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Würzburg/Karlstadt
Richter kritisiert die Verteidiger im Prozess um Menschenraub in Karlstadt: Der Entführte sei im Zeugenstand "gequält" worden
Das Landgericht Würzburg hat drei Männer nach einer Entführung verurteilt. Richter Reinhold Emmert fand deutliche Worte für das Verhalten mancher Anwälte im Prozess.
Der Vorsitzende Richter Reinhold Emmert hat im Entführungsprozess am Landgericht Würzburg das Urteil gesprochen.
Foto: Thomas Obermeier | Der Vorsitzende Richter Reinhold Emmert hat im Entführungsprozess am Landgericht Würzburg das Urteil gesprochen.
Jonas Keck
 |  aktualisiert: 19.01.2025 02:27 Uhr

Sind Angeklagte in Untersuchungshaft, dürfen sie normalerweise auch im Gerichtssaal nicht miteinander sprechen. Doch normal war in diesem Prozess um erpresserischen Menschenraub am Landgericht Würzburg seit Oktober wenig. Zu Beginn des elften Verhandlungstages an diesem Dienstag baten die drei angeklagten Männer aus Georgien um die Möglichkeit, sich austauschen zu dürfen. Die Staatsanwaltschaft hatte ihnen vorgeworfen, im November 2023 in Karlstadt (Lkr. Main-Spessart) einen Syrer entführt und mehrere Tage lang gefoltert zu haben.

Der Vorsitzende Richter Reinhold Emmert gestattet den Männern auf georgisch miteinander zu sprechen. Über eine Stunde lang stecken die Angeklagten die Köpfe zusammen. Erst zu dritt, dann mit ihren Verteidigern, dann wieder zu dritt. Schließlich kündigen sie Einlassungen an. Und sie kommen auf ein Angebot des Gerichts zurück, dass sie bereits bei Prozessbeginn vor Wochen hätten annehmen können: die Zusicherung einer milderen Strafe, wenn sie gestehen.

Entführter hatte unter Schmerzen gefleht: "Bitte tötet mich"

Die Männer, zwischen 30 und 32 Jahre alt, hatten vor Gericht bislang geschwiegen. Doch jetzt gibt der Hauptangeklagte zu, an der Misshandlung des 34-jährigen Syrers beteiligt gewesen zu sein, der gegen seinen Willen festgehalten worden war. "Ich bedauere sehr, was ich gemacht habe", sagt der Georgier.

Er quälte den Entführten über mehrere Tage. Der Syrer war in Karlstadt in einen Transporter gezerrt und zunächst in einer Wohnung in Kassel festgehalten worden. Dann sperrten seine Entführer ihn im Keller eines Kiosks im Rhein-Neckar-Kreis ein. Der 34-jährige Geschädigte spricht von fünf Tagen ohne Schlaf, ohne Essen, mit nur wenig Wasser. Immer wieder sei er mit einem Eisenrohr geschlagen und mit Füßen getreten worden. Von Bekannten des Gefangenen forderten die Männer unterdessen Lösegeld. 

Die Entführer hätten ihm gedroht, Ohren und Füße abzuschneiden, sagt der Mann aus Karlstadt. "Bitte tötet mich", habe er seine Entführer angesichts des Leids und der Schmerzen irgendwann angefleht. Ohne Lösegeld erhalten zu haben, ließen sie den Mann letztlich frei – mit 25 Euro für ein Taxi.

Überraschende Geständnisse - und ein schnelles Ende des Prozesses

So unvermittelt wie die Entführung endet jetzt auch der Prozess. Der Haupttäter wird zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Richter Emmert gibt ihm zu verstehen, dass er wohl auch ohne das Geständnis verurteilt worden wäre: "Es sprach nichts für einen Freispruch." Doch sein Geständnis sei ein "Ausdruck von Einsicht".

