt und sagt: Kann man dich abkaufen?" Kann man nicht. Der 30-Jährige lebt "seinen" TSV Ettleben.
Und er lebt die Sache mit den Ultras vom Dorf. Oder sind's am Ende doch nur "normale" Fans? "Tatsächlich eine Mischung, je nach Anlass", mag sich Rottmann nicht entscheiden. "Bei besonderen Spielen in der Meisterschaft oder im Pokalwettbewerb oder in der Relegation kann man von Ultras sprechen. Die Choreografien und Aktionen, die wir uns überlegen, sind schon profimäßig. Also in Anführungszeichen vielleicht."
Die Anführungszechen braucht es nicht. Zumindest heute. Zu Gast ist die zweite Mannschaft der FT Schweinfurt. Und die Ettlebener gegen Gas. Rottmann ist schon seit 12 Uhr auf den Beinen, muss sich selbst ("die Stimme will geölt sein") und mit ein paar Kollegen diverse Fan-Utensilien vorbereiten. Sechs, sieben Mann sind's meist, die sich kreativ einbringen, Choreographien entwerfen und den dazugehörigen Kram besorgen.
Erfahrung aus den Fankurven des Club und der Bayern
Wie die einheitlich-hellblauen Regencapes vor ein paar Wochen in der Relegation zur Kreisklasse. Die TSV-Reserve verpasste zwar mit 0:4 gegen Gädheim den Aufstieg, ein Hingucker waren die Fans dennoch. "Bei solchen Highlight-Spielen sind wir um die 100 Leuten, die wirklich mitsingen. Sonst um die 40, 50", so Rottmann.
Der gerade den Stakkato-Song "Forza Te Es Vau" anstimmt und später erklärt, dass das ursprünglich ein Dresdner Ding ist: "Dü dü dü dü dü dü düüüüü, na na na na na na naaaaa, mo mo mo mo mo mo mooooo, forza Dynamo." An solch Liedgut kommen die Ettlebener, weil einige Mitglieder auch in den Fankurven des 1. FC Nürnberg oder des FC Bayern daheim sind. Wie Thomas und Leon Baucke. Vater und Sohn, selbst Spieler beim TSV, reisen den Münchnern durch die Stadien Europas hinterher.
Sie trugen im Mai für das letztlich mit 1:2 verlorene Kreispokal-Endspiel in Oberschwarzach 24 Fan-Songs zusammen, idichteten sie im Kollektiv um und vervielfältigten sie auf Din-A-4-Zetteln. André Handel und Helmut Übner vom TSV-Fanklub "Enz geht noch" arbeiteten Wanderrouten zum Spielort aus. Die längste 35 Kilometer. "Was wir da auf die Beine gestellt haben, steht den FC-05-Fans in nichts nach", sagt Rottmann. Er muss es wissen: Er ist neuer Stadionsprecher der Nullfünfer. Und war mal in deren Fanszene aktiv. Bis er sich dachte: Mensch, das geht auch beim TSV.
Was bei Thomas Baucke für Begeisterung sorgte: "Moritz ist gigantisch. Überragend, wie er seine Art von Begeisterung für Fußball auf die anderen überträgt. Und sensationell, was sich da über die Jahre entwickelt hat." Der Inhaber eines Elektrotechnik-Betriebs war zuletzt bei elf EM-Spielen in Stadien und früher als Fan der deutschen Nationalmannschaft bei zahlreichen Großveranstaltungen unterwegs. Der 54-Jährige hüpft vor dem Block herum und wedelt mit den Armen – wie ein Animateur im Beach-Club.
Das Gespür für Menschen und den richtigen Moment
Moritz Rottmann studiert Management im Gesundheitswesen und arbeitet nebenher im Außendienst. Er war mal Kapitän der Ettlebener Zweiten, hat aufgehört. Am Wochenende bleibt der Fußball sein Ventil. Die Frage, wer bei den Teilzeit-Ultras den Ton angeben soll, war nie eine. "Ich bin jemand, der gerne, laut und zugegeben auch gut redet – dementsprechend war klar, wer der Vorsänger wird." Was muss ein Capo sonst können? "Man braucht die Spontanität, im richtigen Moment das Lied anzustimmen, das die Mannschaft motiviert. Und ein Gespür für Menschen. Es singen anfangs nicht gleich alle mit. Das Animieren kann mühsam sein."
