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Würzburg
SuedLink: "Die Trassen zu bauen wäre bedauerlich und teuer"
Nach Corona weiter so? Das könnte für die Klimaziele fatale Folgen haben, warnt Energie-Experte Rainer Kleedörfer. Er fordert von der Politik, den Netzausbau zu überdenken.
Braucht es für die Energiewende den geplanten Netzausbau mit Stromautobahnen wie SuedLink überhaupt? Die Frage entzweit nach wie vor.  
Foto: Julian Stratenschulte, dpa | Braucht es für die Energiewende den geplanten Netzausbau mit Stromautobahnen wie SuedLink überhaupt? Die Frage entzweit nach wie vor.  
Irene Spiegel
 und  Susanne Schmitt
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:35 Uhr

Monatelang hat die Diskussion ums Klima die Schlagzeilen beherrscht. Dann kam Corona, der Umweltschutz rückte in den Hintergrund. Nur: Die eine Krise hat die andere nicht abgeschafft. Würde die Politik wie bisher weitermachen, wäre das "energiewirtschaftlich unsinnig", sagt Rainer Kleedörfer, Leiter Zentralbereich Unternehmensentwicklung beim mittelfränkischen Stromversorger N-Ergie. Kleedörfer ist Mitglied des bundesweiten "Initiativkreises NEP", dem mehrere Bürgerinitiativen aus der Region angehören und der sich gegen "überdimensionierten Netzausbau" wehrt. Im Gespräch erklärt er, warum Trassen wie SuedLink aus seiner Sicht nicht notwendig sind und die Energiewende ohne Umdenken der Politik scheitern wird.

Frage: Trassengegner fordern derzeit, die SuedLink-Planungen wegen der Corona-Krise zu stoppen. Halten Sie das für den richtigen Weg?

Rainer Kleedörfer: Ich denke, dass es opportun ist. Denn die Öffentlichkeitsbeteiligung ist ein maßgeblicher Prozessschritt und in Corona-Zeiten nur eingeschränkt möglich. Deswegen ist die Forderung grundsätzlich richtig.

Sie unterstützen den bundesweiten "Initiativkreis NEP 2030", der sich gegen den geplanten Netzausbau wehrt. Nur: Wie soll Energiewende funktionieren, wenn man den Windstrom aus dem Norden nicht verteilen kann?

Kleedörfer: Wenn man Energiewende möchte und die Klimaschutzziele erreichen will, dann ist es zu kurz gedacht, nur den Stromsektor zu betrachten. Man muss auch die anderen Sektoren, beispielsweise den Wärmemarkt oder den Mobilitätsmarkt, mitdenken.

Rainer Kleedörfer, Leiter Zentralbereich Unternehmensentwicklung beim mittelfränkischen Stromversorger N-Ergie und Mitglied des bundesweiten 'Initiativkreises NEP'.
Foto: Olaf Tiedje | Rainer Kleedörfer, Leiter Zentralbereich Unternehmensentwicklung beim mittelfränkischen Stromversorger N-Ergie und Mitglied des bundesweiten "Initiativkreises NEP".
Warum?

Kleedörfer: Wenn ich den Sektor Strom isoliert denke, komme ich durchaus zu dem Ergebnis, dass wir im Norden Überschussstrom haben und diesen in den süddeutschen Raum transportieren müssen. Allerdings wird bei diesem Ansatz der Wärmemarkt, der vom Energieinhalt wesentlich größer ist, ausgeblendet. Zum Vergleich: Der Endenergieverbrauch im Wärmemarkt beträgt rund 49 Prozent des gesamten Energieverbrauchs in Deutschland, der Strommarkt etwa 21 Prozent. Auch die Wissenschaft sagt, dass die Herausforderung Energiewende nur dann gelingen kann, wenn wir sektorenübergreifend denken und handeln. Dann stellt sich die Frage: Braucht man den Übertragungsnetzausbau in der jetzt geplanten Dimension? Und man kommt ganz klar zu der Antwort: nein, in dieser Dimension nicht.

Erneuerbare Energien sollen aber trotzdem ausgebaut werden?

Kleedörfer: Wenn man eine Rangfolge aufstellen müsste, was die dringlichsten Themen sind, um Klimaschutz nach vorne zu bringen, dann ist es zweifelsfrei der Ausbau der erneuerbaren Energien. Ohne einen massiven Ausbau, das zeigen alle Studien, funktioniert kein Ansatz zur Energiewende. Bei uns in der Region ist das vorrangig Photovoltaik, im Norden eher Windkraft.

