Seit 40 Minuten geht es kein Stück voran auf der Autobahn in Richtung Süden. Die Luft steht dank einer defekten Klimaanlage, Schweißperlen sammeln sich auf der Oberlippe und eines der Kinder auf der Rückbank kündigt zuerst Langeweile dann Übelkeit an. Wenige Sekunden darauf begleitet die Familie der Geruch von Erbrochenem auf ihrer Restfahrt zum Gardasee. Ein Duftbaum (Sorte Vanille) von der Tankstelle ergänzt den Gestank der halbverdauten Speisereste auf der Fußmatte um eine süßliche Note.
Es muss kein Sommerurlaub sein!
Nur acht Stunden im Auto von Würzburg aus für zwei Wochen voller Entspannung, Baden und Pizza: Was in der Theorie verheißungsvoll klang, stellt sich als masochistisches Unterfangen heraus. Für so manchen Würzburger sieht so die Realität zu Beginn der Sommerferien aus. Aber das muss nicht sein. Keiner zwingt einen dazu, zur Hauptsaison Urlaub zu nehmen. Stellt sich nur die Frage: Was anfangen mit dem Sommer in der unterfränkischen Universitätsstadt? Vielleicht sind die "Dritten Orte", zu denen Oberbürgermeister Christian Schuchardt gerne alle Stadtteilbüchereien umgestalten will, ja eine interessante Alternative.
Solche "Dritten Orte" sind nicht zu verwechseln mit den "besseren Orten", an die Haustiere und Urgroßmütter als Erklärung für Kinder zuweilen auf mysteriöse Weise verschwinden. Auch sind nicht die "stillen Örtchen" gemeint, an denen es je nach Ernährungsweise und ganz ähnlich wie im Würzburger Nachtleben auch mal zu einer Ruhestörung kommt. Begegnungen der dritten Art, also die Sichtung von vermeintlichen Außerirdischen, soll es in der Innenstadt der Mainmetropole zwar schon gelegentlich geben, doch auch dadurch definieren sich "Dritte Orte" nicht.
Wartezimmer statt Pool und Palmen
Nein, in Wahrheit handelt es sich dabei um Aufenthaltsorte, die weder der Arbeitsplatz, noch die eigenen vier Wände sind. Klingt doch gut, davon gibt es im Alltag eine Menge! Einer dieser schönen Orte sind zum Beispiel überfüllte Wartezimmer bei Hausärzten. Dort kann man sich entspannt durch eine drei Wochen alte, mit Bakterien verseuchte Ausgabe der "Gala" blättern, während die Stammgäste munter über den Verfall der Sitten klagen. Wer braucht da schon Palmen und Pools am anderen Ende der Welt?
Von heruntergekommenen Straßenbahnhaltestellen über endlose Schlangen an Supermarktkassen bis hin zu Ämtern und Behörden: An erholsamen "Dritten Orten" fehlt es nicht in Würzburg. Das Tolle: Diese muss die Stadt gar nicht für viel Geld schaffen, es ist alles schon da. Adrenalinjunkies können sich auch abends mit einem Kaltgetränk an die Hafentreppe setzen. Wenn man dort nicht ausgeraubt wird – und damit sind nicht die Eintrittspreise beim Hafensommer gemeint – wird man zumindest verhaftet. Alles besser als Wegfahren. Echt wahr!