Markus Haberstumpf hat eine Geste, mit der er im Gespräch auf Fragen reagiert: Er hebt fast entschuldigend die Hände, wedelt auf und ab, als wolle er sagen: "Ich war's nicht." Dabei grinst der Bürgermeister von Waldbrunn mit einer Mischung aus Verlegenheit und Stolz.
Das läuft dann etwa so: "Ganzen Landstrichen fehlen die Hausärzte, während Waldbrunn ein medizinisches Versorgungszentrum samt Apotheke und Physiotherapeut bekommt?" Haberstumpf wedelt mit den Händen und grinst. "Den Waldbrunnern hat ein Supermarkt gefehlt - jetzt wird ein Tegut gebaut und obendrüber gleich 15 barrierefreie Wohnungen?" Die Hände wedeln, die Mundwinkel ziehen sich zum Grinsen.
Waldbrunn kriegt das hin, was sich andere Gemeinden sehnlichst wünschen. Warum?
"Nebendran verkauft die Gemeinde grad die ersten Grundstücke im nigelnagelneuen Gewerbegebiet?" Grinsen. Wedeln. "Und da vorne, neben dem Pausenhof, der gerade neu gestaltet wird, kommt eine neue Ortsmitte, ein Marktplatz mit Mehrgenerationenhaus, Mittagsbetreuung für Schulkinder und einer Bücherei hin?" Der 39-Jährige setzt an zu seiner Geste. "Ach, und bei der neuen Veranstaltungshalle, da ist grad der Rohbau fertig?" Jetzt hebt Haberstumpf den Finger: "Die hat schon mein Vorgänger geplant!"
Es läuft in Waldbrunn. Und zwar so richtig. Was in anderen Dörfern fehlt, stampft die 3000-Einwohner-Gemeinde im Landkreis Würzburg nur so aus dem Boden. Was ist das Geheimnis? "Vielleicht haben wir einfach gute Ideen - und geben nicht auf", überlegt Haberstumpf laut.
Nahversorger statt Ladensterben: Wie Waldbrunn einen Supermarkt bekommt, obwohl wirtschaftlich einiges dagegen spricht
Der neue Supermarkt am Ortseingang ist eine dieser Ideen: Seit Jahren war der Wunsch nach einem Nahversorger groß. "Schön ist es hier, aber man kann halt nichts einkaufen", das hört der Bürgermeister seit seiner Wahl 2020 ständig. Also geht er es an.
2021 beauftragt die Gemeinde eine Studie: Welche Art von Geschäft wollen die Waldbrunner? Wo kaufen sie aktuell ein? Das Ergebnis: Ein Dorfladen wäre Quatsch. Wenn, dann soll es ein Supermarkt sein, in dem man den Wocheneinkauf erledigen kann - so wie es die meisten gerade im Nachbarort Eisingen tun. Also geht die Gemeinde bei den großen Marktbetreibern Klinken putzen. Die Resonanz: ernüchternd. Der Ort ist zu klein, die Konkurrenz außen rum zu groß. Private Lebensmittelhändler rechnen nicht mit großem Geld in Waldbrunn. "Da wurde uns klar, dass wir eine cleverere Lösung brauchen", erinnert sich der Bürgermeister.
Und er findet sie: Statt mit einem kommerziellen Betreiber tut sich die Gemeinde mit dem St.Josef-Stift aus Eisingen, einer Einrichtung für behinderte Menschen, zusammen. Das Stift wird die Tegut-Filiale mit über 6000 Produkten - mehr als ein herkömmlicher Discounter - als Inklusionsprojekt betreiben. Den Bauherrn zieht die Gemeinde mit einem Deal an Land: Ein privater Investor, der Wohnungen im Ort bauen will, bekommt den Zuschlag für das Grundstück - wenn er dafür den Supermarkt gleich mit baut.
