Es ist noch gar nicht so lange her, da galt Markus Söder als ewiger Thronfolger, als eine Art Prinz Charles der CSU, und Bernd Händel, der Sitzungspräsident von „Fastnacht in Franken“, rief dem Ministerpräsidenten Horst Seehofer zu: „Stimmt es, dass Söder erst ran darf, wenn Reiner Calmund seinen Diätplan einhält und der Berliner Flughafen eröffnet ist?“
Händels Sticheleien
So ändern sich die Zeiten: Der kugelrunde Calmund schlemmt sich noch immer durch jedes Buffet zwischen Kiel und Konstanz und am Berliner Flughafen fliegen höchstens Schmetterlinge, aber Markus Söder wird, wenn ihm nicht der Himmel auf den Kopf fällt, in wenigen Wochen bayerischer Ministerpräsident sein. „Dass das so schnell geht, hätte ich nicht gedacht“, sagt Bernd Händel heute, „aber es gibt ja auch keine Alternativen in der CSU.“
Markus Söder und die Fastnacht also. Wer den 51-jährigen Nürnberger in den vergangenen Jahren beobachtet hat in diesem fränkischen Reich aus Luftschlangen und Konfettiregen, der konnte sich bisweilen des Eindrucks nicht erwehren: Da fremdelt einer mit der Fastnacht. Andererseits sind da seine fantasiereichen Kostümierungen: Er war Punker mit Irokesenfrisur, Marilyn Monroe mit Federboa, die Trickfigur Shrek, er war Gandalf und Gandhi, Tante Waltraud und Homer Simpson – und er war tatsächlich schon mal Ministerpräsident, kam als Edmund Stoiber. Diese kleine Blasphemie im Angesicht mit dem realen Horst Seehofer hatte was.
Endstation Sehnsucht
Markus Söder sagt, dass er seine Verkleidungen immer auch mit Hintergedanken auswählt: Sein „Hast Du mal nen Euro?“ als Punker spielte auf den Länderfinanzausgleich an, seine Marilyn auf die Frauenquote. Und Stoiber? Klar, dass die Maskerade als Metapher für die Endstation Sehnsucht des Markus Söder steht: Das Amt des Ministerpräsidenten.
Nun hat er das Ziel bald erreicht, und neulich, beim Neujahrsempfang der CSU in Bad Kissingen, da tritt die Wandlung des Politik-Haudraufs zum Volksvertreter schon auffallend deutlich zutage. Söder als Sprachrohr des kleinen Mannes. Die Zukunft des Landes sieht er in Fachwerkhäusern und nicht in München, „wo auf dem Marienplatz fast kein Bayer zu finden ist“. In der Kurstadt ist der Noch-Finanzminister schon ganz Landesvater.
Im Zwiegespräch draußen mit den Nationalparksdemonstranten und drinnen am Rednerpult im prächtigen Regentenbau, da kokettiert Söder auffällig oft mit jenem Amt, auf das er schon so lange wartet: Er freue sich auf zwei Empfänge, die er als Ministerpräsident in diesem Jahr geben dürfe: Die Meisterfeier des FC Bayern und den Aufstieg des 1. FC Nürnberg. Und: „Ohne Bad Kissingen gäbe es mich nicht und auch bald keinen fränkischen Ministerpräsidenten.“ In Bad Kissingen lernten sich seine Großeltern kennen.
Laptop und Lebkuchen
Söder hält eine launige Rede, spricht von Laptop und Lebkuchen, wenn er einen bayerischen Vergleich für Fortschritt und Tradition sucht. Er sagt, was die Menschen hier hören wollen, und dann sagt er noch einen Satz, der auch passen könnte zu ihm und der Fastnacht: „Franken sind total euphorisch und kontaktfreudig, sie haben sich nur dafür entschieden, dass es keiner merken soll.“ Es gibt langen Applaus, und draußen, im Foyer, wird der CSU-Landtagsabgeordnete Sandro Kirchner später sagen: „Markus ist authentisch, humorvoll, pointiert und nicht nachtragend. Er kann auch über sich selbst lachen.“
Komödiant Rassau: Söder wird uns viel Stoff liefern
Ein paar Tage zuvor. Ein Sonntagmittag in der Vinothek des Staatlichen Hofkellers nahe der Würzburger Residenz. Die Aufzeichnung der Närrischen Weinprobe steht an, der Bayerische Rundfunk hat zur Pressekonferenz geladen. Es gibt Krapfen, Silvaner. Auf dem Tisch liegen Luftschlangen. Der Komödiant Martin Rassau ist der zebrafellbekleidete Teil des fränkischen Legenden-Duos „Waltraud & Mariechen“, der Fürther hat sich oft an Markus Söder abgearbeitet. Der CSU-Politiker gilt ja nicht als Mann mit Samthandschuhen. Scharfmacher. Populist. Fischer am rechten Rand – das sind schon eher Titel, mit denen der Hardliner Söder versehen wurde: Die Axt der CSU schlug dahin, wo es wehtut.
Rassau hat Söder dafür auf der Bühne oft scharf rangenommen, plagen einen wie ihn jetzt nicht Rücktrittgedanken, wenn es der Kritisierte nun sogar auf den Sessel des Ministerpräsidenten schafft? „Nein“, sagt Rassau, „das wird der erste Ministerpräsident sein, mit dem ich per Du bin. Und er wird uns schon viel Stoff liefern, da bin ich sicher.“
Verliebt sich Amanda neu?
