
Sterben und Tod erschrecken. Und die Pflege Sterbender ist eine Herausforderung - für alle. Das weiß kaum jemand besser als der Würzburger Ernst Engelke. Der Theologe, Sozialpädagoge und Psychologe, von 1980 bis 2007 Professor für Soziale Arbeit an der Fachhochschule Würzburg, gilt als ein Wegbereiter der Hospiz- und Palliativbewegung in Deutschland. Der 82-Jährige beschäftigt sich seit über 50 Jahren mit dem Erleben und Verhalten sterbenskranker Menschen. Seit 2001 engagierte sich Engelke am Würzburger Juliusspital in der Akademie für Palliativmedizin, Palliativpflege und Hospizarbeit. Jetzt verabschiedet er sich dort.
Prof. Ernst Engelke: Natürlich.
Engelke: Nein. Ich höre von Menschen, die sagen, sie hätten keine Angst davor. Und wenn ich dann im Gespräch mit ihnen bin und auf ihre Hände schaue und sehe, wie sie zittern. . . Dann frage ich: Was sagst Du da? Vor dem Tod braucht man keine Angst zu haben. Der Tod ist ein Zustand. Aber das Sterben ist ein Prozess, den wir erleben. Sterben ist Abschied nehmen vom Leben. Von meiner Frau, die ich liebe. Von meinen Töchtern, die ich liebe. Von meinen zwei Enkeltöchtern, die ich liebe. Das ist das Schmerzhafte und davor habe ich Angst. Und so hat jeder Angst.
Engelke: Nein, die hat sich nicht verändert, die ist geblieben. Nur habe ich gelernt, dass es Möglichkeiten gibt, mit der Angst zu leben. Und begleitet zu werden in der Angst. Indem die Angst akzeptiert wird. Ich könnte jetzt viele Geschichten erzählen.
Engelke: Ich erzähle von einem ganz toughen Oberarzt, der sehr krank wird. Er hat ein Herzversagen, kommt in die überfüllte Klinik und liegt dort, bis er drankommt, im Gang. Er sagte mir später: Das schönste war, in meiner Angst hat mir eine Putzfrau die Hand gehalten. Es braucht jemand, der die Hand hält. Mit dem ich die Angst teilen kann. Das kann kein Roboter machen. Darum geht es.
Engelke: Über das Sterben wird dauernd geredet. Über das Sterben der anderen; da werden wir abgelenkt, das ist Unterhaltung. Worüber nicht geredet wird, ist die eigene Gefährdung.
Engelke: Ich habe mein Studium als Hilfskrankenpfleger verdient, in der Psychiatrie. Am ersten Tag habe ich in der "Gummizelle", dem Raum zur Überwachung, einen völlig apathischen Patienten, der in seinem Kot lag, sauber gemacht. Ich drehe ihn, wende ihn, anstrengend, bin durchgeschwitzt. Aber schaffe es, ihn zu säubern. Kurz darauf höre ich eine Schnappatmung, dann nichts mehr. Ich erschrecke und denke, jetzt habe ich ihn umgebracht. Niemand hat sich um mich gekümmert. Seitdem bewegen mich drei Fragen: Was erlebt jemand, der sterbenskrank ist? Wie kann ich ihn begleiten? Und wie kann ich jemanden begleiten, der Sterbenskranke begleitet?
Engelke: Es gibt für mich zwei verschiedene Wahrheiten. Die Wahrheit am Krankenbett. Und die Wahrheit im Krankenbett.
Engelke: Die Wahrheit im Krankenbett des Patienten wird in der Regel nicht wahrgenommen, das ist eines der Hauptprobleme nicht nur in der Palliativmedizin, sondern generell bei Ärzten, Pflegekräften und überhaupt, auch heute noch. Es wird nicht beachtet, was jemand erlebt, wenn er selbst getroffen ist. Das sorgt für Missverständnisse und Konflikte in der Begleitung von Menschen, die sterbenskrank sind. Es wird an der Wahrheit dessen, der sie erlebt, vorbeigeredet.

Engelke: Die Gesunden meinen, Sterbenskranke müssen akzeptieren, dass sie sterben. Dass sie einsehen, es geht mit ihnen zu Ende, und dem zustimmen. Sobald dieselbe Person jedoch selbst in einem Krankenbett liegt, sagt sie: Ich möchte am Leben bleiben.
Engelke: Ich habe einen Lieblingssoziologen, Norbert Elias. Er hat 1984 über "Die Einsamkeit der Sterbenden in unseren Tagen" geschrieben. Seine These: Die Menschen unserer Zeit sind nicht bereit, sich mit sterbenskranken und sterbenden Menschen zu identifizieren.