"Ganz klar 'ne Win-Win-Lösung", sagt Stift-Geschäftsführer Marco Warnhoff zu diesem Deal. "Als Inklusionsprojekt wird das Vorhaben gefördert, Gewinnabsichten gibt es keine, für unsere Mitarbeiter ist es eine tolle Chance, Waldbrunn bekommt seinen Supermarkt, der Investor kann bauen - da treffen sich die Interessen."
Und es ist nicht die einzige clevere Idee der Gemeinde.
Versorgungszentrum statt Praxissterben: Wie Waldbrunn es geschafft hat, zwei Hausärzte, eine Physio-Praxis und eine Apotheke zu bekommen
Das Problem ist altbekannt: Landärzte sterben aus, neue kommen nicht nach. Wie hat es Waldbrunn also geschafft, dass ab 2023 sogar ein ganzes Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) mit mehreren Ärzten gebaut wird, dazu eine Apotheke und eine Physiotherapie-Praxis? "Selber können wir das nicht stemmen, also haben wir die Leute gesucht, die es mit uns gemeinsam tun", sagt Haberstumpf.
Das Ergebnis ist ein Gemeinschaftsprojekt mit einem privaten Investor, dem Kommunalunternehmen des Landkreis Würzburg (KU) und der Gemeinde: Der Investor hat der Gemeinde das Gelände abgekauft und baut darauf ein dreistöckiges Gebäude. Das Kommunalunternehmen betreibt darin eine Arztpraxis mit angestellten Hausärzten, die damit nicht das Risiko einer eigenen Landarztpraxis tragen. "Und weil die Dinge laufen, wenn erst einmal ein Anfang gemacht ist, haben wir nach und nach eine Apotheke, eine Physio-Praxis und einen Bäcker gewinnen können", freut sich der Bürgermeister.
Ein drittes Großprojekt hat bereits Formen angenommen: Neben dem alten "Haselberghaus", der laut Gemeinde abrissreifen Veranstaltungshalle, steht der Rohbau für eine neue. Das Projekt, das unter Altbürgermeister Hans Fiederling anlief, ist nicht unumstritten. Die Halle sei "überdimensioniert, zu teuer, energetischer Quatsch", sagt einer aus dem Ort.
Haberstumpf kennt die Kritik: "In der Vergangenheit war es nicht gelungen, allen die Hintergründe näherzubringen." Mittlerweile sei das aber anders. "Selbst die Gemeinderäte, die am Anfang der Legislaturperiode dagegen waren, stehen seitdem sie alle Fakten kennen hinter dem Projekt."
Autobahn-Nähe statt Durchfahrtskaff: Wie Waldbrunn aus seiner Lage einen Standortfaktor gemacht hat
Und wie soll das alles finanziert werden? Einen Teil der Kosten kann die Gemeinde über den Verkauf von Grundstücken im neuen Gewerbegebiet decken. Auf gut fünf Hektar ist hier Platz für 16 Firmen. "Viele beschweren sich über den Durchgangsverkehr hier im Ort", sagt Haberstumpf. "Was man aber sehen muss: Von hier ist man schnell auf dem Autobahn, für Firmen ist das entscheidend."
2,5 Kilometer sind es vom Gewerbegebiet bis zur Auffahrt auf die A3, drei Minuten dauert die Fahrt. "Ein Standortfaktor", findet der Bürgermeister. Und anscheinend finden das auch die Unternehmen: "Wir haben mehr als genug Interessenten."
Junge Familien statt Überalterung: Wie Zuzug die Vereine stärkt und warum Häuser in Waldbrunn nie lange leer stehen
Wo neue Arbeitsplätze entstehen, braucht es neuen Wohnraum. Bloß wo? Darauf hat Haberstumpf ausnahmsweise keine Antwort. 120 Bauplätze seien in den letzten Jahren verkauft worden - "und ich hätte noch mal so viele verkaufen können". Leerstand gäbe es faktisch nicht, auch nicht im Altort. "Die meisten Häuser sind noch nicht mal auf den Markt, da sind sie schon wieder weg."
