Gut gelaunt sitzen sie im spätsommerlichen Schatten eines Ochsenfurter Lokals am Main: Anneliese Hergenröther, Georg Fuchs und Jürgen Klemm. Heute sind sie 74, 73 und 82 Jahre alt, aber vor 50 Jahren waren sie als junge Erwachsene bei den Olympischen Sommerspielen in München im Einsatz. Alle drei waren damals Ehrenamtliche beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) in Ochsenfurt, aber für die wenigen Wochen im Sommer 1972 war Jürgen Klemm im Katastrophenschutz und die anderen beiden im Sanitätsdienst der Olympiastadt im Einsatz.
Bei Anneliese Hergenröther ist das Ehrenamt fast eine Familientradition: "Schon meine Mutter war beim Roten Kreuz, so sind mein Bruder und ich zum Ehrenamt gekommen". Sie war schon vor ihren beiden Kollegen 1972 in München. Neben der gemeinsamen Einsatzzeit während der Olympischen Spiele, hatte sie sich zwei zusätzliche Wochen freigenommen, um vorher schon das Training der Sportlerinnen und Sportler zu begleiten.
Nicht die besten Bedingungen für die Ehrenamtlichen bei Olympia '72
Untergebracht war sie, wie später auch Georg Fuchs, im Sophie-Scholl-Gymnasium in München. "In den umgebauten Klassenzimmern hatten jeweils etwa zehn Leute ein Bett und einen Spind, es gab ein Waschbecken mit kaltem Wasser und die Schultische standen zum Essen in der Mitte", erinnert sich die heute 74-Jährige.
Es war nicht das Einzige, "was man heute niemandem erzählen kann", wie sie scherzhaft sagt. Besonders die Verpflegung ist ihr in Erinnerung geblieben: "Für den Abend gab es jeden Tag das gleiche Lunchpaket: abgepacktes Pumpernickel, Butter, eine Dose Leberwurst, eine Ecke Käse und einen Mars-Riegel", zählt sie lachend auf, "wir sind dann meistens lieber doch essen gegangen".
Auch Georg Fuchs erinnert sich daran, dass die Ehrenamtlichen in München nicht die höchste Priorität hatten. "Wir hatten nur ganz dünne Kleidung mit Kunststoffbeschichtung, weil unsere Olympia-Uniformen kurzfristig für Sportler gebraucht wurden", berichtet er. Anneliese Hergenröther hat heute noch veraltete Bilder, auf denen zu sehen ist, wie die Sanitäterinnen und Sanitäter im Garten sitzen und die eigene Aushilfskleidung kürzen und umnähen.
Die tägliche Routine der Ochsenfurter und wie sie den Terroranschlag erlebten
Im Einsatz waren Anneliese Hergenröther und Georg Fuchs bei der täglichen Sicherung der Sportwettbewerbe. Von der Unterkunft in Schwabing aus sind sie zu der jeweils eingeteilten Sportstätte gefahren, meist mit dem für Ehrenamtliche kostenlosen ÖPNV, dort halfen sie bei kleineren Blessuren oder gesundheitlichen Problemen. Abends konnten sie häufig die Freizeit in der Bayerischen Hauptstadt genießen. "Wir hatten auch Zeit, ins Theater zu gehen oder an den Tegernsee zu fahren", erinnert sich die damals 24-jährige Ochsenfurterin.
Für die Ehrenamtlichen vom Roten Kreuz waren es die erhofft heiteren Spiele. Bis palästinensische Terroristen in den frühen Morgenstunden des 5. September ins Olympische Dorf eindrangen, zwei Israelische Sportler töteten und neun weitere als Geiseln nahmen. Bei dem missglückten Befreiungsversuch der Polizei starben in der darauffolgenden Nacht alle Geiseln sowie ein Polizist.
"Irgendwann hieß es 'In München ist ein Anschlag'. Ab da galt für uns Ausgangssperre und wir mussten uns in der Schule bereithalten", erinnert sich Anneliese Hergenröther an das einschneidende Erlebnis. Als Fahrer eines Rettungswagens war auch Georg Fuchs den ganzen Tag im Einsatz. Er saß in einem von 50 Rettungswagen am Steuer und hielt sich für den Einsatz bereit. Jürgen Klemm fuhr währenddessen mit seinem Team umher, um Rettungszelte zu organisieren, sie auf- und wieder abzubauen, ohne dass sie benötigt wurden.
Auch für die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer der Olympiade waren die Terroranschläge ein Einschnitt in die "heiteren" Spiele. Besonders Anneliese Hergenröther hat der Anschlag beschäftigt, weil sie das Training der israelischen Athletinnen und Athleten zuvor begleitete: "Ich habe die umgekommenen Israelis alle gekannt, weil sie bei mir in der Messehalle trainiert haben."
"The Games must go on", auch für die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer vom Roten Kreuz
Am Morgen des 6. Septembers herrschte dann allgemeine Unsicherheit, wie und ob die Spiele fortgesetzt werden. "Wir saßen schon alle auf gepackten Koffern", sagt Anneliese Hergenröther, "später hieß es, es gibt die Trauerfeier, aber es geht weiter." Die Feier empfand sie als "sehr ergreifend", die Fortsetzung der Spiele sei damals und auch rückblickend für die drei Ochsenfurter die richtige Entscheidung gewesen.
"Danach war alles viel strenger", erinnert sich Georg Fuchs, "vor allem die Einlasskontrollen zu den Sportstätten und Unterkünften". Das habe unter anderem auch dazu geführt, dass nicht einmal für jeden Rettungswagen des Roten Kreuzes eine Zugangskarte bereitgestellt wurde: "Wir hatten zwei goldene Ausweise, die wir dann wieder rausbringen mussten, damit die anderen reinfahren können."
Von den Olympischen Spielen in München zurück in den Alltag in Ochsenfurt
Bei der Abschlussfeier der Olympischen Spiele am 11. September habe man kaum eine Veränderung durch den Terroranschlag gemerkt. "Das war eigentlich erstaunlich: Die Stimmung war sagenhaft", berichtet auch Anneliese Hergenröther, die vor Ort im Einsatz war. Auch insgesamt sei die Olympiade "eine sehr schöne Zeit" für sie gewesen. Georg Fuchs ergänzt, dass er sich noch oft und sehr gerne daran zurückerinnere.
Für alle ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer gab es zum Ende der Spiele noch eine offizielle Dankes-Veranstaltung, bevor sie wieder in den Alltag entlassen wurden. "Nach vier Wochen in München war der Wiedereinstieg im kleinen Ochsenfurt schon schwer", sagt Anneliese Hergenröther – "und von Freunden und Kollegen ist man auch ein bisschen beneidet worden", ergänzt sie. Noch bis 1981 war sie ehrenamtlich beim Roten Kreuz in Ochsenfurt tätig, ab da hatte sie neben der Arbeit kaum noch Zeit für das Ehrenamt.
Georg Fuchs ist noch während der Spiele vom ehrenamtlichen zum hauptamtlichen Fahrer des DRK in Ochsenfurt aufgestiegen. "Ich bin am Dienstag zurückgekommen, hatte am Mittwoch schon wieder Dienst und am Freitag Urlaub, um zu heiraten", erinnert er sich an die turbulenten Wochen im September 1972. Genauso wie Jürgen Klemm ist auch er heute noch Mitglied beim Roten Kreuz – wenn auch nicht mehr aktiv im Einsatz.