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Würzburg
Würzburger Palliativ-Experten: Warum es  primär nicht um die Diagnose geht
Eine Palliativstation für Patienten, denen nur noch wenig Lebenszeit bleibt: Das Juliusspital war Vorreiter vor 20 Jahren. Welche Rolle dabei die Palliativakademie spielt.
Dr. Rainer Schäfer, Chefarzt der Anästhesie und Palliativmedizin am Würzburger Juliusspital, und Günter Schuhmann, Leiter der Palliativakademie: Sie waren Vorreiter vor 20 Jahren.
Foto: Daniel Peter | Dr. Rainer Schäfer, Chefarzt der Anästhesie und Palliativmedizin am Würzburger Juliusspital, und Günter Schuhmann, Leiter der Palliativakademie: Sie waren Vorreiter vor 20 Jahren.
Alice Natter
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:10 Uhr

Die Betreuung von Schwerkranken und Sterbenden beschäftigte beide: Günter Schuhmann, damals stellvertretender Leiter der Krankenpflegeschule, leitete um die Jahrtausendwende die Intensivweiterbildung am Würzburger Juliusspital. Und Dr. Rainer Schäfer war Oberarzt der Anästhesie-Abteilung, die für das gesamte Haus einen Schmerzkonsiliardienst betrieb. Aus dieser Hilfe für Patienten mit Schmerzproblemen heraus entstand vor 20 Jahren die Palliativmedizin. Denn häufig waren es Tumorpatienten, bei denen die Schmerztherapie eher nebenbei gemacht werden sollte. "Das schien uns zu schmalbrüstig", sagt Schäfer. Die Idee: eine eigene Station, auf der diese Patienten in Ruhe eingestellt werden konnten.

Deutschlandweit kamen die ersten Palliativmediziner meist aus der Anästhesie. Es hatte ganz sporadisch begonnen, die erste Palliativstation gab es 1983 in Köln. Als das Juliusspital in Würzburg 2001 seine Palliativstation eröffnete, gab es unterfrankenweit nichts und bayernweit wenig Vergleichbares. "Wir mussten schon ein ganzes Stück fahren, um Stationen anzuschauen", sagt Schäfer. Das Entscheidende in Würzburg: Von Beginn an gab es parallel die Palliativakademie.

Warum diese direkte Verbindung der Palliativstation mit der Fort- und Weiterbildungseinrichtung ein Stockwerk darunter so wichtig ist:  Akademieleiter Günter Schuhmann und Dr. Rainer Schäfer, Chefarzt der Anästhesiologie und operativen Intensivmedizin am Juliusspital, erklären es. 

Frage: Vor 20 Jahren – was hat damals am meisten gefehlt?

Dr. Rainer Schäfer: Ein Therapiekonzept für schwerstkranke und sterbende Menschen. Also nicht nur ein schmerztherapeutisches Konzept, sondern eines, das auch andere schwere Symptome miterfasste. Atemnot, Störungen im Bauchraum, neuropsychiatrische Probleme. So etwas gab es zu der Zeit in Deutschland kaum. Viele Krebspatienten wurden entlassen – und sind schon nach ein paar Tagen wiederaufgenommen worden, weil es zu Hause nicht ging, weil da eben ein quälendes Problem war. Dieser "Drehtür-Effekt" war sehr ausgeprägt. Oft sind die Patienten über Rettungsdienst und Notarzt wieder in die Kliniken eingewiesen worden und landeten teilweise auf der Intensivstation. Dann begann die diagnostische Kaskade von vorn.

Günter Schuhmann ist gelernter Pfleger, Lehrer für Pflegeberufe, Betriebswirt Sozialwesen und seit 20 Jahren Leiter der Palliativakademie des Juliusspitals in Würzburg.  
Foto: Daniel Peter | Günter Schuhmann ist gelernter Pfleger, Lehrer für Pflegeberufe, Betriebswirt Sozialwesen und seit 20 Jahren Leiter der Palliativakademie des Juliusspitals in Würzburg.  
Wie ist Ihre Antwort, Herr Schuhmann? Was fehlte vor 20 Jahren?