Mehr Bauplätze? Der Bürgermeister sagt, das ginge. Aber: "Wir müssen gucken, dass wir uns nicht übernehmen. Wenn wir noch mehr Bauplätze verkaufen, brauchen wir noch mehr Kindergartenplätze und später dann Grundschulplätze. Und wenn diese Kindergeneration dann durch ist, müssten wir wieder reduzieren, das wäre nicht gut."
Von 2010 bis 2021 ist die Einwohnerzahl von Waldbrunn um zwölf Prozent gestiegen, fast 3000 Einwohner hat die Gemeinde jetzt. Und während anderswo Vereine Nachwuchssorgen haben, "brummt hier der Laden", wie der Sportvereinsvorsitzende Alexander Kehr sagt. "170 von unseren 600 Mitgliedern sind Kinder, die Tendenz steigt." Die Nöte anderer Vereine kennt Kehr, der auch im Gemeinderat sitzt, nur vom Hörensagen.
Und selbst die Feuerwehr - anderorts leidgeplagt - wächst statt zu schrumpfen: "Nachwuchsprobleme sind kein Thema, wir haben sogar erwachsene Quereinsteiger. Das ist ungewöhnlich", freut sich Alfred Wilhelm, der Erste Kommandant.
Dorfplatz für alle statt Anonymität: Wie in Waldbrunn die langgeplante neue Ortsmitte jetzt Gestalt annimmt
Neue Firmen, neue Ärzte, neuer Supermarkt. Auch jede Menge neue Waldbrunner. Geht das zusammen mit einer eingesessenen Dorfgemeinschaft? Ist hier vielleicht der Haken an der ganzen Sache? "Mein Mann sieht keinen aus den Neubaugebieten beim Stammtisch", sagt eine Passantin, die gerade aus der Metzgerei kommt. Für ihren Geschmack seien die zugezogenen Waldbrunner aus dem Neubaugebiet zu wenig im Ort integriert.
"Da kann man nix erzwingen und muss der Sache Zeit geben", sagt der Bürgermeister im ehemaligen Klosterhof, wo die neue Ortsmitte entstehen soll. Die Verbindungen, die noch fehlen, sollen hier geknüpft werden. Noch stehen ein paar Scheunen auf einer teils geschotterten Grünfläche. In ein paar Jahren sollen hier ein Mehrgenerationenhaus, die Mittagsbetreuung für die Grundschüler und ein Multifunktionsraum den neuen Dorfplatz abrunden.
Es braucht Fantasie, um sich vorzustellen, wie hier ein Marktplatz entstehen soll. Haberstumpf hat sie: "Hier werden sich die Leute begegnen, hier wird was los sein." Schon vor seiner Amtszeit hat die Gemeinde rund um den alten Klosterhof Gebäude und Flächen gekauft, die Pläne liegen seit langem in der Schublade. Warum also gerade jetzt? Ist nicht schon genug zu tun?
"Wir haben gerade die Möglichkeit, über ein Städtebauförderungspaket massiv gefördert zu werden", sagt der Rathauschef. Deswegen will er jetzt schnell handeln, noch in diesem Jahr sollen Bau- und Förderanträge eingereicht werden. Auch wenn es viel sei: "Man muss die Dinge angehen, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt. Und man muss dran bleiben."
Wohlwollen statt Groll: Wie Waldbrunns Altbürgermeister auf seinen erfolgreichen Nachfolger blickt
Was sagt Haberstumpfs Vorgänger? Hans Fiederling war 2020 nach zwölf Jahren nicht mehr zur Wahl angetreten. Wie sieht er es, dass sein Nachfolger den Ort einmal komplett umkrempelt? "Ach, ich hab da keine negativen Gefühle", sagt Fiederling. "Manches haben wir schon vorbereitet, wie die Ortsmitte. Da ist es schön, dass das jetzt so richtig los geht. Andere Dinge, wie den neuen Tegut, hat Markus Haberstumpf ganz alleine eingefädelt - und dafür bekommt er meinen Respekt."
