Betten bleiben teilweise leer, kleine Patientinnen und Patienten müssen abgewiesen werden: Bundesweit prangern Mediziner dramatische Engpässe und Missstände in Kinderkliniken an. Ein Grund ist der Personalmangel – aber auch fehlendes Geld. Denn: "Eine Kinderklinik sollte keine rein nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten beurteilte Einrichtung sein", sagt Prof. Christoph Härtel. Der Kinderarzt ist seit zwei Jahren Direktor der Kinderklinik am Uniklinikum Würzburg. Im Gespräch erklärt er, warum Betten manchmal gesperrt werden müssen, wie belastend der Spagat zwischen Zeitdruck und Zuwendung sein kann - und warum Kinder keine Fallpauschalen sind.
Prof. Christoph Härtel: Generell haben wir in Würzburg, vor allem was das Pflegepersonal anbelangt, noch eine vergleichsweise gute Situation. Aber auch wir müssen zum Teil die Bettenbelegung reduzieren, vor allem, wenn während Infektionswellen Fachkräfte ausfallen.
Härtel: Durch die Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung ist vorgegeben, dass zum Beispiel eine Pflegekraft in der Nacht auf einer Kinderstation maximal zehn Kinder betreuen darf. Wenn wir dann zu bestimmten Jahreszeiten ein sehr hohes Patientenaufkommen haben, ist die zweite Fachkraft, die man nachts bräuchte, möglicherweise nicht verfügbar.
Härtel: Dies ist bislang selten vorgekommen. Unser Anspruch ist, dass jede hilfesuchende Familie, egal ob aus der Region oder Urlauber, mit ihrem Kind bei uns versorgt werden kann, zu jedem Zeitpunkt.
Härtel: Das ist bei uns zum Glück noch nicht der Fall gewesen. Wir haben bisher im Team immer eine Lösung gefunden. Aber natürlich ist nicht garantiert, dass das in den nächsten Jahren so weitergeht.
Härtel: Das ist leider eine Entwicklung, die vor mehr als 20 Jahren begonnen hat. Aus meiner Sicht ist die Kinder- und Jugendmedizin eine Investition in die Zukunft – unsere Perspektive als Gesellschaft. Wenn man als Stadt oder Land entscheidet, Geburtskliniken oder Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin, Kinder- und Jugendpsychiatrien oder Kinderchirurgien zu schließen, dann erschwert man Familien den Zuzug. Ich kann gut damit leben, Strukturen zu regionalisieren und nicht überall alle Schwerpunkte anzubieten. Aber es wäre wichtig, dass Familien innerhalb von 50 Kilometern um ihren Wohnort eine fachlich gute, kindgerechte Betreuung bekommen – egal wo sie in Deutschland leben. Unsere Kinder und Jugendlichen haben es verdient, dass man sich mehr für sie einsetzt und ihre Bedarfe erkennt.
Härtel: Das wollen wir. Ich bin jeden Tag beeindruckt, mit welcher Hingabe sich das Personal in der Kinderklinik den Patienten und ihren Familien widmet. Natürlich sollte der Arbeitsalltag zeiteffizient gestaltet sein. Gerade Gespräche haben aber eine große Bedeutung für Familien und für den Heilungsverlauf der Kinder.
Härtel: Das ist uns ein wichtiges Anliegen. Oft muss man dafür zwar eine Art Spagat schaffen, da im Arbeitsalltag beispielsweise die zunehmend umfangreichere Dokumentation direkt von der Arbeit für Kinder und Jugendliche abhält. Das macht die Leute manchmal unzufrieden. Deswegen verlassen manche den Beruf, und das verschärft den Fachkräftemangel weiter.
Härtel: Ich versuche, mir viel Zeit für Familien zu nehmen. Mir ist der Kontakt sehr wichtig. Aber natürlich habe ich in erster Linie Verwaltungsaufgaben und die primäre Verantwortung, dass alle Bereiche so aufgestellt sind, dass wir unsere Arbeit mit höchster Qualität machen können.