Nicht so im Mai 2017. Da wurde der TSV mit Spielertrainer Christoph Weeth Zweiter in der Kreisklasse Schweinfurt 1, spielte Relegation und verpasste nach drei Partien den Aufstieg in die Kreisliga. "Während der Serie hat sich was entwickelt", sagt Rottmann. "Einer hatte ein Megaphon, das habe ich genommen und habe Fangesänge angestimmt." 2018, wieder Relegation. "Da haben wir unsere Aktionen erstmals richtig geplant."
Es wurde ein denkwürdiges Spiel auf dem Gelände der FT Schweinfurt auf der Maibacher Höh: Die Spfr. Unterhohenried führte 5:0, der TSV Ettleben/Werneck, wie der Verein vor dem Bezirksliga-Aufstieg noch heißt, gewann mit 6:5. Siegtor: 90. Minute. "Da sind alle, wirklich alle mitgegangen und haben mitgesungen", so Rottmann. "Da haben wir gesagt: Jetzt machen wir das professionell. Im zweiten Relegationsspiel hatten wir eine richtige Choreografie und haben Konfetti verschossen." Der TSV verlor trotzdem mit 0:2 gegen die DJK Schweinfurt – und stieg erst 2019 als Meister auf.
Rassistischer Vorfall? Wenn die Gruppen-Ethik auf dem Prüfstand steht
Die vergangenen fünf Jahre waren die sportlich erfolgreichste Zeit des Vereins. Dass die Fans einen Anteil daran hätten, mag Rottmann nicht beanspruchen, aber: "Es hat auch mit uns zu tun, dass der ganze Verein strahlt." Positiv wohlgemerkt. Dass Ultras auch mal für negative Schlagzeilen sorgen, kommt weder in Ettleben noch bei den Gegnern an. "Nie wurde uns unterstellt, gewalttätig zu sein. Bei uns gibt es auch definitiv keine Bengalos. Wir wissen, dass wir damit den Verein finanziell schädigen würden. Bei uns gilt: immer fair bleiben. Wir pfeifen niemanden aus, unser Fokus gilt unserer Mannschaft."
Gegen die FTS II steht diese Gruppen-Ethik auf dem Prüfstand. Nach einer Rangelei zweier Spieler zeigt Schiedsrichter Steffen Ehwald dem Ettlebener Gelb. Ein Zwischenruf. Turner-Trainer Benny Freund hört "du schwarze Sau" – gemünzt auf den dunkelhäutigen Gästespieler. Rottmann beteuert, es sei "der Schwarze auch" gerufen worden – ebenfalls Gelb fordernd. Die Abteilungsleitung habe das Gespräch mit dem Schiri gesucht, der offenbar Variante eins notiert. Rottmann: "Wir haben den Rufenden gebeten, das Sportgelände zu verlassen, um für Ruhe zu sorgen. Wir lehnen Rassismus aufs Schärfste ab. Das ist keine Worthülse. Ich werde echt sauer, wenn ich etwas in der Art höre."
Am Ende gewinnt das erste Heimspiel der Saison der von Stefan Riegler trainierte TSV Ettleben mit 5:0 gegen die FTS II. Tabellenführer. Party bei den Fans. Die davon träumen, dass es zum Saisonende hin wieder ein Highlight-Spiel geben könnte.
Als sich der Zwischenfall im Spiel zwischen dem TSV Ettleben und der FT Schweinfurt II am ersten August-Sonntag ereignete, waren große Teile dieses Textes bereits geschrieben, die Bilder gemacht. Eine Meldung des Schiedsrichters an das Sportgericht liegt vor. Wegen des schwebenden Verfahrens äußern sich beide auf Anfrage dieser Redaktion nicht.