Die zwei aus Würzburg stammenden Betreiber des größten Berliner Bordells "Artemis" bitten das Land Berlin zur Kasse: Sie verlangen Entschädigung für eine Razzia vor sechs Jahren, die bundesweit über die Bildschirme lief – aber nach drei Jahren für die Justiz als peinlicher Fehlschlag endete.
Vergleich mit Al Capone
531 Polizisten, Zollfahnder und Staatsanwälte hatten das Bordell im Berliner Ortsteil Halensee am 14. April 2016 durchsucht. Noch während die Durchsuchung lief, die dank angeblich zufällig anwesender Kameras bundesweit Beachtung fand, fielen große Worte: Von Menschenhandel, Zwangsprostitution, organisierter Kriminalität sprach in jener Nacht ein Staatsanwalt, verglich die Brüder S. mit Al Capone. Die im "Artemis" tätigen Prostituierten würden wie "Sklaven auf Baumwollfeldern" behandelt, hieß es.
Die Betreiber Haki und Kenan S. kamen in U-Haft. Und während Polizisten die Prostituierten und ihre Kunden für spektakuläre Fernsehbilder aus dem Bordell holten, ließ sich – mitten im Berliner Kommunal-Wahlkampf – der angeblich zufällig vorbeischauende Berliner Innensenator Frank Henkel (CDU) für die erfolgreiche Bekämpfung der Clan-Kriminalität feiern.
Durchsuchung auch in Würzburg
Auch in Würzburg "gab es Maßnahmen", wie das Polizeipräsidium Unterfranken damals bestätigte. Doch die Beweislage reichte nicht einmal aus, um das "Artemis" auch nur einen Tag zu schließen. So betrieb ein Mann aus Güntersleben (Lkr. Würzburg) das Bordell als vorläufiger Geschäftsführer weiter, bis die Brüder S. nach einigen Wochen wieder frei kamen.
Der "FKK-Club Artemis" hatte 2005 in einem mehrgeschossigen früheren Lagerhaus im Westen Berlins nahe dem Messegelände eröffnet. Aggressive Werbung hatte es bekannt gemacht, aber auch der Versuch der Betreiber, ihr Geschäftsmodell mit weitgehend selbstständig dort arbeitenden Prostituierten gegenüber den Behörden transparent offenzulegen.
Geschäfte in der Nürnberger Straße in Würzburg
In Franken hatte es – anders als in Berlin – sofort Bedenken gegen die Razzia gegeben: "Hoffentlich geht der Schuss nicht nach hinten los", hatte ein Ermittler in Würzburg bereits drei Tage nach der Durchsuchung gegenüber dieser Redaktion befürchtet. Er kannte das Geschäft der Brüder S. gut, die mit Spielautomaten und einem Casino in der Nürnberger Straße in Würzburg zuvor jahrelang anstandslos ihre Geschäfte gemacht hatten.
Der Polizist wusste auch: Die Brüder hatten 2005 ihr Geschäftsmodell in Berlin bei Finanz- und Ermittlungsbehörden prüfen lassen, ehe das "Artemis" öffnete. "Wenn die sich an das gehalten haben, was sie uns vorgelegt haben, kann ich mir nicht vorstellen, dass man ihnen am Zeug flicken kann", urteilte er damals.
Vorwürfe platzten wie Seifenblasen
Tatsächlich schmolzen die Vorwürfe gegen die zwei Würzburger dahin wie Butter in der Sonne. Am Ende sahen die Richter nicht einmal den Vorwurf der Steuerhinterziehung und des Vorenthaltens von Sozialabgaben in zweistelliger Millionenhöhe als solide untermauert. Die Anklage der Staatsanwaltschaft war so dünn belegt, dass das Berliner Gericht einen Prozess ablehnte.
2019 gab die Staatsanwaltschaft auf, wie Verteidiger Jan Paulsen bestätigte. Nun gingen Haki und Kenan S. in die Offensive. "Wir werden Schadenersatz fordern", kündigte der Anwalt an.
Richterin im Zivilprozess: Äußerungen der Staatsanwaltschaft "vorverurteilend"
Aktuell ist der Fall vor dem Kammergericht Berlin, der höchsten Rechtsinstanz des Landes. Schon bei Eröffnung des Verfahrens im Mai 2022 machte die Vorsitzende Richterin Cornelia Holldorf deutlich: Die damaligen Äußerungen der Staatsanwaltschaft seien "schuldhaft amtspflichtwidrig", "vorverurteilend, überzogen" und "reißerisch" formuliert gewesen.
Das Kammergericht schlug einen Kompromiss vor, um den Fall geräuscharm zu den Akten zu legen: Statt Schadenersatz an die Bordellbetreiber zu leisten, sollte das Land 50.000 Euro an eine gemeinnützige Organisation zahlen.
Berlin weigert sich zu zahlen
Diese Redaktion erfuhr nun von einem Sprecher der "Artemis"-Anwälte: Das Land Berlin sei zwar "bereit, sich in der gebotenen Deutlichkeit von den damaligen Äußerungen zu distanzieren beziehungsweise sich in der angemessenen Form zu entschuldigen". Aber: Berlin sei nicht bereit, mehr als 10.000 Euro zu zahlen.
Das Gericht kann jetzt einen erneuten Vergleich vorschlagen oder muss ein Urteil fällen. Wie das ausfallen könnte? Die Vorsitzende Richterin Holldorf wurde am Freitag mit den Worten zitiert, dass "die öffentliche Hand ein bisschen mehr zu ihren Fehlern stehen sollte".