Härtel: Man kann nicht immer mit dem Ablegen der Dienstkleidung auch den Tag abschließen. Manche Schicksale berühren ganz besonders. Dennoch sind Objektivität und Abstand unerlässlich. Deswegen trifft man bei der Behandlung von Kindern zum Beispiel fast alle Entscheidungen im Team und verteilt so die Verantwortung auf mehrere Schultern. Es ist gerade für die jüngeren Kolleginnen und Kollegen wichtig, dass sie sich nicht alleine gelassen fühlen. Denn das hohe Stressniveau und die eingeschränkte Vorhersehbarkeit in der Kinderheilkunde können sehr belastend sein.
Härtel: Ein Punkt ist sicher, dass man das Personal wertschätzt. Das bedeutet, dass man ihnen nicht nur Anerkennung bietet, sondern dass sie sich auch in der Stadt, in der sie arbeiten, das Leben leisten können. Zudem wäre es aus meiner Sicht wichtig, die kinderspezifische Pflegeausbildung hochzuhalten und zu stärken. Und drittens braucht es eine deutlich bessere Finanzierung der Kinder- und Jugendmedizin im stationären und ambulanten Bereich. Das sieht man beispielsweise in der Kinderintensivmedizin. Diese kann nur durch hohe Vorhaltekosten für Personal und technische Ausstattung gewährleistet werden, was nicht hinreichend finanziert ist. In diesem Zusammenhang muss man generell über ein neues Finanzierungssystem nachdenken.
Härtel: Das ist sicher etwas, was man angepasst machen sollte. Das derzeitige Finanzierungssystem setzt teilweise falsche finanzielle Anreize und ist in anderen Bereichen nicht kostendeckend. Kinder sind keine Fallpauschalen, ihre Behandlung erfolgt nach individuellen Bedürfnissen. Eine Kinderklinik sollte auch keine rein nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten beurteilte Einrichtung sein, dann kommen wesentliche Aspekte zu kurz, wie etwa das Gespräch mit der jungen Mutter, die Probleme mit dem Stillen hat. Die Zeit dafür kann man sich nicht nehmen, wenn man viele andere andere Patienten zugleich versorgen muss. Glücklicherweise haben wir am Uniklinikum in Würzburg eine wertschätzende Zusammenarbeit mit unserer kaufmännischen Abteilung.
Härtel: Ich glaube, die zukünftige Generation an Pflegekräften, Ärztinnen und Ärzten wird trotz hohem Idealismus die eigenen Ressourcen besser im Blick haben. Irgendwann ist man nicht mehr bereit, unendlich viele Stunden zu arbeiten, sondern will auch flexibel sein und ein Leben neben der Arbeit haben. In diesem Spannungsfeld sind wir gerade. Um die Kindermedizin in Zukunft zu sichern, brauchen wir Strukturen, die den Leuten Lust auf den Beruf machen. Dieser Aufgabe stelle ich mich sehr gern. Denn wir haben zwar viele Bewerberinnen und Bewerber für den ärztlichen Beruf, aber in der Pflege werden wir auch in Würzburg Mühe haben, die demografische Entwicklung mit Nachwuchskräften aufzufangen.
Härtel: Es ist nach wie vor der schönste Beruf, den ich mir vorstellen kann.
Prof. Christoph Härtel leitet seit Mai 2020 die Kinderklinik und Poliklinik am Universitätsklinikum Würzburg. Der 48-Jährige studierte Medizin in seinem Geburtsort Rostock, in den USA und in Lübeck. Nach seiner Doktorarbeit in der Immunologie absolvierte Härtel die Facharztausbildung in der Kinder- und Jugendmedizin in Lübeck und arbeitete zwei Jahre als Kinderarzt in Australien. Vor seinem Wechsel nach Würzburg war Härtel als Oberarzt und außerplanmäßiger Professor an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums in Lübeck tätig.
Das wäre sicherlich sowieso gekommen.
Läuft doch... irgendwie...
Lobbyismus, die vielen anderen akuten Probleme und die auf verschiedensten Ebenen mangelnde Bereitschaft zu echten Veränderungen tragen ihren Teil dazu bei
Dabei gibt es so viele Beispiele aus dem (europäischen) Ausland, die adaptierbare Möglichkeiten aufzeigen.
Die Änderungsresistenz von Politik und Gesellschaft hat für mich erschreckende Züge angenommen.