Schwierig dürfte es nur für das horstvernarrte Nilpferd Amanda seines Künstler-Kollegen Sebastian Reich werden, „das muss sich umverlieben“, so Rassau. Er wird mit großer Spannung den weiteren Werdegang verfolgen, „denn was macht einer, der mit 51 Jahren sein Lebensziel erreicht hat?“ Der Fürther glaubt, „dass die Popularität der Sendung und die enorme Verbreitung der Bilder Söder sicher geholfen haben“. Trotzdem vermutet Martin Rassau, dass er in diesem Jahr zum letzten Mal richtig verkleidet kommt.
Söder: Es empfiehlt sich ein Schluck Frankenwein
Hat Markus Söder seine Verkleidungen also mit Kalkül eingesetzt? „Ich halte ihn für so clever“, sagt Bernhard Schlereth, Präsident des Fastnacht-Verband Franken und selbst SPD-Kommunalpolitiker. Söder habe sich nie über zu scharfe Witze beschwert. „Er weiß ja auch: Schlimmer ist es nur, wenn man gar nicht erwähnt wird.“ Markus Söder selbst findet, „dass Politiker mehr aushalten als die meisten denken“.
Für ihn gebe es beim Humor keine Obergrenze, keine Tabuzone. Er könnte auch sagen: Wer austeilt, muss auch einstecken können. „Ich habe es in der Regel nie als zu schlimm empfunden, und wenn tatsächlich mal einer auf der Bühne über die Stränge schlägt und verletzend agiert, dann ist es meist auch nicht lustig.“ Außerdem, sagt Söder noch: „Am Nockherberg empfiehlt sich ein Schluck Starkbier, in Veitshöchheim ein guter Schluck Frankenwein.“
Medienpsychologin: Menschen mögen Fasching
Natürlich weiß Söder, dass ihm die Bilder nützen. Darum geht es doch: Sehen und gesehen werden. „Fastnacht in Franken“ stellt immer neue Rekorde auf. 2017 schalteten 4,47 Millionen Zuschauer ein – Bestmarke.
Auch Medienpsychologin Astrid Carolus von der Universität Würzburg glaubt, dass Markus Söder bewusst auffällige Verkleidungen wie Shrek oder Simpson wählt, statt nur ein Hütchen aufzusetzen. „Die Menschen mögen Fasching, es ist ein positiv besetztes Ereignis. Söder ist dort umgeben von Menschen, die gut drauf sind. Das sind positive Bilder, die beim Betrachter einen anderen Effekt erzeugen als beispielsweise Bilder von späten Stunden eines Parteitages, bei dem alle eher angestrengt oder müde aussehen.“
Die Medien, sagt Carolus, können Menschen beeinflussen. „Aber der Effekt, er ist deutlich kleiner als mancher intuitiv vermuten würde.“ Viel wichtiger sei das persönliche Umfeld. „Eine Wahlentscheidung hängt also von vielen Faktoren ab und nicht nur von den Medien und schon gar nicht von einem Kostüm.“
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Wirkung des Fernsehens wird unterschätzt
Allerdings sagt sie auch: „Medienpräsenz ist relevant im Wahlkampf, sowohl in den klassischen Medien als auch im Social-Media-Bereich.“ Während etwa Twitter in Deutschland in seiner Wirkung überschätzt werde, es gibt hierzulande nicht einmal fünf Prozent Nutzer, „wird das Fernsehen eher unterschätzt“, so Carolus. „Strategisch betracht ist Fernsehen immer noch relevant. Vor allem ältere Menschen – eine wichtige Zielgruppe konservativer Parteien – lassen sich auf diese Art und Weise wunderbar erreichen.“
Markus Söder selbst mag gar nicht so viel interpretieren. Er freut sich auf „Fastnacht in Franken“, das er als eine „Seelenschau der Franken“ preist, auch wenn die Maskierungen „eine lange Vorbereitung und eine noch längere Nachbearbeitung erfordern“, sagt er. „Farbe auf die Haut zu bekommen, ist nicht schwer. Sie nachts wieder runter zu bringen allerdings schon. Ob das Grün vom Shrek oder das Gelb der Simpsons, am Morgen danach sieht man nur noch rot aus.“
Zwischen Politik und Humor findet Söder schon auch Gemeinsamkeiten: „In beiden Feldern muss man wissen, dass man alles nicht so ernst nehmen darf. Es gibt immer einen nächsten Tag. Ich versuche, auch in schwierigen Zeiten meinen Humor nicht zu verlieren.“
Kommt Söder künftig im Smoking nach Veitshöchheim?
Sein Kostüm für Veitshöchheim am 2. Februar verrät Markus Söder nicht. „Schaun mer mal“, beckenbauert er. Und nächstes Jahr? Wird er sich als Ministerpräsident immer noch so fantasiereich verkleiden? Er und seine Berater werden alles genau abwägen, glaubt Medienpsychologin Astrid Carolus. Seine Kostüme bislang seien kein Zufall gewesen. Bisher werde Söder bundesweit in der Öffentlichkeit eher als Landespolitiker wahrgenommen, „das wird als Ministerpräsident anders sein. Es wird interessant sein zu verfolgen, wie er diese Rolle interpretieren wird.“
Markus Söder selbst hat sich noch nicht entschieden, ob er sich als Landesvater auch das Gesicht anmalen wird, aber zwischen den Zeilen gibt er doch eine leise Ahnung davon preis, wie es weitergehen könnte. „Klar ist, wenn man mal das Amt des Ministerpräsidenten innehat, dann ist das anders“, sagt Söder. „Das Kostüm des Ministerpräsidenten an diesem Abend in Veitshöchheim ist der Smoking.“