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Marktbreit
"Ich habe die Schüsse gehört": Wie ein Marktbreiter als Soldat den Terroranschlag bei Olympia 1972 erlebte
Georg Eichhorn war Zeuge beim Attentat palästinensischer Terroristen auf die israelische Olympiamannschaft 1972 in München. An was sich der Unterfranke besonders erinnert.
Der Marktbreiter Georg Eichhorn war zum Zeitpunkt der olympischen Sommerspielen 1972 als Wehrdienstleistender in München stationiert. 
Foto: Thomas Obermeier | Der Marktbreiter Georg Eichhorn war zum Zeitpunkt der olympischen Sommerspielen 1972 als Wehrdienstleistender in München stationiert. 
Simon Hörnig
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:47 Uhr

Am frühen Morgen des 5. Septembers 1972 ist Bundeswehrsoldat Georg Eichhorn mit seinem  Kameraden Werner Egner auf einem Patrouillengang im zweiten Stock eines Studiogebäudes im Deutschen Olympiazentrum (DOZ) in München, als draußen plötzlich Schüsse fallen.

Die beiden erstarren - und stürzen dann zum Fenster. "Es war dunkel, wir haben die Schüsse gehört", erinnert sich Georg Eichhorn. "Wir haben die gesehen, schemenhaft, weil innen Licht war. Und da hat man gesehen, dass die Masken aufgehabt haben und Gewehre trugen." Auch 50 Jahre nach dem Anschlag hat der 72-Jährige aus Marktbreit (Lkr. Kitzingen) noch genau das Bild dieses Moments vor Augen. Der "heitere Charakter" der Olympischen Sommerspiele in München war mit diesem Moment, diesen Schüssen, abrupt zu Ende.

Georg Eichhorn sah die Terroristen der Gruppe "Schwarzer September"

Die acht bewaffneten Männer, von denen Eichhorn einige auf dem Balkon eines gegenüberliegenden, etwa 100 Meter entfernten Appartementgebäudes ausmachen kann, sind Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation "Schwarzer September".

Georg Eichhorn (zweite Reihe in der Mitte, mit Schnurrbart) mit seinen Kameraden vom Pionierlehrbataillon in München kurz vor den Olympischen Sommerspielen 1972.
Foto: Archivfoto Georg Eichhorn | Georg Eichhorn (zweite Reihe in der Mitte, mit Schnurrbart) mit seinen Kameraden vom Pionierlehrbataillon in München kurz vor den Olympischen Sommerspielen 1972.

Kurz zuvor, um 4.35 Uhr, haben sie das Wohnquartier der olympischen Männermannschaft Israels überfallen und elf Geiseln genommen. Die Schüsse, die den jungen Soldaten 17 Minuten später aufschrecken lassen, treffen den Ringer-Trainer Mosche Weinberg und den Gewichtheber Josef Romano. Sie hatten versucht, sich zur Wehr zu setzen. Weinberg ist sofort tot, Romano verblutet in den folgenden zwei Stunden vor den Augen seiner Mannschaftskameraden, weil die Terroristen  keinen Arzt in das Gebäude lassen.

"Wir haben noch gesehen, wie dort Terroristen mit ihren Masken herausgeschaut haben aus dem Haus – aber dann wurde schon alles abgeriegelt", beschreibt der gebür seine letzten Eindrücke vom Gelände, das die Polizei sofort weiträumig absperrte.

"Wir haben die Schüsse gehört, wir haben die gesehen, schemenhaft, und dass die Masken aufgehabt haben und Gewehre trugen."
Georg Eichhorn über seine Eindrücke im Olympiazentrum in München 

"Wir sollten dann zurück ins Deutsche Olympiazentrum und unseren Dienst verrichten", erzählt der 72-Jährige im Rückblick. "Auch um diese Uhrzeit waren ja die Studios einiger Länder noch besetzt und wir mussten weiterhin Journalisten einweisen." Genau darin bestand die Hauptaufgabe des Grundwehrdienstleistenden aus Unterfranken, der wie zahlreiche Kameraden bei den Münchener Sommerspielen - unbewaffnet und ohne militärische Uniform - Hilfsdienste im Olympiastadion und anderen Sportstätten oder eben im DOZ verrichtete.

