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OLYMPIA 1972
Uli Väths Erinnerungen an Olympia 1972: Die heiteren Spiele von München und der Terror
Der Erlenbacher war dabei, als IOC-Präsident Brundage nach der blutigen Geiselnahme verkündete: "The games must go on." Wie Väth die bewegenden Tage damals erlebte.
Am 6. September fand im Olympiastadion in München die Trauerfeier für die Opfer der Geiselnahme während der Olympischen Spiele 1972 statt. 
Foto: Gerry Cranham | Am 6. September fand im Olympiastadion in München die Trauerfeier für die Opfer der Geiselnahme während der Olympischen Spiele 1972 statt. 
Natalie Greß
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:50 Uhr

Kürzlich erst war er wieder dort. Stand vor den in die Jahre gekommen Betonbauten im Olympischen Dorf in München, in dem am frühen Morgen des 5. September 1972 acht bewaffnete Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation Schwarzer September das Quartier der israelischen Olympiamannschaft überfielen.

Ein israelischer Sportler wurde während des Angriffs getötet, ein weiterer starb kurz darauf an seinen Verletzungen. Die übrigen neun Teammitglieder nahmen die Terroristen als Geiseln. "Die Erinnerungen an damals berühren mich immer noch sehr", sagt Uli Väth 50 Jahre später.

Ein bewaffneter Polizeibeamter im Trainingsanzug sichert am 5. September 1972 im Olympischen Dorf in München den Block, in dem Terroristen die israelischen Geiseln festhalten. 
Foto: Horst Ossinger, dpa | Ein bewaffneter Polizeibeamter im Trainingsanzug sichert am 5. September 1972 im Olympischen Dorf in München den Block, in dem Terroristen die israelischen Geiseln festhalten. 

Dabei sind es für den 68-Jährigen vor allem schöne Erinnerungen an die zuvor "heiteren Spiele", wie sie genannt wurden. An sportliche Gänsehautmomente, an fröhliche Menschen aus aller Welt, an Wegweiser mit neumodischen Piktogrammen für Sportarten, an das imposante Olympiastadion mit seinem Glasdach. Und an die leuchtenden leitmotivischen Pastellfarben, die die Spiele 1972 in einen krassen Kontrast setzen sollten zu jenen 1936 in Berlin, als sich Nazi-Deutschland in Schwarz-Weiß-Rot mit Hakenkreuzen gefeiert hatte.

Der Goldene Sonntag der Olympischen Spiele 

Von dem Attentat hatte der damals 18-jährige Uli Väth aus Erlenbach (Lkr. Main-Spessart) zunächst nur am Rande mitbekommen. "Wir hörten im Radio davon, als wir an diesem Dienstagmorgen gerade auf dem Weg nach München waren", erzählt er. "Aber das hat uns erst mal gar nicht so sehr interessiert."

40 Jahre seines Berufslebens arbeitete Uli Väth für diese Redaktion, 35 davon im Sport – zehn in Würzburg und 25 als Leiter des Lokalsports Main-Spessart in Marktheidenfeld.
Foto: Nils Graefe | 40 Jahre seines Berufslebens arbeitete Uli Väth für diese Redaktion, 35 davon im Sport – zehn in Würzburg und 25 als Leiter des Lokalsports Main-Spessart in Marktheidenfeld.

Zu aufgeregt waren er und sein zwei Jahre älterer Freund Franz, nachdem sie erst am Abend davor beschlossen hatten, dorthin zu fahren – auf dem Weinfest in Homburg. Eine Weinlaune sei es dennoch nicht gewesen, sagt Väth. "Ich war schon immer sportinteressiert, habe damals selber Fußball, Basketball und Tischtennis gespielt. Olympia hat mich am Fernsehen völlig fasziniert. Erst recht nach dem Goldenen Sonntag."  

