Komfortabel war er wohl nicht, steril sicher auch nicht, der Beifahrersitz auf dem Eva Riethmann ihr zweites Kind zur Welt brachte. Schon auf dem Weg in die Klinik platzte die Fruchtblase, der Schwangeren war schnell klar: Sie schafft es nicht rechtzeitig zur nächsten Entbindungsstation nach Aschaffenburg. Stattdessen wurde ein Parkplatz der B26 zwischen Lohr und Rechtenbach (Lkr. Main-Spessart) kurzerhand zum Kreißsaal.
Drei Jahre ist das her. Damals ging alles gut. Doch für Schwangere in Lohr bleibt auch heute noch die Frage: Schaffe ich es rechtzeitig zur nächsten Geburtsstation nach Aschaffenburg? Rund 40 Kilometer, knapp 40 Minuten Fahrzeit.
Risiko steigt ab 20 Minuten Fahrt
„Es gibt Studien, die belegen, dass das Risiko für eine spontane Geburt ab einer Fahrzeit von 20 Minuten steigt“, sagt die Vorsitzende des bayerischen Hebammen Landesverbandes Astrid Giesen. 20 Minuten jedoch seien in Bayern vielerorts überschritten, so die Hebamme aus Regensburg weiter. Nicht immer geht es so gut aus wie im Fall von Eva Riethmann.
Notfälle seien zwar selten, aber man könne sie nicht ausschließen. „Die Wege werden immer länger – und bei einem Notfall zählt jede Sekunde“, kritisiert auch die Würzburger Grünen-Politikerin Kerstin Celina.
Für das bayerische Gesundheitsministerium ist diese Kritik nicht nachvollziehbar. „Die Geburtshilfe in Bayern ist derzeit gesichert – ausreichend und flächendeckend. Jede werdende Mutter kann bei uns eine Geburtshilfeabteilung in zumutbarer Entfernung erreichen“, teilt die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) mit. Was jedoch unter der Formulierung „zumutbare Zeit“ zu verstehen ist, bleibt auch auf Nachfrage dieser Redaktion unklar. „Die Krankenhausplanung sieht keine minutengenaue Festlegung dazu vor, welche Anfahrtszeit zumutbar ist und ab wann die Anfahrtszeit unzumutbar wird.“
Zehn Geburtsstationen erhalten
Zugleich verweist das Ministerium darauf, dass das Schließen der Geburtstationen nicht nur eine Folge der stetig zurückgehenden Geburtenzahlen sei. Auch dass sich viele Frauen entschieden haben, in größeren Kliniken zu entbinden, habe eine Rolle gespielt. In den Jahren 2009 und 2010 hätten nach Angaben des Ministeriums über 70 Prozent der Schwangeren im Landkreis Main-Spessart eine Klinik außerhalb des Landkreises, vorrangig in Würzburg, aufgesucht. „Viele Frauen wählen für die Geburt eine Geburtsklinik höherer Versorgungsstufe und suchen nicht die nächstgelegene Geburtsklinik auf. Sie nehmen also für eine spezialisiertere Versorgung oft schon jetzt – aufgrund ihrer eigenen Entscheidung – weitere Wege in Kauf, als dies sein müsste“, so Huml.
Für Celina ist die Schließung der Kliniken ein falsches Signal, gerade mit Blick auf die Förderung des ländlichen Raums. Besser sei es, lokale Geburtsstationen attraktiver zu gestalten. Ein „Armutszeugnis“ nennt sie die derzeitige Situation der Geburtshilfe im Landkreis Main-Spessart. Der Landkreis verfügt seit 2011 über keine Geburtshilfestation an den Kreiskliniken mehr.
Kein Einzelfall. Im Landkreis Bad Kissingen gibt es ebenfalls keine Geburtsstation mehr. Insgesamt gibt es in Unterfranken nach Angaben des Gesundheitsministeriums derzeit noch zehn Krankenhäuser, die geburtshilfliche Leistungen anbieten. „In Bayern haben in den letzten zehn Jahren 32 Geburtshilfestationen zugemacht, weil sie chronisch unterfinanziert sind“, so Celina.
Dabei reichen die Folgen der Schließungen weiter. Die Zentralisierung der Geburtshilfe verhindere die außerklinische Geburtshilfe, sagt Giesen. Hebammen betreuen Frauen seltener bei Hausgeburten. Der Grund: Bei Komplikationen sei die Entfernung in die nächste Klinik schlichtweg zu weit, das Risiko somit zu hoch.