Günter Schuhmann: Die gleiche. Auf der Palliativstation wurden die Menschen stationär betreut. Und die Akademie wollte genau dieses Wissens nach außen tragen. Die Idee war, hier Personen zu schulen, damit Patienten überall betreut werden können. Von Beginn an war klar, dass es Fortbildungen braucht für alle Berufsgruppen, dass der Palliativgedanke weitergetragen werden muss.

Schäfer: Das war ein zentrales Anliegen, dass die Station kein Inseldasein führt für ein paar Patienten. Ursprünglich hatten wir ja nur neun Betten. Wir wollten in die Breite und waren überzeugt, das geht nur mit entsprechender Aus- und Fortbildung. Zunächst dachten wir an die Region, letztendlich hat es sich so dynamisch entwickelt, dass es nicht auf den fränkischen Raum begrenzt blieb.

Hatten Sie Vorbilder?

Schuhmann: Da gab es nicht viele. Die erste Akademie war Köln, dann kam Bonn hinzu. Und ein Jahr vor uns hat München damit begonnen.

Dass die Palliativakademie am Juliusspital eingerichtet wurde – kein Zufall, oder?

Schäfer: Nein, weil es seit Julius Echter der Auftrag gewesen ist, den Mangel der Zeit zu spüren und entsprechend zu handeln auf medizinischem und pflegerischem Gebiet. Das hat sich auch in der Folgezeit durch die Einrichtung der SAPV, der spezialisierten ambulanten palliativmedizinischen Versorgung bei den Patienten zu Hause, und des stationären Hospizes ausgedrückt.

Inzwischen haben Sie 15 Betten – immer belegt?

Schäfer: Wir haben schon deutliche Schwankungen. Ringsherum sind inzwischen ja auch Einrichtungen entstanden – in Schweinfurt, in Aschaffenburg, an der Uniklinik. Am Anfang hatten wir eine Warteliste oft über mehrere Wochen hinweg, das hat sich deutlich verbessert. Der "Betten-Druck" ist geringer geworden.

Dr. Rainer Schäfer, Chefarzt der Anästhesie und Palliativmedizin und Leiter der Palliativstation am Würzburger Juliusspital.
Foto: Daniel Peter | Dr. Rainer Schäfer, Chefarzt der Anästhesie und Palliativmedizin und Leiter der Palliativstation am Würzburger Juliusspital.
Wer waren die Patienten vor 20 Jahren, wer sind die Patienten heute? Hat sich das verändert?

Schäfer: Ja, ganz deutlich. Anfangs hatten wir 90 Prozent Tumorpatienten. Jetzt sind fast ein Drittel  internistische Patienten mit schwerer Herzschwäche, schwerer Lungenerkrankung, viele Patienten mit neurologischen Erkrankungen, die nicht heilbar sind.

Wie lang sind die Patienten hier, auf der Palliativstation?

Schäfer: Wir haben begonnen mit 13,6 Tagen durchschnittlicher Verweilzeit und liegen jetzt bei unter acht. Als wir hier anfingen, gab es keinen wirksamen palliativmedizinischen ambulanten Dienst. Den haben wir inzwischen. Dadurch können wir viele Patienten, die wir vor 20 Jahren noch stationär aufnehmen mussten, heute zu Hause betreuen, teilweise wirklich bis zum Schluss. Die Patienten, die heute stationär aufgenommen werden müssen, haben so viele schwere Symptome – die sind dann oft nur kurz da. Immerhin: In 95 Prozent der Fälle bekommen wir die Symptome heute – ganz oder zumindest einigermaßen – in den Griff.

