Melina ist ein fröhliches Kind. Wenn sie lacht, geht die Sonne auf. "Bald werde ich acht", sagt sie stolz. Während sie von ihren Schulfreunden aus der 2. Klasse erzählt und von ihren Hasen und Hühnern, sucht sie schon nach passenden Buntstiften und widmet sich dann ihrem Malbuch – die meisten Seiten sind schon voll.
Melina ist ein glückliches Kind, aber auch ein Kind, das viel durchgemacht hat. Das Leben des Mädchens hing mehr als einmal am seidenen Faden. "Mein Vater ist in der Stunde, in der Melina zur Welt kam, an Krebs gestorben", sagt Melinas Mutter Ursula Hubert (38) aus Marktsteinach (Lkr. Schweinfurt). "Es war immer meine Angst, dass mein Kind Krebs bekommen könnte." Eine Angst, die am 17. Januar 2018 Realität werden sollte. "Melina war schlapp, hatte blaue Flecken, die Lymphknoten waren geschwollen", sagt ihre Mutter. "Wir wussten, da stimmt was nicht."
Irgendwann sagt die Mutter: "Ich habe nur noch funktioniert"
Nach den Untersuchungen war schnell klar: Melina hat Leukämie, Blutkrebs. Noch am selben Abend kam das damals dreijährige Mädchen in die onkologische Kinderstation der Uniklinik Würzburg, besser bekannt als "Station Regenbogen". Ursula Hubert erinnert sich gut an diese aufwühlende Zeit: "Ich war wochenlang mit Melina auf Station, mein Mann André hat uns jeden Tag besucht. Melina hat tapfer alle Behandlungen und Chemotherapien mitgemacht."
Das Leben war aus den Fugen: "Ich habe nur noch funktioniert", sagt die Mutter. "Man sitzt machtlos daneben und kann nichts tun." Kraft und Zuversicht gibt ihr neben ihrem Mann auch Melina selbst. "Mama, heute war ein schlimmer Tag, aber morgen kommt ein neuer", zitiert sie ihre Tochter, die von Anfang an den Kampf gegen den Krebs beherzt aufgenommen habe.
Im Oktober 2018 waren nach Abschluss der Intensivtherapie tatsächlich keine Krebszellen mehr da. "Im Januar 2019 durften wir auf Familien-Reha nach Sylt, um wieder zurück ins Leben zu finden", sagt Ursula Hubert. Es war eine kurze Zeit des Aufatmens. Bei einer Nachuntersuchung im März 2019 zeigte das Blutbild von Melina Auffälligkeiten: "Mein Bauchgefühl sagte mir, dass dies nicht, wie von ärztlicher Seite zunächst vermutet, von einer eben überstandenen Influenza kommen könne."
Dann der Schock nach über einem Jahr: Der Krebs war zurück
Nach solchen Untersuchungen ging die Familie immer in eine Kapelle, um Kerzen anzuzünden. Plötzlich klingelte das Telefon: "Frau Hubert, bitte kommen Sie zurück, wir müssen reden." Die Erinnerung an das Telefonat ist noch präsent. "Von da an war mir schlecht." Ihr Bauchgefühl hatte Ursula Hubert leider rechtgegeben. Der Krebs war zurück.
"Mir riss es den Boden unter den Füßen weg", sagt die Mutter, "es war noch schlimmer als bei der ersten Diagnose, weil wir wussten, was auf uns und Melina zukommt". Darüber hinaus war klar: Melina braucht eine Stammzellenspende. Wieder wurde die "Station Regenbogen" zum Zuhause und einem Ort der Hoffnung. Und wieder war es Melina, die nie an sich zweifelte: "Mama, ich box die bösen Zellen wieder weg, den Rest macht mein Doktor."
Worte, die Ursula Hubert nie vergessen wird. Worte, mit denen die Tochter ihre weinende Mutter tröstete.
Die Behandlung war intensiv: Monatelange Hochdosis-Chemos, vier Wochen Antikörper-Therapie, sechs Ganzkörperbestrahlungen. "Es war wie ein schlechter Film. Man hat nur funktioniert, gebetet und versucht, nicht die Nerven zu verlieren", sagt die Mutter. Kleinen Fortschritten folgten Rückschläge und Komplikationen – und dann kam die erlösende Nachricht, dass ein Stammzellenspender, ein sogenannter "genetischer Zwilling" gefunden sei.
Zur Vorbereitung auf die Stammzellenspende wurde Melinas Immunsystem heruntergefahren, selbst die Mutter durfte nur mit vollem Infektionsschutz zu ihr. Am 21. August 2019 wurde die Stammzellenspende transplantiert, "ein Beutel voller Hoffnung, dessen Inhalt langsam in Melinas Körper tropfte".
