Jäh wurde das Liebeswerben knapp bekleideter Damen am Mittwochabend im Großbordell „Artemis“ in Berlin unterbrochen: Polizisten stürmten an Statuen der Jagdgöttin „Artemis“ vorbei, in Büros und die Zimmer, in denen die käufliche Liebe angeboten wurde.
Der dreistöckige Club in einem früheren Lagerhaus ist das größte Bordell Berlins. Laut Staatsanwaltschaft geht es um Menschenhandel. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft bestätigte Ermittlungen wegen nicht gezahlter Sozialabgaben, Steuerbetrug und Scheinselbstständigkeit.
Sechs Haftbefehle gegen Verantwortliche – darunter die beiden Besitzer – wurden vollstreckt. „Auch in Würzburg gab es Besuch von der Polizei“, sagt Rechtsanwalt Jan Paulsen, der mit seinem Kollegen Norman Jacob die Betreiber des „Artemis“ vertritt. „Ja, hier gab es Maßnahmen“, bestätigt Kathrin Thamm, Sprecherin des Polizeipräsidiums. In Würzburg wohnt Kenan S., der mit seinem in Berlin lebenden Bruder Haki 2005 das „Artemis“ errichtete.
Seit 2005 sorgt das „Artemis“ für Schlagzeilen, auch deshalb, weil getuschelt wurde: Die Frau eines hochrangigen Politikers habe vor ihrer Ehe da als Escortlady „Lady Victoria“ gearbeitet. Die Betreiber dementierten. Doch die Betroffene adelte Gerücht und Bordell mit einem ganzen Kapitel ihrer Autobiografie.
2012 gab es eine wilde Schießerei mit drei Verletzten – angeblich, weil ein Kunde lieber die Waffe zog als den Geldbeutel. Warum das Berliner Rotlicht-Milieu duldet, dass zwei türkischstämmige Würzburger in ihrem Gebiet „wildern“, ist Gegenstand von Ermittlungen. Gegenüber der türkischen Zeitung Hürriyet charakterisierte Kenan S. das „Artemis“ als „Familienbetrieb“. Er und sein Bruder waren zuvor (auch in Würzburg) als Betreiber von Spielcasinos tätig.
Am Donnerstag zog der Berliner Staatsanwalt Andreas Behm den Vergleich mit dem Mafia-Gangster Al Capone. Auch der sei wegen Steuerhinterziehung angeklagt worden, als man ihn wegen anderer Delikte zunächst nicht fassen konnte.
Im Mittelpunkt stünden nicht Bagatelldelikte, sondern Taten, die das „System des illegalen Umfeldes“ bestätigten. Die Frauen seien „in Abhängigkeit gehalten und ausgebeutet“ worden. Der Betrieb basiere auf organisierter Kriminalität. Die zwei Bordellbetreiber machten sich selbst nicht die Finger schmutzig. Vielmehr verwalteten sie die Kriminalität. Prostituierten hätte für Mitglieder der kriminellen Rocker-Gang „Hells Angels“ gearbeitet. Eine Frau sei „so malträtiert“ worden, dass sie keinen anderen Ausweg gesehen habe, als sich an die Polizei zu wenden.
„Ich habe vierzig Stellen geschaffen, ich habe Konzessionen für alles mögliche, ich zahle Steuern. Ich werde beweisen, dass man so einen Laden ohne Zuhälter führen kann“, hatte Haki S. bei der Eröffnung 2005 gesagt. Im „Artemis“ würden die Prostituierten – wie die Freier – siebzig Euro Eintritt zahlen. Dafür könnten sie dort selbstständigh ihr Geld verdienen.
Die Prostituierten würden offiziell als Selbstständige geführt, seien aber an feste Arbeitszeiten und Tarife gebunden, erklärte ein Polizeisprecher. Offenbar gab es Schichtpläne, Preisvorgaben, Kontrollen und Sanktionen. Die Summe nicht gezahlter Sozialbeiträge belaufe sich auf 17,5 Millionen Euro, sagt die Polizei.