Schuhmann: Entscheidend ist das soziale Umfeld. Die Angehörigen pflegen, bis sie alle Energie verbraucht haben. Wenn sie nicht mehr können, kippt die Situation ganz schnell – und dann wird ein Patient doch noch mal auf Station eingewiesen. Deshalb ist es so wichtig, dass alle Akteure eng zusammenarbeiten: Station, Hospizverein, Malteser, Akademie.

Station und Akademie sind nur ein Stockwerk voneinander entfernt, sie betonen diese enge Verbindung. Eine Akademie außerhalb ginge nicht?

Schuhmann: Unsere Referenten kommen überwiegend vom Haus selbst. Es war mir immer sehr wichtig, dass diejenigen, die unterrichten, einen praktischen Bezug haben.

Keine 'Krankenhausatmosphäre' ein Raum in der Palliativstation.
Foto: Martina Schneider, Stiftung Juliusspital Würzburg | Keine "Krankenhausatmosphäre" ein Raum in der Palliativstation.
Fehlt Ihnen noch was im Angebot?

Schuhmann: Die Frage stellt sich derzeit nicht. Wir hatten 2001 insgesamt 169 Seminarstunden im Programm. Seit 2019 sind es circa 2700 Seminarstunden im Jahr. Das ist das Maximale, damit sind wir voll ausgelastet.

Was sind die wichtigsten Kurse? Die Sie nie streichen würden?

Schuhmann: Schwer zu sagen. Man kann die Palliative-Care-Kurse für Pflegende nicht streichen. Man kann die Palliativmedizin für Ärzte nicht streichen. Die Vorträge für die Öffentlichkeit wollte ich nicht streichen. Und die Kommunikationskurse, die würde ich auch nie streichen.

Was ist das Entscheidende auf einer Palliativstation? Was macht den Unterschied zu anderen Stationen aus?

Schuhmann: Es geht um den Menschen. Es geht primär nicht um die Diagnose, nicht die Krankheit steht im Mittelpunkt. Sondern der Mensch.

Durch Ihre Öffentlichkeitsarbeit, Ihre Angebote für die Bevölkerung – hat sich in den 20 Jahren gesellschaftlich etwas verändert? Was das Wissen um das Lebensende angeht?

Schuhmann: Wir haben das Lebensende wieder etwas in den Fokus gerückt. Nicht in den Mittelpunkt, das wäre falsch. Aber wir sehen, dass das Lebensende auch dazu gehört. Wir können uns damit beschäftigen. Wir reden über Palliativ, über Hospiz. Das ist besser geworden, das gab es früher praktisch nicht.

Schäfer: Das Thema ist auch heute medial viel präsenter. Es ist wichtig, dass wir Tod und Sterben nicht nur in Kriminalfilmen betrachten. Als wir anfingen, hieß es: Ach, ihr verabschiedet euch jetzt aus der Akutmedizin? Das würde heute keiner mehr sagen. Diese Vorstellung, dass Palliativmedizin nur an der Endstrecke des Lebens steht und es hauptsächlich um Pflege geht, das hat sich deutlich verändert. Auch das ethische Nachdenken über die Sinnhaftigkeit bestimmter Maßnahmen in der Medizin hat deutlich zugenommen. Viele Menschen möchten mitreden bei dem, was mit ihnen passiert. Früher war das keine Frage, da hat die Klinik-Infrastruktur den Takt vorgegeben und so wurde es gemacht.

Schuhmann: Tod und Sterben gehören zu uns dazu. Nicht für alle, aber für viele ist es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen.

Wie viel reden Ihre Patienten über das Sterben, über den Tod?

Schäfer: Das ist sehr, sehr unterschiedlich. Man muss sich von der Vorstellung lösen, dass jeder Schwerkranke bei uns darüber redet, manche verdrängen das Thema.

Schuhmann: Oder sie reden verschlüsselt darüber – und wir merken es nicht. Manche reden über das Sterben ihrer Tante – und meinen das eigene Sterben. Es gibt ja viele Menschen, die das Wort nicht sagen können. Sie sprechen von "entschlafen" oder "einschlafen". Ich glaube, wir können es benennen: sterben. Weil es so ist.