Bleibt der Blick über die Ortsgrenze, nach Eisingen: Von Ortschild zu Ortschild sind es gerade mal 1000 Meter. Bei der Studie zum Einkaufsverhalten der Waldbrunner kam heraus, dass 70 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer mehrmals in der Woche in Eisingen einkaufen. "Ich habe große Sorge, ob sich unser Edeka-Markt wird halten können", sagt Eisingens Bürgermeisterin Ursula Engert. Denn auch wenn das Verhältnis zwischen den Nachbarn traditionell gut sei: "Da geht uns einfach jede Menge Kaufkraft verloren."
Sie habe immer gesehen, "dass es in Waldbrunn ordentlich Nachholbedarf gibt", sagt Engert aber auch. "Da hat vieles gefehlt, was wir schon hatten." Für sie sei es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis der Nachbarort aufholt. "Und das ist jetzt soweit."
Miteinander statt Gegeneinander: Wie im Waldbrunner Gemeinderat gearbeitet wird
Langer Atem, schlaue Ideen, gutes Timing: Ist Haberstumpf also der bessere Bürgermeister? Da ist sie wieder, die Geste. Wedeln, grinsen, der 39-Jährige weicht aus: "Wir haben vor allem einen funktionierender Gemeinderat. Hier arbeitet niemand gegeneinander." Ein Außenstehender könne in der Sitzung nicht erkennen, wer zu welcher Fraktion gehört. Er sei sich sicher, dass das Gremium gemeinsam noch viel erreichen wird: "Was, das kann ich heute noch nicht sagen", mein Markus Haberstumpf. "Aber ich hab da schon noch ein, zwei Ideen."
Genau. Macht nur weiter mit der Flächenversiegelung. Wer das als Lösungsansatz sieht ignoriert die langfristigen Auswirkungen. Oder sind die "irgendwo eingepreist"?
Das ganze wäre erstaunlich, wenn Waldbrunn tatsächlich "auf dem Land" liegen würde, 25 km und mehr abseits einer größeren Stadt.
Aber Waldbrunn liegt unmittelbar im Speckgürtel von Würzburg, grenzt unmittelbar daran an.
Ich sehe daher keinerlei besondere Leistung des Bürgermeisters etc.
Es ist nichts anderes als eine weitere Gemeinde im Speckgürtel Würzburgs, die von den hohen Grundstückspreisen dort profitiert. Wer in Würzburg und Umland nicht bauen kann, der baut eben in Waldbrunn, fertig.
Für diejenigen die sich nicht auskennen empfehle ich mal einen Blick auf Google Maps. Kaum eine Gemeinde liegt verehrstechnis so super. Beste Verbindungen sowohl in den Süden als auch in den Norden des nahegelegenen Würzburg. Und Würzburg ist bekanntlich wohntechnisch extrem teuer, boomt aber an anderer Stelle. Die direkt vor der Haustüre gelegenen Auffahrten auf die A3 sowie die A81 ermöglichen zusätzlich ein komfortables Pendeln Richtung Aschaffenburg und sogar bis in die Richtungen Stuttgart und Nürnberg.
Schaut man sich Waldbrunn von oben an wird man zudem feststellen, dass dieser Boom schon mind. zwei Jahrzehnte anhält. Der übliche Altort aus den vergangenen Jh. ist kaum vorhanden und zeigt wie klein Waldbrunn eigentlich mal gewesen ist.
Weiß das jemand?
laut Rathaus wird die Praxis nicht umziehen, sondern es kommen zwei neue Arztstellen im MVZ, da - laut Rathaus - die bestehende Praxis altersbedingt nicht mehr ewig offen haben wird.
Herzliche Grüße
Lara Meißner