Immer in Fußfesseln in den Gerichtssaal: Drei Männer aus Georgien sind am Landgericht Würzburg verurteilt worden. Sie waren an der Entführung eines Mannes aus Karlstadt Ende 2023 beteiligt.
Foto: Heiko Becker (Archiv) | Immer in Fußfesseln in den Gerichtssaal: Drei Männer aus Georgien sind am Landgericht Würzburg verurteilt worden. Sie waren an der Entführung eines Mannes aus Karlstadt Ende 2023 beteiligt.

Die Mitangeklagten räumen an diesem Dienstag ein, an der Beihilfe zur Freiheitsberaubung beteiligt gewesen zu sein. Sie werden zu Bewährungsstrafen verurteilt. Der eine hatte Geld und Essen während der Entführung organisiert, der andere seine Wohnung zur Verfügung gestellt. Ihnen sei bewusst gewesen, dass sie sie damit Straftaten unterstützten, sagen beide.

Staatsanwaltschaft Würzburg forderte sieben Jahren und sechs Monate Haft

Staatsanwältin Sina Uhl forderte eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten für den Hauptangeklagten. Sie sieht die Ermittlungsergebnisse durch die Geständnisse bestätigt. Der Entführer habe den Geschädigten "zielgerichtet und schwer misshandelt". Zugutehalten müsse man ihm, dass er Reue gezeigt habe und zuletzt auch geständig war. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass noch mindestens zwei weitere Personen an der Tat beteiligt gewesen sind. Sie konnten bislang nicht auf die Anklagebank gebracht werden.

Der Anwalt des Geschädigten schloss sich der Forderung der Staatsanwaltschaft an. Der Nebenklägervertreter Armin Wendel bedauerte, dass den Angeklagten "kein Wort der Entschuldigung" über die Lippen gekommen sei. Und dies nach "Folter, wie man sie sich nur im Film vorstellen kann".

Die Anwälte des Hauptangeklagten sagten in ihren Plädoyers, ihr Mandant sei lediglich das "Werkzeug von Hintermännern" gewesen. Sie forderten maximal vier Jahre Haft. Zu möglichen Hinterleuten der Tat äußerte sich der Angeklagte in seinem Geständnis nicht. Ihm sei ein nicht näher bezifferter Anteil an dem Lösegeld versprochen worden, räumte er ein. Damit habe er seine Drogensucht finanzieren wollen.

Stundenlange Vernehmung und Drohungen: Zweifelhaftes Vorgehen der Verteidiger aus Berlin

In deutlichen Worten kritisiert der Vorsitzende Richter schließlich die Berliner Verteidiger der Mitangeklagten. "Ohne Sinn und Verstand" hätte sie den Geschädigten im Zeugenstand stundenlang "gequält" und seien dabei "weit über das Ziel hinausgeschossen". Zweimal hatten die Anwälte den Entführten, der seit der Tat unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, vernommen. Sie hatten ihm mit Beugehaft und Geldstrafen gedroht, sollte er sich nicht zu den Hintergründen seiner Entführung äußern. Und sie rückten den Syrer in ein zweifelhaftes Licht, weil er viel Bargeld und mehrere Pässe besessen hatte.

Richter Reinhold Emmert stellt klar: "Welche Straftaten der Geschädigte möglicherweise begangen hat, spielt in diesem Verfahren keine Rolle. Null. Gar keine." 

Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig.

 
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  • Horst Blatz
    "... Beihilfe zur Freiheitsberaubung beteiligt gewesen zu sein. Sie werden zu Bewährungsstrafen verurteilt." Manchmal, aber leider immer öfter erscheint mir unser Rechtssystem bei der Bewertung von Straftaten und Verfehlungen viel zu wenig ausbalanciert. Hier wird mit mafiösen Methoden Geld erpresst Bewährung, Falschparken kostet €30.00 - ich hätte gerne Bewährung!
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  • Georg Ries
    Wer bezahlt die "Berliner Verteidiger"? Was kostet sowas? Oder sind das etwa Pflichtverteidiger? 🫨
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  • Michael Riedner
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