Die Hoffnung wurde jedoch auf harte Proben gestellt. Denn Melinas kleiner Körper war überfordert von den "vielen neuen Kämpfer-Zellen". Sie kollabierte und bekam Blutungen, ihre Mutter war Tag und Nacht an ihrer Seite. "Mein Mann soll kommen, es schaut nicht gut aus", auch solche Telefonate gab es nach der Stammzellenspende, berichtet Ursula Hubert.
Knochenmarkspende: Wie funktioniert die Typisierung?
Für Melina ist ihr Stammzellenspender heute fast so etwas wie ein Bruder
Doch "Melina ist ein echtes Wunder, mit vielen Schutzengeln", trotz der Rückschläge stabilisierte sich die kleine Kämpferin, die heute selbstbewusst verkündet, dass sie Tierärztin werden will. Die Stammzellen sind angewachsen, Melina hat nun die Blutgruppe ihres Spenders und "das normale Blutbild einer Siebenjährigen", wie eine weitere Untersuchung ergab.
Heute feiert sie zweimal im Jahr Geburtstag: Am 1. April, dem Tag, der in der Geburtsurkunde steht, und am 21. August, dem Tag der Stammzellenspende.
Aktuell muss sie alle drei Monate zur Kontrolle, halbjährlich steht eine größere Nachsorge-Untersuchung an. "Danach zündet Melina immer drei Kerzen an, eine für sich, eine für alle kranken Kinder und eine für die Engel im Himmel."
Inzwischen hat Melina ihren 29-jährigen Stammzellenspender Lukas, der demnächst selber Vater wird, kennenlernen dürfen. "Unglaublich, wie ähnlich sie sich sind, welche gemeinsamen Vorlieben sie haben", so Ursula Hubert über den jungen Mann, der nur seinen Vornamen veröffentlicht wissen will. Man habe rasch gemerkt, dass die beiden "genetische Zwillinge" sind. Für Melina ist Lukas ein Held und mittlerweile fast so etwas wie ein großer Bruder.
Aber nicht nur auf medizinischem Gebiet gab es "Wunder", die dazu beitrugen, dass Melina als Siegerin aus diesem Kampf hervorgehen konnte, ist sich die Mutter sicher. Eines dieser Wunder, so Ursula und André Hubert, sei die Solidarität der Dorfgemeinschaft in der Großgemeinde Schonungen gewesen, zu der Marktsteinach gehört.
Als Melina zum ersten Mal als gesund galt, wünschte sie sich ein großes Fest. Ein Fest, so die Eltern, bei dem Organisationen, die sich um betroffene Kinder kümmern, etwas zurückgegeben werden sollte, weshalb der "Förderverein für krebskranke Kinder Hambach" ins Boot geholt wurde. Alles war geplant, als die niederschmetternde Nachricht kam, dass Melina erneut erkrankt ist.
Für die Familie Hubert, die dieses Fest nicht weiter organisieren konnte, sprangen Freunde und Vereine in die Bresche. Die stellten nach dem Motto "Jetzt erst recht" im Mai 2019 gemeinsam mit 150 Helferinnen und Helfern das Benefizfest "Marktsteinach hilft" auf die Beine.
Es wurde nicht nur gefeiert und für den guten Zweck gesammelt. In der Kirche fand eine Typisierung für die Deutsche Knochenmarkspende (DKMS) statt. 396 Menschen ließen sich erfassen, 5000 Euro wurden für die DKMS gespendet. Bratwürste, Getränke, fast alles, was man für ein Fest braucht, wurde gesponsert, so kamen 40 000 Euro an Spenden und Einnahmen für die gute Sache zusammen.
Am 21. August 2021, dem zweiten Jahrestag der Stammzellenspende, übergab Melina Schecks mit jeweils 10 000 Euro an das Malteser-Palliativteam, die Elterninitiative der Station Regenbogen und den Hambacher Förderverein krebskranker Kinder. Die Stefan-Morsch-Stiftung, über die sich der Stammzellenspender hatte typisieren lassen, bekam 5000 Euro und auch an die DKMS gingen noch einmal 5000 Euro.
Auch Andre Huberts Chef bewies ein großes Herz und die Belegschaft des Fruchtverwerters Mainfrucht aus Gochsheim arbeitete für ihren Kollegen Arbeitszeit herein oder spendete Urlaub. Auf einem "Zeitscheck" in Form einer großen "Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung" verordneten ihm die Kolleginnen und Kollegen 68 Tage "Zeit mit der Familie", die willkommen war, als er täglich nach Würzburg zu Frau und Kind in die Klinik fuhr.
"Man fragt sich, wie man alles geschafft hat", sagt André Hubert rückblickend. "Wir wissen aber auch, dass wir sehr viel Glück hatten", fügt seine Frau Ursula an, "wir haben auch viele Kinder in Melinas Situation gesehen, die den Kampf gegen den Krebs verloren haben".