Im alten Opel Rekord des Vaters nach München

Am 3. September hatte die Mannschaft der Bundesrepublik drei Goldmedaillen gewonnen: Klaus Wolfermann im Speerwurf (90,48 Meter), Hildegard Falck mit Weltrekord im 800-Meter-Lauf (1:58,6 Minuten) und Bernd Kannenberg über 50 Kilometer Gehen (3:56:11,6 Stunden). "Da war ich hin und weg." Als dann am Montagabend Ulrike Meyfahrth mit übersprungenen 1,92 Metern auch noch Olympiasiegerin im Hochsprung wurde mit gerade mal 16 Jahren, hielt nichts mehr Väth auf: "Ich dachte: Da muss ich hin."

Die damals 16-jährige Hochspringerin Ulrike Meyfarth gewann bei den Olympischen Spielen 1972 in München sensationell Gold für die BRD.
Foto: hrad/PDA | Die damals 16-jährige Hochspringerin Ulrike Meyfarth gewann bei den Olympischen Spielen 1972 in München sensationell Gold für die BRD.

Mit 200 D-Mark in der Tasche machten er und sein Freund Franz sich auf den Weg, "im alten Opel Rekord meines Vaters. Ich hatte gerade mal ein halbes Jahr den Führerschein." Drei-Gang-Schaltung am Lenkrad, vorne wie hinten eine durchgehende Sitzbank. "Das war praktisch. So konnten wir die nächsten Tage im Auto schlafen." Eigentlich wollten die jungen Männer aus Unterfranken in München ins Jugendlager am Hasenbergl, aber da war kein Platz mehr. Also parkten sie davor und verbrachten die Nächte im Opel Rekord.     

Kartenkauf auf dem "blühenden Schwarzmarkt" 

Mit der extra für die Spiele gebauten U-Bahn - in den Toiletten an den Stationen putzten sie Zähne und wuschen sich – fuhren die beiden zum Olympiapark. "Alles war neu für uns", schildert Väth. "Wir waren fasziniert von der Atmosphäre." Und auf der Suche nach Karten. Auf dem "blühenden Schwarzmarkt" wurden die Freunde fündig. Von da ging es weiter nach Schwabing, "wo sich die Jugend der Welt traf" und sie eintauchten ins aufregende Großstadt-Nachtleben. 

Die Olympiamannschaft von Israel am 26. August 1972 beim Einlauf ins Olympiastadion in München während der Eröffnungsfeier. Neun Sportler und zwei Betreuer wurden wenige Tage später bei einer Geiselnahme durch palästinensische Terroristen getötet.
Foto: Kishimoto | Die Olympiamannschaft von Israel am 26. August 1972 beim Einlauf ins Olympiastadion in München während der Eröffnungsfeier.

Die Gerüchte über die Geiselnahme, die sich im Olympiapark schon etwas herumgesprochen hatten, wurden auf der Leopoldstraße für die beiden Erlenbacher greifbarer. "Dort drängten sich die Leute in Kneipen vor Transiterradios." Gegen 22.30 Uhr sei plötzlich aus einer Seitenstraße eine riesige Kolonne aus Polizeiautos, Rettungswagen und gepanzerten Fahrzeugen von einer Kaserne kommend stadtauswärts gefahren. "Da haben wir endgültig kapiert: Hoppla, es ist etwas Schlimmes passiert", berichtet Väth. "Die Geiselnahme spitzte sich zu."

Der Befreiungsversuch der Geisel nimmt ein blutiges Ende 

Am nächsten Morgen erfuhren er und sein Freund, dass sie blutig zu Ende gegangen war. In der Nacht zum 6. September war ein Befreiungsversuch der Polizei auf dem Militärflugplatz Fürstenfeldbruck schiefgegangen. Alle Geiseln kamen dabei ums Leben. 

Über die heiteren Spiele legte sich ein dunkler Schatten. Die Wettkämpfe waren nach Protesten zahlreicher Sportlerinnen und Sportler sowie von Besucherinnen und Besuchern unterbrochen worden – Ausgang ungewiss. "Auf dem Olympiagelände herrschte an diesem Tag eine traurige Stimmung", erinnert sich Väth. Die Fahnen wehten auf Halbmast, manche Bereiche waren gesperrt, unter die Hostessen und Ordner mischten sich mehr und mehr Polizisten.   

