
Abwasser-Rückstaus im Badezimmer, der Fahrstuhl wiederholt kaputt: Seit Jahren gibt es in einem Wohnblock des Wohnungskonzerns Dawonia, im Würzburger Stadtteil Grombühl Probleme. Die Bewohner sind verzweifelt, doch unterkriegen lassen wollen sie sich nicht.
Im Juli hat sich im Block nun ein Ortsableger der sogenannten Mietergewerkschaft gegründet. Der überregional aktive Verein will mit kleinen Schritten die Machtverhältnisse auf dem Wohnungsmarkt verändern. Der 28-jährige David Full ist Sprecher der "Gewerkschaft" in Würzburg. Wie die Gruppe um den studierten Maschinenbau-Ingenieur vernachlässigte Mieterinnen und Mietern stärken will.
David Full: Die Haupteigentümerin Dawonia lässt diesen Block unserer Meinung nach verwahrlosen und kommt ihrer Instandhaltungspflicht nicht nach. Marode Leitungen sorgen seit Jahren regelmäßig für Abwasserrückstau und Fäkal-Überschwemmungen in Wohnungen. Aktuell gibt es einen Ausfall des Fahrstuhls. Ein im Rollstuhl sitzender Mieter sitzt gerade in seiner Wohnung fest und muss von Nachbar:innen versorgt werden.
Full: Die Dawonia versucht, die Verantwortung auf die Mieter:innen abzuwälzen. Uns liegen Fotos vor, die belegen, dass die Rohre teilweise verkrustet und kaum noch nutzbar sind. Auch von der Dawonia beauftragte Handwerker haben das bestätigt. Dennoch reagiert die Dawonia nach unserer Erfahrung lediglich auf Druck. Und genau dafür gibt es jetzt die Mietergewerkschaft.
Full: Seit 2022 gibt es die Initiative Wohnraum Würzburg. Wir haben uns zusammengeschlossen, um den ungleichen Machverhältnissen auf dem Wohnungsmarkt etwas entgegenzusetzen. Gemeinsam haben wir Vorträge und Infostände in der Stadt organisiert. Uns hat aber teilweise der Kontakt zur Basis gefehlt. Irgendwann sind wir in Kontakt mit den Mieter:innen hier im Wohnblock gekommen. Die hatten damals schon mit Protest gegen die Dawonia auf ihre massiven Probleme aufmerksam gemacht. Was den Leuten gefehlt hat, war Struktur und das Gefühl von Gemeinschaft. Der deutschlandweit aktive Verein Mietergewerkschaft bietet nun den Rahmen für unsere Ortsgruppe.

Full: Die Mieter:innen von Immobilienkonzernen sind unserer Ansicht nach für diese nur Nummern, deren Bedürfnisse kaum etwas zählen. Es geht nur um die Maximierung von Profit. Viele haben Angst, sich zu wehren und sind vereinzelt. Wir wollen das soziale Miteinander im Block und damit die Macht der Mieter:innen stärken. Als Gewerkschaft suchen wir dann die Konfrontation mit dem Vermieter oder der Vermieterin. Es verändert sich nur etwas, wenn der Druck groß genug wird.
Full: Die Mietergewerkschaft ist eine deutschlandweite Bewegung mit mehreren Ortsgruppen. In anderen europäischen Ländern gibt es bereits Gewerkschaften, die Mieter:innen vertreten und bei der Aushandlung mit Vermieter:innen rechtliche Privilegien wie kollektive Zahlungsverweigerungen nutzen dürfen. Wir wollen dieses Prinzip auch nach Deutschland bringen und setzen auf Hilfe zur Selbsthilfe: Willst du was ändern? Dann schließ dich mit deinem Nachbarn und deiner Nachbarin in der Gewerkschaft zusammen.
Full: Wir sind explizit kein Mieterverein. Ein Mieterverein bietet einen individuellen Rechtsbeistand. Es fehlt aber häufig der Druck, um gemeinsame Forderungen durchzusetzen. Die Gewerkschaft möchte diesen Druck durch den Gemeinschaftsaspekt aufbauen. Wir suchen in Würzburg und anderen Städten auch gezielt die Zusammenarbeit mit Mieterschutzvereinen, weil wir ein gemeinsames Ziel haben: Mieter:innen sollen sich gegen Vermieter:innen verteidigen können.

Full: Große Teile der Bevölkerung in Deutschland haben verlernt, sich zu organisieren. Viele trauen sich gar nicht mehr. Die großen Konzerne behandeln ihre Mieter:innen oftmals miserabel, das macht was mit dir. Viele der Menschen hier sehen ihre Existenz in Gefahr. Eine offene Nachbarschaft hingegen sorgt für Zusammenhalt. Wir wollen nicht für die Menschen sprechen, sondern sie dabei stärken, für sich selbst zu sprechen. Das stärkt das Selbstwertgefühl. Wir wollen Mieter:innen Hoffnung geben.
Full: Menschen, die sich bisher einzeln gegen Missstände wehren mussten, haben sich kennengelernt. Sie merken: Ich bin nicht alleine. Es gibt jetzt schon eine aktive Gemeinschaft im Block, im Juli haben wir gemeinsam ein Sommerfest gefeiert. Außerdem gibt es mit Edeltraut Graue eine Vertrauensperson im Block, die gleichzeitig zur Gewerkschaft gehört.
Full: Im Fall des Abwasserrückstaus etwa haben wir mit dem Mieterverein Vorlagen erstellt, dupliziert und leicht anpassbar gemacht, sodass die Menschen sie verwenden und abschicken konnten. Erste Mieter:innen haben daraufhin 100 Euro als Arbeitsentschädigung angeboten bekommen. Ein weiterer Erfolg ist, dass wir Belegeinsicht für die Nebenkosten gefordert haben. Wenn ein Vermieter oder eine Vermieterin nicht alle Kosten nachweisen kann, haben Mieter:innen nach mehreren Schritten das Recht, Geld zurückzubehalten und müssen erst nachzahlen, wenn das belegt wird. Hier läuft aktuell der Prozess.

Full: Wir haben uns vor einem Monat gegründet und sind im Aufbau der Strukturen. Nur mit einem stabilen Grundgerüst kann das Projekt nachhaltig sein. Wir arbeiten daran, Workshops, Wissen und Vorlagen verfügbar zu machen, auszubauen und zu übertragen. Mittelfristig möchten wir unser Engagement auf weitere Wohnblöcke in Würzburg ausweiten und monatlich offene Treffen anbieten.
Full: Das Ziel ist, eine richtige, basisdemokratische Gewerkschaft aufzubauen. Um Wohnungskonzernen wirklich etwas entgegensetzen zu können, braucht es Strukturen über Städte hinweg. Mit einem koordinierten, überregionalen Mietstreik kann man auch großen Wohnungskonzernen weh tun.
Hinweis der Redaktion: In diesem Text finden Sie gegenderte Formulierungen, weil dies dem Gesprächspartner wichtig war. Die Main-Post selbst verwendet geschlechtergerechte Schreibweisen wie Doppelnennungen oder Synonyme, um Menschen sichtbarer zu machen, die kein Mann sind. Eine ausführliche Erläuterung finden Sie in unseren Leitlinien oder unter folgendem Transparenz-Stück von Chefredakteur Ivo Knahn: www.mainpost.de/10630807