Georg Eichhorns graue Arbeitsuniform von seinem Dienst bei den Olympischen Spielen 1972 in München ist noch in makellosem Zustand.
Foto: Thomas Obermeier | Georg Eichhorns graue Arbeitsuniform von seinem Dienst bei den Olympischen Spielen 1972 in München ist noch in makellosem Zustand.

Auch auf ihren Patrouillengängen seien sie lediglich mit einem Funkgerät ausgestattet gewesen, schildert Eichhorn. Es galt dafür zu sorgen, dass Journalistinnen, Journalisten und auch Sportprominenz wie etwa der neunmalige Goldmedaillengewinner Mark Spitz aus den USA oder die deutsche Überraschungssiegerin Ulrike Meyfarth ihren Weg in die Aufnahmestudios fanden. 

Ein militärisches Eingreifen der Bundeswehr verbietet das Grundgesetz

Die Bundeswehrsoldaten leisteten auf diese Weise nichtmilitärische Amtshilfe. An ein bewaffnetes Eingreifen war auch nach den Schüssen nicht zu denken - das verbietet das Grundgesetz. "Dass wir oder andere Kameraden da mit Waffen eingegriffen hätten, das war der Bundeswehr untersagt", sagt der gelernte Fahrzeugbauer. "Die Polizei hat sofort übernommen."

Der fatale Verlauf des Anschlags, dem am Tag danach auch die weiteren neun Geiseln und ein Polizist zum Opfer fielen, bekümmert den gebürtigen Marktbreiter heute noch. Eichhorn spricht von einer "Erniedrigung" für ganz Deutschland - und von einer schlimmen Enttäuschung für sich selbst: "Das war natürlich ein Schlag ins Kontor. Du hast das mitgestaltet und dann bricht das ab, weil da so politischer Schmarrn im Hintergrund steht."

"Das Schöne, das wir da gehabt haben, die Fröhlichkeit, das Lachen – das war alles weg."
Georg Eichhorn über die Tage nach dem Anschlag

Die Moral unter den Helferinnen und Helfern, die zuvor wie eine große Familie am Gelingen der Spiele gearbeitet hätten, sei in diesem Moment zusammengebrochen: "Das Schöne, das wir da gehabt haben, die Fröhlichkeit, das Lachen – das war alles weg. Jeder hat nur noch traurig geschaut und war betroffen. Das war tagelang so."

Ein tiefer Einschnitt für alle Beteiligten. Die "heiteren Spiele" als Gegenstück zur Olympiade der Nationalsozialisten 1936 in Berlin seien nicht nur propagiert, sondern auch wirklich gelebt worden, so schildert es Eichhorn: "Wirklich jeder ist mit einem lachenden Auge über das Gelände gelaufen, egal ob das in der Halle war oder im Stadion – es war nur ein Lachen."

Fotos von seinem Einsatz bei Olympia besitzt Georg Eichhorn keine, dafür einige andere Erinnerungsstücke - wie seinen Ausweis zum DOZ
Foto: Thomas Obermeier | Fotos von seinem Einsatz bei Olympia besitzt Georg Eichhorn keine, dafür einige andere Erinnerungsstücke - wie seinen Ausweis zum DOZ

Dass er sich gerne an seine 15 Monate bei der Bundeswehr zurückerinnert - es hängt neben dem Zusammenhalt, den er dort erfahren habe, trotz allem im Wesentlichen mit seinem Einsatz bei den Spielen zusammen, sagt Eichhorn. Ein Erlebnis, das nicht nur er als Privileg empfunden habe: "Jeder hat sich gefreut, dass wir da teilnehmen durften. Das kriegst du in deinem Leben nie mehr geboten."

 
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Kommentare
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  • H. S.
    Vor 50 Jahren tobte auch der Vietnamkrieg gegen die Kommunisten mit 4 -6 Millionen Toten und einem auf Jahrzehnte vergiftetem Land.
    Doch daran erinnert niemand.
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  • S. H.
    Wenn Sie mir einen Zeitzeugen oder eine Zeitzeugin aus der Region nennen, der oder die mir zu diesem Thema etwas erzählen kann, spricht nichts dagegen, auch darüber zu berichten.

    Mit freundlichen Grüßen
    Der Autor
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