
Es ist die Anziehungskraft des Vergangenen, der Charme des Verfalls, den die sogenannten "Lost Places" auf Menschen ausüben. Der englische Ausdruck Lost Place steht für verlassener Ort. Sie machen die Vergangenheit greifbar und sichtbar. Meistens sind Lost Places nicht mehr genutzte Bauten aus der jüngeren Geschichte. Orte, die kein allgemeines Interesse mehr finden, nicht als besonders erwähnenswert gelten, oder nicht mehr erhalten werden und zerfallen sind.
Die Lost Places faszinieren immer mehr Menschen und auch auf den sozialen Netzwerken erfreuen sich die Orte großer Beliebtheit. Doch wenn die Orte erkennen lassen, dass der Besitzer oder die Besitzerin die Gebäude nicht der Allgemeinheit zur Verfügung stellen möchte, handelt sich der Besuch der Lost Places um Hausfriedensbruch, erklärt Tobias Kostuch, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Würzburg. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn das Gebäude abgeschlossen oder umzäunt ist.
Hausfriedensbruch setzt voraus, dass der Besitzer oder die Besitzerin Strafantrag stellt. Dann kann es zu Geldstrafen im unteren Bereich oder zu einer Einstellung gegen Geldauflage kommen, sagt Kostuch. Zudem kann das Betreten der Lost Places auch gefährlich werden. Im Jahr 2020 stürzte bei Volkach ein Jugendlicher durch die Decke einer Ruine und verletzte sich schwer. Wir stellen sechs Würzburger Lost Places und ihre Geschichte vor, die auch von außen betrachtet werden können.
1. Wachhaus im Steinbachtal

Das ehemalige Wachhaus im Steinbachtal gehört zum früheren Pulvermagazin der Königlich-Bayerischen Armee und wurde zwischen 1864 und 1865 erbaut. Im Jahr 1908 kaufte der Verschönerungsverein Würzburg (VVW) das Gelände und baute ein Waldhaus mit Gaststätte und Versammlungsräumen. Von dem ehemaligen Pulvermagazin blieben nur die Grundmauern übrig, das ehemalige Wachhaus blieb bestehen.
Bis 1941 war das Waldhaus ein beliebtes Ausflugslokal, mit einer Gaststätte im Erdgeschoss. Dann wurde es zum Militärlazarett umfunktioniert, nach Kriegsende zum US-amerikanischen Offizierskasino. 1958 wurde das Gelände samt Wachhaus an die Firma Kneipp übergeben, die bis 2013 auf dem Areal ihren Firmensitz hatte. 2017 brannte es im Wachhaus, was es unbewohnbar machte. Die Fassade mit samt der Wandgestaltung ist erhalten geblieben. Rechts und links der Eingangstüre sind jeweils ein bayerischer und ein preußischer Infanterist zu sehen.
2. Tenniscenter am Stein

Seit über 20 Jahren fliegen in der ehemaligen Tennisanlage am Stein keine Bälle mehr über die Netze. Unkraut und kleine Sträucher erobern sich die Spielflächen im Freien zurück. 2002 meldete die Sports & more GmbH Insolvenz an. Danach folgte ein langwieriges Versteigerungsverfahren, bis die Halle 2005 erfolgreich verkauft wurde.
Im Jahr 2009 kam die städtische Bauverwaltung zu der Erkenntnis, die Anlage sei in einem baulich desolaten Zustand und müsse abgerissen werden. Zwei Brände 2014 und 2015 hinterließen laut Feuerwehr schwere Schäden an Teilen der hölzernen Wände und dem Dachstuhl. Inzwischen befindet sich in einer der Hallen der Soccerpark Würzburg. Die anderen Gebäude sind mit Bauzäunen abgesperrt und verwildern.
3. Volksgarten im Steinbachtal

1901 eröffnete der Volksgarten im Steinbachtal das erste Mal seine Türen. Der Biergarten war ein beliebtes Ausflugsziel in Würzburg. Mit bis zu 600 Sitzplätze im Freien war es einer der größten Biergärten der Stadt, große Kastanienbäume sorgten für Schatten. Seit 2012 ist der Volksgarten geschlossen und verfällt immer mehr. Die Wahrzeichen, die drei achteckigen Pavillons mit den Zwiebeltürmen, sind gut von der Straße aus zu sehen.
Schon 2011 gab es Pläne, Wohnungen auf dem Gelände des Biergartens zu bauen. Doch die Pavillons stehen unter Denkmalschutz. 2015 wurde erneut ein Bauvorhaben abgelehnt, da die Pavillons durch davorstehende Wohnhäuser ihren Charakter verlieren würden. Wenige Monate später scheiterte ein neues, kleineres Bauvorhaben erneut. Seitdem ist die Zukunft des ehemaligen Biergartens weiter ungeklärt.
4. Gartenpavillon zwischen Zellerau und Höchberg

