Aufnahmestopp in der Hausarztpraxis von Elisabeth Rieck in Neubrunn. Das Ärztehaus in Kleinrinderfeld ist voll. Der nächste Versuch in Kist - und prompt kommt die nächste Absage. Auch in Höchberg und Helmstadt scheitert Holger Seubert aus Oberaltertheim. "Wir nehmen keine neuen Patienten mehr auf", bekommt er überall zu hören.
Doch der 50-Jährige gibt nicht auf. Er wendet sich an seine Krankenkasse und stellt die Fragen, die ihn jetzt umtreiben: "Wie soll ich damit umgehen, wenn ich keinen Hausarzt mehr habe? Wer schreibt mich krank? Wer impft mich? Wer macht die Nachsorge, wenn ich aus dem Krankenhaus komme?" Die Antwort der Versicherung fällt nüchtern aus. "Wir sind nicht zuständig." Und er könne doch den ärztlichen Bereitschaftsdienst unter der Telefonnummer 116117 anrufen, wenn er keinen Hausarzt habe. "Aber nehmen die auch Blut ab? Schreiben die mich krank? Wer überweist mich an einen Facharzt?"
Die Kassenärztliche Vereinigung in Würzburg wimmelt Holger Seubert ab
Auf der Suche nach Antworten und einen Hausarzt führt ihn sein nächster Anruf zur Kassenärztlichen Vereinigung (KV) nach Würzburg. Doch über die Telefonvermittlung kommt er nicht hinaus. "Eine Frau sagte mir dann, ich soll mich an die KV in München wenden. Dort gebe es ein Ärzteregister. Oder ich soll meinen Bürgermeister ansprechen."
Im November ist Holger Seubert noch fest entschlossen, einen neuen Hausarzt zu finden. Sein bisheriger in Neubrunn ging am 1. Dezember in Rente. Im September hat der Altertheimer Feuerwehrkommandant davon erfahren. Seitdem ist er auf der Suche. Und er ist nicht der einzige. Vielen seiner Bekannten geht es ähnlich. Auch sein Vater und sein Bruder suchen, erzählt er. Von einigen Arbeitskollegen weiß er, dass sie in einer ähnlichen Situation sind. Ein Feuerwehrkamerad schrieb ihm kürzlich: "Gibt es wieder die Möglichkeit, über die Feuerwehr die dritte Impfung zu bekommen? Problem bei mir ist, ich hab‘ keinen Hausarzt."
Auch in Aub geht ein Hausarzt in Rente: Die Nachfolge ist noch offen
Seubert, auch Gemeinderat, erzählt nach einer Sitzung Bürgermeister Bernd Korbmann von seinem Problem, das weder Krankenkasse noch Kassenärztliche Vereinigung ernst nehmen. Auch Korbmann versucht sein Glück bei der KV in Würzburg. Er wird nicht gleich abgewiesen, schafft es zu einem Sachbearbeiter. Dieser habe ihm dann empfohlen, dass die hausarztlosen Patienten ins Nachbar-Bundesland gehen sollen. Aber auch im baden-württembergischen Großrinderfeld ist die Praxis voll.
Die Situation, die Holger Seubert beschreibt, ist im Landkreis Würzburg kein Einzelfall. Auch im Süden, in Aub, wird zum 31. März eine Hausarztstelle frei. Viele Versuche, jemanden für die Nachfolge zu finden, sind bisher ohne Erfolg geblieben. Sogar ein Headhunter wurde beauftragt. Für Aub ist die Situation "eine Katastrophe", sagt Alexander Schraml, Vorstand des Landkreis-Kommunalunternehmens (KU), der damit auch für die Senioreneinrichtung in Aub und für die ärztliche Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner verantwortlich ist.
Um jungen Ärzten und Ärztinnen die Entscheidung aufs Land zu gehen, leichter zu machen, würde sie das Kommunalunternehmen des Landkreises sogar in einem Medizinizischen Versorgungszentrum (MVZ) anstellen und ihnen sämtliche Bürokratie abnehmen. Aber auch diese Option zieht nicht, zumindest nicht im Moment. "Wir können keine Ärzte backen", sagt Schraml.
Dr. Christian Pfeiffer: Das Planungsgebiet muss neu aufgeteilt werden
Ein solches medizinisches Versorgungszentrum mit mindestens zwei Arztpraxen plane ein privater Investor zusammen mit der Gemeinde auch in Waldbrunn. Auch Patienten aus Neubrunn oder Oberaltertheim könnten dort behandelt werden, sagt Schraml. "Denn es gibt ja nicht in jeder Gemeinde einen Hausarzt", weiß er.
