
Bei einem Schlaganfall zählt jede Minute. Symptome müssen schnell erkannt und Patienten sofort richtig versorgt werden. Nur: Die Diagnose kann meist erst in der Notaufnahme eindeutig gestellt werden. "Im schlechtesten Fall ist man dann in einem Krankenhaus ohne Stroke Unit gelandet und muss verlegt werden", sagt Prof. Volker Behr vom Lehrstuhl Experimentelle Physik 5 der Uni Würzburg. Dabei geht wertvolle Zeit verloren. Und genau das will sein Team ändern – mit einem Gerät, das nur etwa so groß ist wie ein Laptop.
Behr lässt die Verschlüsse der gelben Kiste aufschnappen und schließt per Kabel eine schwarze Kappe mit Elektrospulen an. "Die StrokeCap ist ein tragbares Gerät, mit dem Sanitäter bereits im Rettungswagen einen Schlaganfall feststellen könnten", erklärt Dr. Patrick Vogel.
Mit der StrokeCap wird sichtbar, welche Bereiche des Gehirns wie durchblutet sind
Der Physiker leitet das Projekt StrokeCap in der Arbeitsgruppe von Volker Behr, gerade erst haben sie den Medical Valley Award und eine halbe Million Euro vom Bayerischen Wirtschaftsministerium dafür bekommen. Das Ziel ist klar: Schlaganfalldiagnostik mobil möglich machen. Noch aber steckt das Projekt quasi in den Kinderschuhen.

Vogel zeigt auf einen kleinen Monitor in der Kiste, das Analysemodul. Grüne und rote Kurven laufen über das Display. Das Prinzip der StrokeCap sei einfach: "Wir visualisieren die Durchblutung des Gehirns und über magnetische Nanopartikel können wir dabei erkennen, wenn ein Bereich schlechter oder langsamer durchblutet wird".
Grundlage ist das sogenannte Magnetic Particle Imaging. Dabei wird Patienten ein eisenhaltiges Kontrastmittel gespritzt, das als Marker fungiert. "Das Mittel wandert durch die Blutgefäße und wir messen, in welchen Bereichen des Gehirns die Eisenpartikel wann ankommen", sagt Behr.
Auf der Kappe sind Spulen angeordnet, die ein elektromagnetisches Feld aussenden
"Verfolgt" werden die Partikel über die schwarze Kappe. Darauf angeordnet sind sechs kreisförmige Spulen, die ein elektromagnetisches Feld aussenden. Stößt dieses auf die Eisenpartikel, lässt sich das auf dem Monitor ablesen. "Wenn sich das Signal schnell verändert, sieht man das als grüne Linie und das bedeutet, dass die Eisenpartikel schnell im Gehirn angekommen sind und die Durchblutung gut war", so Behr. Umgekehrt zeige eine rote Linie ein schlecht durchblutetes Areal an – "was ein deutliches Zeichen dafür ist, dass ein Schlaganfall besteht".

Grundsätzlich geht das Team um Behr davon aus, dass die Treffsicherheit der Diagnose hoch sein wird. "Wenn ein Schlaganfall vorliegt, sehen wir das in jedem Fall." Dann könnten Patienten durch die StrokeCap wertvolle Zeit gewinnen.
Denn bei einem Schlaganfall gilt, dass die Fahrt bis zum nächsten Krankenhaus nicht mehr als 30 Minuten dauern sollte. Gerade in ländlichen Regionen aber sind die Wege zum nächsten Krankenhaus oft weit und nicht jede Klinik verfügt über eine Stroke Unit, eine spezialisierte Versorgungseinheit für Schlaganfall-Patienten.
In Unterfranken gibt es nach Angaben des Neurovaskulären Netzwerks insgesamt neun Stroke Units, davon vier überregionale. Diese großen Zentren können rund um die Uhr alle relevanten diagnostischen und therapeutischen Verfahren anbieten, wie etwa mechanische Thrombektomien, sagt Dr. Christian Hametner, Netzwerksprecher und Neurologe an der Uniklinik Würzburg.
Das Problem: Wird ein Schlaganfall-Patient zunächst in ein Krankenhaus ohne Stroke Unit gefahren und muss dann verlegt werden, ist der Zeitverlust enorm. "Mit jeder Minute erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass bleibende Gehirnschäden auftreten", sagt Volker Behr.

Vor fünf Jahren, auf einer Konferenz in New York, hätten er, Patrick Vogel und weitere Kollegen die Idee zur StrokeCap entwickelt. Eine Hamburger Gruppe habe damals einen Kopfscanner vorgestellt, ein mobiles Rollgerät, das hochauflösende Bilder des Gehirns lieferte. "Wir haben das weitergedacht und auf die bei einem Schlaganfall entscheidenden Informationen über die Durchblutung reduziert – so entstand die StrokeCap."
Ziel der Forscher ist es, die StrokeCap für die medizinische Zulassung vorzubereiten
Noch aber ist das Gerät nicht als Medizinprodukt und damit für den Einsatz am Menschen zugelassen. Die gelbe Kiste und die Kappe sind nur Prototypen. "Unser Ziel ist es, die StrokeCap aus dem Labor zu holen und für klinische Studien vorzubereiten", sagt Patrick Vogel. "In den nächsten 18 Monate wollen wir die Spulen und die Sensorik der Kappe optimieren und für die medizinische Zulassung vorbereiten."
Dafür müssen viele Fragen geklärt werden. Wie groß darf die StrokeCap sein, damit sie in jeden Rettungswagen passt? Wie sichert man die einwandfreie Funktion? Und wie schafft man es, dass die Kappe am Ende günstig genug für den standardisierten Einsatz ist?
Aktuell geht Volker Behr davon aus, dass das Analysemodul gut 50.000 bis 100.000 Euro kosten wird. Hinzu käme eine Kappe pro Patient plus das Kontrastmittel. "Unterm Strich wird der Materialaufwand pro Messung bei etwa 1000 Euro liegen", schätzt Behr. Dabei sollen die Kappen kein Einmalprodukt, sondern "nach Benutzung rezertifiziert und erneut verwendet werden können".
Die StrokeCap soll 2030 in den Rettungswagen liegen
Flächendeckend gibt es bislang keine mobilen Diagnose-Möglichkeiten für Schlaganfall-Patienten – weder in Deutschland noch weltweit. Der Sprecher des Neurovaskulären Netzwerkes Unterfranken, Christian Hametner, sieht die StrokeCap daher als "zukunftsweisendes Modell". Durch die frühe Bilddiagnostik "ließe sich in strukturschwächeren Regionen die Zeit vom Erkennen der Symptome bis zum Therapiebeginn wahrscheinlich spürbar verkürzen", sagt er.
Voraussetzung aber sei, dass die Stroke-Cap in klinischen Studien umfassend geprüft werde: einerseits um die Machbarkeit festzustellen, vor allem aber um zu prüfen, "ob sich durch einen möglichen Zeitgewinn auch die neurologischen Behandlungsergebnisse signifikant verbessern lassen".
Noch sei das offen. "Es ist noch viel Arbeit", sagt Patrick Vogel. Wenn alles gut läuft, könnten in zwei bis drei Jahren erste Daten aus klinischen Versuchen bereitstehen. "Optimistisch gedacht, könnte die StrokeCap 2028 in den Rettungswägen liegen – realistisch ist eher das Jahr 2030."