
Die Tür des Verhandlungssaals am Würzburger Amtsgericht öffnet sich, herein kommt eine gebrechlich wirkende, ältere Frau mit einem Rollator und direkt dahinter ein unsicher gehender Mann mit einer auffälligen schwarzen Brille. Schnell wird klar, dass der Mann blind sein muss. Sie betreten den Gerichtssaal gemeinsam, denn sie sind Mutter und Sohn. Für die Dauer der Gerichtsverhandlung sind sie an diesem Tag allerdings auch Angeklagte und Geschädigter in einem Fall von gefährlicher Körperverletzung.
Der 79-jährigen Rentnerin aus dem Landkreis Würzburg wird von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, dass sie ihren erwachsenen Sohn zu zwei Begebenheiten, jeweils 2022 und 2023, geschlagen haben soll. Dafür nutzte sie, so die Anklageschrift, einen hölzernen Besenstiel, ihre Krücke sowie ihre flache Hand.
Frau bestritt, ihren Sohn geschlagen zu haben
Ihr Sohn ist von Geburt an blind und infolgedessen auch psychisch beeinträchtigt. Er ist im Alltag stark auf die Unterstützung seiner selbst kranken Mutter angewiesen – eine Beziehung, die später vom Staatsanwalt als "hochgradig toxisch und hochgradig tragisch" bezeichnet wird.
Die 79-Jährige bestreitet, dass es zu Schlägen gekommen sei. Sie habe ihrem Sohn lediglich mittels leichten Stößen bei der Orientierung geholfen. "Ich muss meinen Sohn manchmal anpacken, aber schlagen tue ich ihn nicht", erklärte sie über ihren Verteidiger. Zum Beispiel halte sie ihm manchmal den Mund zu, wenn er zu laut schreie.
Nachbarschaft sorgte sich um Sohn
Die beiden Vorfälle fanden am Wohnhaus der Angeklagten und des Geschädigten statt. So ließ sich nicht vermeiden, dass zahlreiche Nachbarinnen und Nachbarn etwas von der Sache mitbekamen, Anzeige erstatteten und in der Verhandlung als Zeugen geladen waren.
Eine Zeugin sagte aus, dass es im Haus der beiden ständig zu Streit und Geschrei komme. Sie vermutete, auch schon dumpfe Schläge mit anschließenden Schmerzensschreien des blinden Sohnes gehört zu haben. "Er ist ihr schutzlos ausgeliefert", sagte sie vor Gericht nachdrücklich. Von einem der verhandelten Vorfälle nahm die Nachbarin zudem ein Video auf, das als wichtiger Beweis diente.
Bemerkenswerterweise stand der Sohn während der Verhandlung jedoch voll hinter seiner Mutter. "Das ist gelogen!", kommentierte er häufig und verzweifelt, wenn Zeugen die Schläge gegen ihn ansprachen. Noch deutlichere Worte fand die Angeklagt selbst: "Ersticken sollst du an deinen Lügen!", ging sie eine ihrer Nachbarinnen an und sprach von ihr als "Hexe". Die Stimmung wurde mit zunehmender Verhandlungsdauer immer aufgeheizter.
Verwirrung über den Zeitpunkt der Tat
Dann wurde es in der Verhandlung konfus. Bei der Vernehmung einer Nachbarin fiel auf, dass der Tatzeitpunkt, den die Zeugin nannte, vom Datum in den Akten um mehr als ein Jahr abwich. Außerdem soll eine weitere Zeugin eine Aussage zur Tat abgegeben haben, bevor diese überhaupt geschehen ist. Diese Missverständnisse kamen vermutlich durch die große Zahl der gemeldeten Vorfälle zustande.
Im Plädoyer der Staatsanwaltschaft wurde das Dilemma deutlich: "Der Sohn kann nicht ohne seine Mutter. Aber je mehr sie im Alter abbaut, desto größer wird die Überforderung." Sie würde sich dann nicht mehr anders zu helfen wissen, als körperlich zu werden. Nachgewiesen wurde nur einer der beiden Vorfälle und eine Beleidigung ("Bauernlümmel") gegenüber einem weiteren Nachbarn. Da auf die Rentnerin noch weitere, ähnliche Gerichtsverfahren zukommen, forderte der Staatsanwalt eine Geldstrafe von 130 Tagessätzen zu je 30 Euro.
Die Richterin schloss sich der Forderung an. Es gab keine schweren Verletzungen, außerdem spreche die Überforderung der Frau für eine geringere Strafe. Abschließend wandte sich die Richterin noch einmal an die Angeklagte: Sie solle sich mit der Betreuung ihres Sohnes helfen lassen. Auf Rechtsmittel wurde verzichtet.