Im medizinischen Versorgungsatlas der Kassenärztlichen Vereinigung wird die Situation der hausärztlichen Versorgung abgebildet. Auf Seite 259 findet sich ein Überblick der Lage im westlichen Landkreis Würzburg, wo auch Holger Seubert wohnt. Alles sieht ziemlich rosig aus. Der Versorgungsgrad für 62 200 Einwohner liege bei 90 Prozent und die Altersstruktur der 38 Ärzte und Ärztinnen, die dort tätig sind, im Durchschnitt bei 55 Jahren. Dass dort aber mittlerweile acht Hausarztsitze nicht besetzt sind, zeigt der Atlas nicht.
Bei der Kassenärztlichen Vereinigung in Würzburg findet sich niemand, der dieser Redaktion Auskunft geben möchte. Die Anfrage wird an Christian Pfeiffer weitergeleitet. Pfeiffer ist Bezirksvorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbands in Unterfranken. Konnte die KV die Situation am südlichen Zipfel des westlichen Landkreises Würzburg nicht vorhersehen und die Arztsitze sichern?
Im Frühjahr soll es einen Runden Tisch mit allen Beteiligten geben
Pfeiffer räumt ein, dass die Altersstruktur seiner Kollegen hier sehr ungünstig sei, die KV aber die Situation beobachten würde. Bei Gesprächen würde jungen Ärztinnen und Ärzten immer geraten, in unterversorgte Gebiete zu gehen. Über Projekte für angehende Ärzte im Praktikum versuche der Bayerische Hausärzteverband seit Jahren, Nachwuchs zu gewinnen. Pfeiffer erkennt aber auch das Problem, dass der Versorgungsatlas die Unterversorgung in Neubrunn und Altertheim nicht abbilden würde, weil der Planungsbereich zu groß abgebildet wird. "Höchberg müsste eigentlich Würzburg zugerechnet werden", sagt Pfeiffer. "Und Uettingen, Neubrunn und Altertheim müssten ausgegliedert werden."
Die Bezirksstelle der Kassenärztlichen Vereinigung habe dies auch beim Landesausschuss in München, der paritätisch mit Krankenkassenvertretern und Ärzten besetzt ist, angeregt. Eine Entscheidung steht aus. Davon hänge aber ab, ob Ärzte, die sich in Neubrunn oder Altertheim niederlassen, eine Förderung bekommen. Pfeiffer sieht im Versorgungsatlas noch ein weiteres Problem. "Hier werden Köpfe gezählt, nicht die Sitze." Wenn beispielsweise an einem Ort zwei seiner Kolleginnen nur halbtags arbeiten würden, weil sie Familie haben, dann sind das in der statistischen Erfassung zwei Ärztinnen", erklärt er.
Aus Verzweiflung hat Holger Seubert sich an den Bundestagsabgeordneten Paul Lehrieder gewandt. "Ich bin der Meinung, hier versagt die Politik in Bund, Land und Landkreis auf breiter Front", schreibt Seubert. Im Frühjahr soll es nun einen Runden Tisch mit allen Beteiligten geben. Seubert hofft, dass es nicht nur das übliche "Bla, bla" wird. Die Suche nach einem Hausarzt hat er mittlerweile aufgegeben.
Es geht meistens nur noch mit Anmeldungen. Ohne Terminisierung kämen die Ärzte gar nicht mehr klar. Man kann nur hoffen, dass in Helmstadt auf dem Nettogelände das Ärztehaus bald seinen Betrieb aufnimmt, gebaut wird ja schon fest, hoffentlich bekommen dann die niedergelassenen Ärzte spürbare Entlastung und haben wieder mehr Zeit für ihre Patienten.
Junge Ärztinnen und Ärzte haben Familie. Wir müssen irgendwo wohnen, wir brauchen einen Kindergartenplatz, etc. Nichts davon gibt es hier.
Wir suchen seit 2 Jahren ein Haus oder Grundstück. Es ist völlig aussichtslos. Wir konnten jahrelang nicht arbeiten, weil es einfach keine Kindergartenplätze gib. Wir haben in unserer viel zu kleinen Mietwohnung hier einfach keine Perspektive, und werden jetzt wegziehen.
Der Ärztemangel in Würzburg-West ist komplett hausgemacht. Und die ganzen Bauern und Bäuerinnen die jetzt mit trotz 700 € pro Quadratmeter Baugrund nicht verkaufen wollen, haben bald auch keinen Hausarzt mehr.
Bemerkenswert der letzt Satz!!!!