Für Angehörige ist der Tod unverändert so schrecklich wie vor 20 Jahren, oder?

Schuhmann: Und es wird in 20 Jahren immer noch schrecklich sein, wenn ein geliebter Mensch stirbt.

Schäfer: Da hat sich nichts verändert, außer dass wir zunehmend mehr Patchwork-Familienstrukturen erleben und darin oft ein besonderer Zündstoff enthalten ist. In der Endphase des Lebens brechen Konflikte noch mal auf und bekommen eine besondere Dynamik – auch und gerade im Patientenzimmer. Das hat sich verschärft.

Was tun sie dann?

Schäfer: Viel reden, mit allen Beteiligten. Der Patient ist für uns schon im Mittelpunkt. Aber das entbindet uns nicht davon, uns auch mit den Angehörigen zu beschäftigten.

Was fehlt heute noch am meisten – in der Palliativmedizin und -versorgung?

Schuhmann: Es gibt eine Entwicklung, die mir Sorgen macht: Dass es auch in der Palliativmedizin um das Geld geht.

Schäfer: Man kann die Palliativmedizin nicht in Pflegeminuten, nicht in Arztminuten fassen. Das ist die größte Sorge, die uns umtreibt: Dass man versucht, auch die Palliativmedizin in das Fallpauschalen-System hineinzupressen. Sie ist eine unheimlich individuelle Medizin, die die Bedürfnisse des Menschen ganz weit oben ansetzt. Das geht nicht unter dem Zwang der Ökonomie.

Ihr größter Wunsch?

Schuhmann: Dass es so weiter geht. Diese Vernetzung, diese Kombination aus Station und Akademie. Das ist das Erfolgsrezept.

Ihrer, Herr Schäfer?

Schäfer: Dem gibt es nichts hinzuzufügen. Dass es so weiter geht.

Palliativakademie am Juliusspital Würzburg

Im Jahr 2001 eröffnete die Stiftung Juliusspital Würzburg die erste Palliativstation in Unterfranken und zeitgleich die Akademie für Palliativmedizin, Palliativpflege und Hospizarbeit. Die Verzahnung von Theorie und Praxis im Bereich "Palliative Care" ist heute wie vor 20 Jahren  ein wichtiges Ziel. Kooperationspartner der Akademie sind der Hospizverein Würzburg und der Hospiz- und Palliativdienst der Malteser Hilfsdienstes der Diözese. Die Angebote und Kurse richten sich an alle, die haupt- oder ehrenamtlich schwerkranke und sterbende Menschen betreuen. Ausdrücklich wendet sich die Akademie auch an die Öffentlichkeit mit dem Ziel, die Hospiz- und Palliatividee in der Bevölkerung bekannt und transparent zu machen. 
Infos und Kontakt: www.juliusspital-palliativakademie.de/
nat
 
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  • U. D.
    Meine Mutter starb vor 9 jahren. Erst gab es den Aufenthalt in der Palliativstation. Was mir am intensivsten in Erinnerung von dort geblieben ist, war die Musiktherapie. Es war nur eine kurze Zeit. Die Therapeutin kam mit Gitarre und half Mama sich an die Kindheit und das Singen mit den Geschwistern zu erinnern. Aus wenn es etwas holprig von uns war, haben wir ein paar Lieder gesungen. So glücklich hatte ich meine Mutter schon lange nicht mehr gesehen.
    Zu Hause wurde sie durch die abulante Paliativ betreut. Liebevoll, ohne Zeitdruck und auch Vater und ich wurden mit einbezogen, indem man uns Ängste nahm.

    Danke! Ich sagte damals schon, dass ich jedem der gehen muss, diese Erfahrung wünsche so betreut und verstanden zu werden. Auch unsere Trauergäste waren der Meinung, dass man solchen Einsatz mit Spenden unterstützen sollte.
    Nochmals Danke und bitte weiter so.
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