Auf ungewöhnliche Art wehren sich die Würzburger Betreiber des Berliner Großbordells „Artemis“ gegen die Staatsanwaltschaft - nach Ermittlungen um angeblich nur zum Schein selbstständige Prostituierte. Die Brüder Haki und Kenan S. wollen nicht mit dem Chicagoer Gansgter Al Capone verglichen werden, wie dies die Berliner Ermittler vor kurzem in einer Pressekonferenz nach der Razzia taten.
Die zwei Brüder, die von Würzburg aus ihr Geld mit Spielcasinos und -automaten gemacht haben, sitzen wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung und des Menschenhandels in Untersuchungshaft. 900 Beamte von Zoll, Polizei und Steuerfahndung waren Mitte April bei der Großrazzia im "Artemis" und an anderen Orten im Einsatz. Auch in Würzburg wurde durchsucht. Kurz danach sprach die Berliner Staatsanwaltschaft von Vorwürfen zu organisierter Kriminalität, Ausbeutung und Gewaltanwendung.
Staatsanwaltschaft hätte nicht mit gebotener Distanz berichtet
Laut Handelsregister ist für die inhaftierten Brüder Haki und Kenan S. Anfang Mai ein Mann aus dem Landkreis Würzburg als Geschäftsführer des „Artemis“ nachgerückt, das nach wie vor geöffnet ist.
Jetzt wirft der auf Presserecht spezialisierte Jurist Ben M. Irle der Staatsanwaltschaft vor, bei der Pressekonferenz nach der Razzia nicht mit der gebotenen Distanz über den spektakulären Polizeieinsatz und den Stand der Ermittlungen berichtet zu haben. „Unsachlich, reißerisch, emotionalisiert, unausgewogen und stark vorverurteilend" habe die Anklage die Medien informiert. Damit habe sie den Grundsatz der Unschuldsvermutung total aus den Augen verloren.
Anklagevertreter abgemahnt
Das soll rechtliche Konsequenzen haben. Nach Informationen der Anwälte der Brüder K. wurden die Berliner Anklagevertreter jetzt abgemahnt. Außerdem habe man die Staatsanwaltschaft zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung aufgefordert.
In Ermittlerkreisen in Unterfranken sind die Brüder keine Unbekannten. Gegenüber dieser Zeitung wurde von einem Insider bereits kurz nach der Razzia Mitte April vehement daran gezweifelt, ob sich die Vorwürfe der Berliner Strafverfolger auch beweisen lassen. Seiner Kenntnis nach hatten die zwei Brüder türkischer Herkunft 2005 ihr Geschäftsmodell sorgfältig bei Finanz- und Ermittlungsbehörden prüfen lassen, ehe das „Artemis“ seine Türen öffnete. „Wenn die sich an das gehalten haben, was sie damals vorgelegt haben, kann ich mir nicht vorstellen, dass man ihnen am Zeug flicken kann,“ urteilte der Mann, der diese Unterlagen gesehen hat.
Das gleiche betonen Jan Paulsen und Norman Jacob, die Würzburger Strafverteidiger der Brüder S.
Theoretisch selbstständige Arbeit der Prostituierten
Ein aktueller Bericht der Tageszeitung „Die Welt“ zweifelt ebenfalls an der angeblichen Steuerhinterziehung in Millionenhöhe. „In den vergangenen zehn Jahren gab es im Artemis mehr als 40 Kontrollen mit 1000 überprüften Frauen, die sämtlich ohne Beanstandung blieben,“ betonte Anwalt Silvio Bruns. Dabei seien 4,1 Millionen Euro Steuern ans Finanzamt abgeführt worden.
Im „Artemis“ stellen die Betreiber nur die Räumlichkeiten für die Prostituierten zur Verfügung, die hier arbeiten. Die müssen offiziell genauso den Eintrittspreis von 80 Euro zahlen wie die Gäste. Sie kassieren für ihre Dienstleistung selbst, arbeiten also zumindest in der Theorie selbstständig und müssen ihre Einnahmen selbst versteuern.
Da Prostituierte aber häufig ihren Arbeitsplatz wechseln, ist es für die Finanzämter schwer, die Steuern korrekt zu erheben. Das „Artemis“ habe nach dem sogenannten Düsseldorfer Model gearbeitet, das zwischen Finanzamt und der Artemis GmbH im April 2007 vereinbart wurde, Dabei wurden mehr als vier Millionen Euro an Einbehalten von den dort arbeitenden Prostituierten an das Finanzamt abgeführt, sagt Irle.
Sieht die Praxis anders aus?
Damit und und mit der Zahlung einer Vorabpauschale von 30 Euro sollte ein angemessenes Steueraufkommen von Seiten der Prostituierten gesichert werden. „Das Artemis führte diese Pauschale jeweils am Ende eines Monats als Vorauszahlung auf die persönliche Steuern der Prostituierten an das Finanzamt ab“, erklärt einer von einem halben Dutzend Juristen, die für die Brüder S. arbeiten. Das sei seit 2007 vom Finanzamt regelmäßig überprüft worden.
Doch in der Praxis sollen zuletzt auch muskelbepackte Herren mit einschlägig bekannten Kutten eines Ablegers der „Hells Angels“ häufig „ihre“ Mädchen hier zum Anschaffen abgeliefert haben. Das sieht für Kenner des Milieus eher nach klassischem Abhängigkeits-Verhältnis als nach Selbstständigkeit aus.
Dies würde tatsächlich den Bogen zur Organisierten Kriminalität schlagen: Den Kampf gegen die Rocker hat sich Oberstaatsanwalts Sjors Kamstra, Leiter der Berliner Abteilung Organisierte Kriminalität, zur Herzensangelegenheit gemacht. Gegen die Höllenengel setzt er auch das Ordnungs-, Gewerbe- oder Steuerrecht ein.
Prüfung einer Schließung des "Artemis"
Die Staatsanwaltschaft sagt, im „Artemis“ sei der Trick sei gewesen, Frauen wie Angestellte eingeteilt und behandelt zu haben – die angeblich selbstständig ihrem Gewerbe nachgehen. Dafür seien keine Sozialabgaben gezahlt worden – insgesamt 18 Millionen Euro.
Einer der Betreiber soll bei einer Überprüfung im März 2016 die Ermittler selbst darauf hingewiesen haben, dass einige der Frauen dem Umfeld der Rocker zuzurechnen seien. Das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf prüft gewerberechtlich die Schließung des „Artemis“.
Die Staatsanwaltschaft hat die Frist zur Abgabe der Unterlassungserklärung verstreichen lassen. Anwalt Irle kündigte weitere juristische Schritte an. Martin Steltner, Sprecher der Staatsanwaltschaft, äußerte sich mit Verweis auf „laufende verwaltungsgerichtliche Auseinandersetzungen“ nicht.