
Menschen, die unheilbar erkrankt sind und wissen, dass sie bald sterben, werden mit dem Unbegreiflichen konfrontiert. Das Gespräch zwischen Gesunden und Sterbenskranken ist schwierig. Wie kann Kommunikation in dieser von Ängsten und Sorgen belasteten Situation gelingen? Wir befragten hierzu den Würzburger Experten Ernst Engelke, dessen neues Buch sich mit der Begleitung Sterbenskranker beschäftigt.
Ernst Engelke: Das Wissen „Ich muss bald sterben und niemand kann mir das abnehmen“ begründet die Einsamkeit Sterbenskranker. Diese Einsamkeit wird verstärkt, wenn ihre Mitmenschen nicht in der Lage oder bereit sind, dieses schlimme Erleben mit ihnen auszuhalten und sich entziehen.
Engelke: Gesunde Menschen wollen für gewöhnlich erreichen, dass Sterbenskranke sich klaglos in ihr Schicksal einfügen. Aber: Fast alle Menschen wehren sich gegen den eigenen Tod und hoffen, dass sie noch nicht sterben müssen. Weil die Gesunden das nicht akzeptieren, fühlt sich der Sterbenskranke allein gelassen. Gesunde müssen begreifen: Auch sie werden sich gegen das Sterbenmüssen sperren, wenn ihr Leben durch eine schlimme Krankheit bedroht wird.
Engelke: Es ist weniger eine Frage des Einfühlungsvermögens. Vielmehr hängt es mit der Scheu und der Abwehr zusammen, Sterbenskranken ehrlich zu begegnen und sich auf ihr Schicksal einzulassen, und natürlich mit falschen Erwartungen an Sterbenskranke. Ein Rollenwechsel mit dem Sterbenskranken fördert das Gespür für die passende Kommunikation. Eine Krankenschwester erschrak darüber, wie nachlässig sie schon wieder mit den Kranken umging, und stellte fest: „Es ist wohl wieder einmal Zeit, dass ich selbst ins Krankenhaus muss.“
Engelke: Als tiefe Kränkung empfinden vor allem pflegebedürftige Sterbenskranke, überhaupt nicht mehr für sich selbst sorgen zu können und anderen Menschen total ausgeliefert zu sein.
Engelke: Jeder Sterbenskranke wird durch die Erkenntnis belastet: Ich muss bald sterben. Und jeder wird durch die Aufgaben und die Einschränkungen, die sich daraus ergeben, belastet. Die Persönlichkeitsstruktur, die Biografie und die religiöse Bindung des Kranken, die Art und Dauer der Erkrankung, ihre Behandlung mit den Nebenwirkungen sowie das Verhalten der Angehörigen, Ärzte und Pflegenden sorgen für das Persönliche und Einmalige des Sterbens.
Engelke: Diese Aussage von Kübler-Ross ist mir zu pauschal. Zu allen Zeiten haben Pflegende und Ärzte Sterbenskranke in Kliniken und Heimen fürsorglich begleitet und behandelt, oft unter sehr schwierigen Rahmenbedingungen. Selbstverständlich gab es früher wie heute Fälle, in denen Sterbenskranke als „Fall“ behandelt worden sind. Die moderne Palliativ- und Hospizbewegung ist eine Antwort auf die Einsamkeit Sterbenskranker in unseren Tagen und hat für eine neue Wertschätzung, auch für eine bessere Versorgung Sterbenskranker gesorgt.
Engelke: Das hängt von der Art und der Qualität der Beziehung der Sterbenskranken zu ihren Angehörigen ab. Manche möchten ihre Angehörigen schonen. Andere haben Angst, von ihnen verlassen zu werden. Wieder andere wollen so lange wie möglich als Gesunde behandelt werden.
Engelke: „Normale“ Stationen sind häufig unzureichend für die Pflege Sterbenskranker ausgestattet: Zeit, Personal und geeignete Räume fehlen. Die Ärzte sind nicht in Palliativmedizin und Pflegende nicht in Palliative Care ausgebildet. Trotzdem bemühen sich Ärzte und Pflegende in der Regel auch auf den „normalen“ Stationen um eine menschenwürdige Behandlung und Pflege Sterbenskranker. Die vorzügliche Versorgung Sterbenskranker auf Palliativstationen ist allgemein bekannt und anerkannt. Dieser hohe Standard wird zur Zeit leider bundesweit dadurch gefährdet, dass die Finanzierung der Palliativstationen einschneidend geändert wird: Es wird auch hier an Personal gespart und damit wird auch hier die Zeit der Ärzte und Pflegenden für Patienten und Angehörige gekürzt.
Engelke: Ja. Bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung geraten unsere Eigenschaften, Verhaltensmuster und Gewohnheiten unter Druck. Sie werden verstärkt gelebt und nicht aufgegeben. Das bedeutet: Ein ruhiger Mensch wird noch ruhiger, ein launischer noch launischer, ein jähzorniger noch zorniger. Und: Eine lebensbedrohliche Erkrankung schweißt Sterbenskranke und ihre Angehörigen nicht automatisch zusammen. Vielmehr gilt: Stabile Beziehungen werden stabiler und zerbrechliche Beziehungen werden zerbrechlicher und zerbrechen. Ein Sterbenskranker sagte zu mir: „Zu merken, dass man geliebt wird, ist schön. Jemanden zu lieben, ist auch schön. Aber was machen die Leute, die niemanden haben?“
Ernst Engelke
Der Autor: Prof. Dr. Ernst Engelke (Jahrgang 1941) studierte Philosophie, Theologie, Pädagogik und Psychologie, absolvierte eine Weiterbildung in Clinical Pastoral Training und mehreren Methoden der Psychotherapie. Während seines Studiums arbeitete er in der Krankenpflege, nach dem Studium war er in der Klinikseelsorge tätig. Seitdem begleitet er Sterbenskranke und ihre Angehörigen und führt deutschlandweit Fortbildungen für Mitarbeiter von Sozial- und Palliativstationen, Hospizen, Altenheimen und Hospizvereinen durch. Von 1980 bis 2007 war Engelke Professor für Soziale Arbeit an der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt. Seit 2001 engagiert sich Engelke in der Akademie für Palliativmedizin, Palliativpflege und Hospizarbeit und auf den Palliativstationen der Stiftung Juliusspital Würzburg. Engelke ist Autor vieler Fachpublikationen zur Sozialen Arbeit und zur Palliativmedizin, Palliativpflege und Hospizarbeit. Das Buch: „Gegen die Einsamkeit Sterbenskranker. Wie Kommunikation gelingen kann“, Lambertus Verlag, 380 Seiten, 23,90 Euro. Die Buchvorstellung: Am Freitag, 18. Januar, stellt Ernst Engelke in der Palliativakademie der Stiftung Juliusspital Würzburg (Juliuspromenade 19) sein Buch vor. Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr, der Eintritt ist frei. Information und Anmeldung unter Tel. (09 31) 393 22 81. FOTO: EE