
Personalmangel, Betreuungsschlüssel, Notgruppen – solche Stichworte sind es, die aktuell im Zusammenhang mit Kindertagesstätten fallen. In Willanzheim gipfelte die Situation darin, dass eine Gruppe wegen mutmaßlicher Übergriffen von Erzieherinnen auf ihre Schützlinge geschlossen wurde. Samira Falkenberg ist selbst Kinderpflegerin und erschrocken über solche Entwicklungen.
In mancher Einrichtung hat sie Überforderung erlebt, pädagogisches Personal, das selbst vorbelastet ist und seine Erfahrungen nicht ausklammern kann. Sie hofft, dass durch das mediale Interesse viel mehr Aufklärung erfolgen und pädagogisches Fehlverhalten verhindert oder schneller aufgedeckt werden kann. "Diese Arbeit schaffst du nur, wenn du es selbst immer wieder anstrebst, in deiner Mitte zu sein", findet Falkenberg und plädiert Im Interview dafür, hinzuschauen, aufzuklären – und sich Hilfe zu holen.
Samira Falkenberg: Übergriffigkeit beginnt viel früher, als den meisten Menschen bewusst ist. Zum Beispiel dabei, das Kind umzuziehen, ohne mit ihm die Schritte zu besprechen. Auch ein Streicheln über den Kopf ist ein Übergriff, wenn noch keine ausreichende Bindung da ist. Bei einem Erwachsenen würde man das nie tun. In einer Wickelsituation erkläre ich dem Kind, was ich als nächstes tue. 'Ich öffne jetzt deinen Body', und so weiter. Sein Körper ist sein Eigentum. Genauso wie sein Kindergartenrucksack. Wenn ich die Brotzeitbox bringen möchte, kündige ich dem Kind an, dass ich jetzt seine Tasche öffne, um das Essen herauszuholen, und tue es nicht einfach. Oder gehen Sie an die Tasche ihres Teamkollegen?
Samira Falkenberg: Ja, aber es muss sein, denn es geht dabei um Wertschätzung. Und um eine Vorbildfunktion: Lebe vor, was du verlangst! Die Intention soll, egal bei welcher Handlung, eine wertschätzende sein. Hier müssen Erzieher:innen sich ihre Gedanken machen, sich Grenzen setzen und stetig reflektieren. Übergriffigkeit beginnt im Kopf. Und passiert oft in Überforderungssituationen, bei Wissenslücken oder nicht verarbeiteten Erfahrungen. Schlechte Vorbilder in der Kindheit und im Job sind die häufigsten Gründe für pädagogisches Fehlverhalten.
Samira Falkenberg: Die Tonlage oder die Wortwahl machen schon einen Unterschied. Wenn es körperlich wird, ist die Frage: Was ist die Intention? Wie ist die Bewegung? Ist es eine beschützende? Ziehe ich das Kind zur Seite, weil es mir gerade im Weg steht? Oder ziehe ich es zurück, weil es einer Gefahr ausgesetzt ist.
Samira Falkenberg: Für Eltern gilt es, genau zu beobachten. Zum einen ihr Kind: Ist es plötzlich schreckhaft, schläft oder isst nicht? Hat es auffällige Verletzungen? Und zum anderen das Personal. Sie sind mit dem Kindergarten eine Erziehungspartnerschaft eingegangen und haben das Recht, Fragen zu stellen. Viele Eltern halten sich nicht für kompetent genug, zu erkennen, ob ein Kind wertschätzend behandelt wird. Dafür braucht es aber keinen Abschluss, sondern es reicht, auf sein Gefühl zu hören und es anzusprechen, wenn übergriffiges Verhalten auffällt.
Samira Falkenberg: Ja. Wir haben eine große Verantwortung: In den Institutionen eine Umgebung zu schaffen, die Wertschätzung ermöglicht. Wir wissen nicht, wie es in den Familien abläuft. Und wir haben es auch nicht in der Hand. Wir können aber in den Institutionen zeigen, dass und wie wertschätzende, gewaltfreie Kommunikation und achtsames Handeln funktioniert. Dazu gehört auch die Prävention sexueller Gewalt. Die wichtigste Botschaft muss lauten: 'Das ist dein Körper und du entscheidest: Bis hierhin und nicht weiter. Und achte dabei auf die Grenzen deines Gegenübers.'
Samira Falkenberg: Auf jeden Fall. Grundsätzlich gilt: Weniger sagen, mehr fragen. Wer fragt, der führt.