IOC-Präsident Ayery Brundage: "The games must go on"

Am Nachmittag besuchten die beiden jungen Männer aus Erlenbach die Trauerfeier im Olympiastadion. Sie standen ganz oben auf der Gegengeraden, zwischen den Masten mit den Fahnen der teilnehmenden Nationen. "Unten im Stadioninneren standen elf leere Klappstühle für die elf getöteten Israelis." Auch dieses Bild wird Väth wohl nie vergessen.

IOC-Präsident Avery Brundage sagte auf der Gedenkfeier für die Opfer des Attentats einen der legendärsten Sätze der Sportgeschichte: 'The games must go on' – die Spiele müssen weitergehen. 
Foto: Robert Legros, Witters | IOC-Präsident Avery Brundage sagte auf der Gedenkfeier für die Opfer des Attentats einen der legendärsten Sätze der Sportgeschichte: "The games must go on" – die Spiele müssen weitergehen. 

Genauso wie die Worte des damaligen IOC-Präsidenten Avery Brundage, einer der legendärsten Sätze der Sportgeschichte: "The games must go on" – die Spiele müssen weitergehen. "Da sind die Leute aufgestanden und haben applaudiert." Kein donnernder, ein leiser Applaus, der Respekt vor den Toten ausgedrückt habe, erinnert sich Väth, der noch heute Gänsehaut bekommt, wenn er daran zurückdenkt. "Ein sehr bewegender Moment."

Erinnerungen an den Boxkampf Teofilo Stevenson gegen Peter Hussing

Auf dem Schwarzmarkt ergatterten er und sein Freund anschließend weitere Karten. In den folgenden Tagen sahen sie unter anderem Jugoslawien, später Olympiasieger, im Handball, und Vorkämpfe in der Leichtathletik. Väths Höhepunkte: das Fußballspiel der BRD gegen die DDR, das die Bundesrepublik mit dem jungen Uli Hoeneß und Otmar Hitzfeld 2:3 verlor ("Die Namen haben mir damals noch nichts gesagt."), und der Halbfinal-Boxkampf zwischen dem kubanischen Goldgewinner Teofilo Stevenson und dem Deutschen Peter Hussing, der später Bronze holte. "Stevenson war damals 20 und wurde als zweite Cassius Clay gefeiert. Das war einmalig."  

Der junge Uli Hoeneß spielte 1972 für die Fußball-Nationalmannschaft der BRD bei Olympia.
Foto: Witters | Der junge Uli Hoeneß spielte 1972 für die Fußball-Nationalmannschaft der BRD bei Olympia.

In der Halle von damals war Väth zuletzt, um sich ein Eishockeyspiel anzusehen. Die Bilder vom Boxen hängen noch dort. "Im Nachhinein bedauere ich, dass ich damals keinen Fotoapparat mit nach München genommen habe", sagt der 68-Jährige.

Dafür frischt er die Bilder in seinem Gedächtnis von Zeit zu Zeit auf. "Ich kehre immer wieder an die Orte von damals zurück. Und ich habe auch meinen Kindern, die in München wohnen, ganz in der Nähe des Olympiaparks, schon gezeigt, wo ich damals gestanden habe während der Gedenkfeier." Damals, "als die heiteren Spiele zu Ende gingen, aber die Spiele an sich weitergingen".   

Die Eindrücke seinerzeit seien "mitentscheidend" dafür gewesen, dass er später Sportberichterstatter werden wollte, sagt Väth. Von 40 Jahren seines Berufslebens arbeitete er 35 als Sportberichterstatter – zehn in Würzburg und 25 als Leiter des Lokalsports Main-Spessart in Marktheidenfeld.

Olympische Spiele besuchte er als solcher nie. Nicht nur deswegen sagt er über die Spiele 1972 in München: "Sie waren eines meiner größten Erlebnisse im Leben." 

 
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