Kenan S. und seine Familie in Würzburg können aufatmen: Fast drei Jahre nach einer bundesweit beachteten Razzia in Berlins bekanntestem Bordell "Artemis" ist von den Vorwürfen gegen den früher in Unterfranken tätigen Betreiber und seinen Bruder Hakki nichts übrig. Von Zwangsprostitution, Zuhälterei und Steuerhinterziehung in Millionenhöhe ist keine Rede mehr.
Der vollmundigen Ankündigung folgten keine Beweise
Die ursprünglichen Vorwürfe – spektakulär in einer Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft in die Öffentlichkeit getragen - schmolzen dahin wie Butter an der Sonne. Am Ende war selbst der verbleibende Vorwurf der Steuerhinterziehung dem Landgericht zu dünn für einen Prozess. Doch die Staatsanwaltschaft legte Beschwerde ein – ohne Begründung.
Jetzt hat die Strafverfolgungsbehörde Verteidiger Jan Paulsen in Würzburg mitgeteilt: Sie ziehe ihren Protest zurück. Damit hat sie das Verfahren einsilbig beendet, das mit großem Getöse im Berliner Wahlkampf im April 2016 begonnen hatte.
Innensenator bei Durchsuchung anwesend
Damals konnte dank "zufällig" anwesender Fernsehkameras ganz Deutschland zuschauen, wie eine kleine Armee von über 500 Polizisten Straßen sperrten und das "Artemis" nahe dem Funkturm stürmte. Auch in Würzburg wurden Objekte durchsucht.
Die Kinder von Kenan S. sahen sich in der Schule in Würzburg hämischen Kommentaren ausgesetzt. Plötzlich kannte ganz Deutschland den türkischstämmigen Würzburger und seinen Bruder Hakki – auch deshalb, weil Journalisten in einer Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft mit schlagzeilenträchtigen Details gefüttert wurden: Die im "Artemis" tätigen selbständigen Prostituierten würden wie "Sklaven auf Baumwollfeldern" behandelt, heiß es.
Mit Al Capone verglichen
Strafverfolger verglichen Hakki und Kenan S. mit dem Mafia-Boss "Al Capone". Und Innensenator Frank Henkel (CDU) - der damals Regierender Bürgermeister werden wollte – war während der nächtlichen Durchsuchung persönlich vor Ort und erklärte später: "Wir haben ein deutliches Signal gesetzt, dass wir die kriminelle Unterwelt bekämpfen."
Beide Brüder saßen vier Monate in Untersuchungshaft. Ein Vertrauter aus Güntersleben (Lkr. Würzburg) übernahm die Geschäftsführung im "Artemis", das nicht geschlossen wurde.
Fachleute hatten Bedenken gegen das Vorgehen
Hochrangige Spezialisten zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität runzelten schon da besorgt die Stirn. Einer sagte wenige Tage nach der Razzia dieser Redaktion: Die zwei Würzburger hätten ihr Unternehmen den Behörden gegenüber so transparent geführt, wie es in der Branche eigentlich nicht üblich sei.
Tatsächlich blieb die Berliner Staatsanwaltschaft den Beweis für ihre vollmundigen Worte schuldig. Das Kammergericht Berlin sah bereits im Sommer 2016 keinen hinreichenden Tatverdacht. Und zuletzt war dem Landgericht die Beweisdecke zu dünn, um selbst über den Rest einen Prozess zu beginnen: Steuerhinterziehung und Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen für Prostituierte, die angeblich gar nicht selbstständig waren, sondern dort angestellt.
Geschäftsmodell wurde immer wieder kontrolliert
Genau dies war das (immer wieder kontrollierte) Geschäftsmodell von Hakki und Kenan S.. Die zeigten sich verwundert nach ihrer Freilassung: Sowohl Landeskriminalamt und Zoll als auch Finanzamt und die Experten der "AG Rotlicht" führten jahrelang regelmäßige Kontrollen durch. "Sie haben vom ersten Tag an immer genau gewusst, wie alles abläuft."
Nun betonen die Verteidiger um Paulsen und Silvin Bruns: Der Vorgang zeige, "wie voreingenommen, verblendet und - sogar öffentlich -stark vorverurteilend die Staatsanwaltschaft in ihrem inquisitorischen Bestreben vorgegangen ist". Erst nach fast drei Jahren habe die sich "nun offenbar eines Besseren besonnen", hieß es am Mittwoch.
Millionenklage um Schadenersatz?
Das kann noch teuer werden, wenn die Betreiber nun die öffentliche Anprangerung und den Verlust ihrer Freiheit in Rechnung stellen. "Wir werden wohl Schadenersatz fordern", sagte Anwalt Paulsen auf Anfrage dieser Redaktion.