Nur noch eine Ruine ist von dem ehemaligen Gartenpavillon mit Balkon übrig. 1900 wurde das Gebäude am Weg zur Zeller Waldspitze erbaut und zuletzt in den 1960er Jahren als Notunterkunft für Höchbergerinnen und Höchberger genutzt, die im Zweiten Weltkrieg ihr Zuhause verloren hatten. Heute stehen von dem Gartenpavillon nur noch die Mauern, bunt mit Graffiti besprüht, mitten im Wald.
5. Schießanlage Roman Hill

Im Nordosten von Gerbrunn liegt eine ehemalige Schießanlage. Schon die Wehrmacht nutzte das Gelände zwischen 1937 und 1945 als Schießanlage mit neun Bahnen. Danach war die Fläche ungenutzt und wurde zurückgebaut. Die US-Streitkräfte erbauten auf dem Areal 1965 erneut eine Schießanlage. 2006 zog die US-Armee aus Gerbrunn ab. Seitdem verwildert die Anlage.
Bereits unmittelbar nach Abzug der amerikanischen Streitkräfte hat sich die Gemeinde Gerbrunn an die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) gewandt und ihr Interesse am Erwerb der Liegenschaft bekundet. Im Jahr 2017 kaufte die Gemeinde dann das Grundstück. Im März 2023 wurde ein neuer Bebauungsplan aufgestellt. Die Gemeinde plant ein Jugendspiel- und Naturerlebnisgelände. Der Charakter der Schießanlage soll dabei erhalten bleiben. Durch den dichten Bewuchs und aufgeschüttete Hügel um die Anlage ist von außen nur wenig von der ehemaligen Schießanlage zu sehen. Von umliegenden Feldwegen kann man gut auf die Anlage blicken.
6. Beer´sche Felsenkeller

Der Beer' sche Felsenkeller in der Leistenstraße war früher einmal ein großer Gastronomiebetrieb mit Biergarten. Ende des 19. Jahrhunderts eröffnete die Sanderauer Brauerei Georg Beer & Söhne den Ausschank. Im Zweiten Weltkrieg diente der Felsenkeller dann als Luftschutzraum. Nach dem Krieg wurde der Gastronomiebetrieb aufgegeben. Die Gebäude verfielen und das Grundstück verwilderte. Im Jahr 2012 brannte das unbewohnte Gebäude.
Im Jahr 2020 erteilte der Bauausschuss eine Genehmigung für den Bau eines Mehrfamilienhauses auf dem oberen Abschnitt des Geländes. Zwischenzeitlich war das Vorhaben durch ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gestoppt, zurzeit finden jedoch wieder Bauarbeiten statt. Der untere, verwilderte Teil soll unbebaut und als Biotop erhalten bleiben. Dort steht noch eine Ruine des Beer´schen Felsenkellers.
Werden sie dann achtlos oder allzu leichtfertig entsorgt unter Hinweis auf vorgebliche Platzprobleme und Modernisierung, geht immer ein ein Stück Identität verloren. Es ist fehlendes Bewusstsein für Vergangenheit als Grundlage von allzu schnell vorbei eilender Gegenwart. Letztlich dann leider auch Ausdruck mangelnden Respekts.
Vieles würde angegriffen werden, wenn man Investoren nicht permanent gängeln müsste.
Gerade der Denkmalschutz wird zuweilen von Fantasten im Beamtenstatus dominiert.
Das sollte aufhören!!!
Ob nun das Wachhaus am Waldhaus im Steinbachtal oder die alten Tennishallen, sie zeigen doch eigentlich eines: Eigentum verpflichtet, aber es kümmert sich trotzdem keiner darum.
Weiter Negativbeispiele jüngere Zeit sind auch die alten Kasernen in der Nürnberger Straße oder das ehemalige Praktiker-Gelände. Alle diese Beispiele zeigen ungenutzte Flächenversiegelungen und Denkmalschutz hin oder her: es wird Zeit das diese Themen aufgegriffen werden.