Engelke: Ja, natürlich geht das. Ich erlebe das bei vielen Ärzten und Pflegekräften, die das können. Aus der Identifizierung heraus berücksichtigen sie die Wahrheit dessen, der im Bett liegt. Und nicht die, die sie im Kopf haben. Meine Arbeitshypothese ist: 20 Prozent unserer deutschen Gesellschaft sind bereit, sich in dieser Weise darauf einzulassen, 80 Prozent nicht.
Engelke: Nein. Es verändert sich vieles. Und nichts.
Engelke: Verändert hat sich nicht, dass wir sterben müssen. Dass das mit Leiden verbunden ist. Dass wir uns verabschieden müssen. Das ist geblieben, für jeden.
Engelke: Die Umgangsweise damit. Die Pflege von Sterbenskranken ist weitgehend an Profis delegiert worden. Weitgehend verändert hat sich, dass die sozialen Beziehungen, die früher getragen haben, so nicht mehr existieren. Verändert hat sich, dass die Kliniken und Heime nach betriebswirtschaftlichen Kriterien geführt werden, die der Situation der Menschen nicht gerecht werden. Es mangelt an Bereitschaft der deutschen Gesellschaft auf diese Veränderungen einzugehen und umzudenken.
Engelke: Meine These ist: Jeder Einzelne ist in Deutschland mitverantwortlich für die Pflegesituation. Und der Staat als Ganzes auch. Ich schiebe die Verantwortung nicht auf die Politiker oder die Ärzte oder die Pflege. Das ist ein Zusammenspiel.
Engelke: Das ist eine doppelte Verantwortung: Nämlich die Verantwortung, dass Sie jemanden haben, der bereit ist, Sie zu pflegen oder zu besuchen, wenn Sie im Krankenhaus oder Heim sind. Und das ist die Verantwortung, jemanden aus Ihrem Umfeld zu begleiten, der pflegebedürftig und sterbenskrank ist.
Engelke: Ich möchte es als Forderung formulieren, aber ich habe kein Recht dazu, das zu fordern, also ist es ein Wunsch. Pflegebedürftige bitten ja die um Hilfe, die selbst noch pflegebedürftig werden. Ich sehe vier Szenarien, wie sich alles entwickeln wird und wo es hingehen könnte. Die Menschen können wissen, was sie erwartet, wenn sie sich nicht selbst um die Pflege kümmern.
Engelke: Der Einzelne hat eine Wahl, als Gesellschaft haben wir augenscheinlich keine Wahl mehr. Auf die Gesellschaft kommen alle vier Szenarien zu, sie laufen bereits. Wir erleben diese Entwicklungen im Alltag. Die Frage für jeden einzelnen ist: Wie gehe ich mit dieser extremen Situation um, wie entscheide ich mich? Es gibt Gestaltungsmöglichkeiten für jeden Einzelnen. Die vielen Statistiken und Begriffe wie Kollaps und Katastrophe verdecken sie völlig.
Engelke: Das Ideal: Sterben eingebettet in eine soziale Gruppe, die mich trägt und mich begleitet. Ein Verbund, das müssen nicht oder nicht nur Angehörige sein. Wenn Szenario eins greift, sind die anderen drei überflüssig.
Engelke: Reiche pflegen nicht selbst. Sie haben so viel Geld, dass Sie immer jemand finden, der die Pflege macht.
Engelke: Sie sind nicht reich, haben niemanden, sie werden dement, bauen ab, werden bettlägerig. Und sterben fabrikmäßig, wie bei Aldous Huxley in "Schöne neue Welt".
Engelke: Diese Variante läuft gerade, das ist der Suizid. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass wir ein Persönlichkeitsrecht haben, uns in geschütztem Rahmen zu suizidieren.
Engelke: Ja. Jeder hat ein Recht, das zu tun. Das habe ich zu respektieren - aber niemand kann mich zwingen, ihn dabei zu begleiten.
Engelke: Ja. Sorgen Sie dafür, dass Sie Menschen haben, die bereit sind, Sie zu pflegen und Sie in Ihrer Einsamkeit begleiten.
Engelke: Was ist ein gutes Sterben? Aus meiner Sicht eine entsprechende Begleitung sowohl von Angehörigen und Freunden als auch von Profis, also Ärzten und Pflegekräften. An einem Ort, wo ich Ruhe haben kann, an dem keine Hektik herrscht.