In Bayern verhindert die 10h-Regel den weiteren Windkraftausbau. Wie realistisch ist das dann?

Kleedörfer: Grundsätzlich sind in Bayern die Flächen für den Photovoltaik-Ausbau und auch Windkraftausbau vorhanden. Jedoch muss man dazu sagen, dass es nicht nur die Freifläche sein kann. Deshalb ist eine zentrale Forderung, dass Dachflächen künftig sowohl bei Neubauten als auch Sanierungen und sowohl im Wohnungs- als auch Gewerbebereich verpflichtend mit Photovoltaik belegt werden müssen. Das Potenzial auf den Dächern ist gewaltig. Man braucht aber auch den weiteren Ausbau der Windkraft. Da muss man gegen den Widerstand in Politik und Bevölkerung aufklären.

Windräder, Photovoltaik und Co.: Wird es künftig möglich sein, den kompletten Strombedarf aus erneuerbaren Energien zu decken?
Foto: René Ruprecht | Windräder, Photovoltaik und Co.: Wird es künftig möglich sein, den kompletten Strombedarf aus erneuerbaren Energien zu decken?
Wenn der Ausbau gelingt, ist es damit möglich, den kompletten Strombedarf zu decken – auch wenn keine Sonne scheint und kein Wind weht?

Kleedörfer: Befürworter des Übertragungsnetzausbaus argumentieren gerne, dass im Süden vor allem Photovoltaik vorhanden sei und es nachts beziehungsweise an bewölkten Tagen kaum Energieerzeugung aus diesen Anlagen gebe. Deswegen brauche es die Trassen, um Windstrom vom Norden in den Süden zu bringen. Das Argument kann man aber auch umkehren und gegen die Trassen verwenden: Das Jahr hat rund 8700 Stunden, die Windkraftanlagen im Norden produzieren nur an etwa 3500 Stunden Energie. Auch im Norden muss ich die Frage beantworten, was passiert, wenn ich zu wenig erneuerbare Energie bekomme. Für diesen Fall brauche ich in den nächsten Jahren konventionelle Kraftwerke, als eine Art Übergangstechnologie, und im Kern sind das Gaskraftwerke. Denn die Trassen helfen nachweislich für die Windflauten nicht.

Das heißt, es müssen für die Energiewende Gaskraftwerke neu gebaut werden?

Kleedörfer: Teilweise wird man auch neue Gaskraftwerke bauen müssen. Es wird daraus trotzdem ein guter Ansatz, wenn man natürliches Erdgas sukzessive durch einen CO2-armen Stoff ersetzen kann – und das ist mit Wasserstoff möglich.

Das müssen Sie erklären.

Kleedörfer: Hier kommt wieder der Wärmemarkt, die Sektorenkopplung, ins Spiel. In den vergangenen Jahren sieht man, dass immer mehr Immobilienbesitzer in Deutschland von Öl- zu Gasheizungen wechseln. Wird aber natürliches Erdgas in den Gebäuden verbrannt, wird CO2 ausgestoßen – was schlecht ist für das Erreichen der Klimaschutzziele. Also muss man überlegen: Wie kann ich dieses natürliche Erdgas künftig ersetzen? Da ist Wasserstoff der Favorit. Er muss technisch erzeugt werden, dafür brauche ich Strom. Und das kann kein Kohlestrom sein, sondern es muss Strom aus erneuerbaren Energien sein. Wenn ich dann einen Teil des von Windrädern erzeugten Stroms im Norden in Wasserstoff wandele, kann ich die vorhandene und bestens ausgebaute Erdgasleitungsstruktur für den Transport nutzen. Dann habe ich eine Lösung, die im Sinne von Klimaschutz und Energiewende viel besser ist, als nur überdimensionierte Stromtrassen zu bauen. Es wird trotzdem nötig sein, das Stromnetz punktuell auszubauen – aber nicht in der geplanten Größenordnung.

SuedLink: 'Die Trassen zu bauen wäre bedauerlich und teuer'
Die Bundesnetzagentur sieht das anders, sie definiert im Netzentwicklungsplan die großen Trassen als nötig für eine sichere Stromversorgung. Wurde falsch gerechnet?

Kleedörfer: Das ist kaum zu prüfen, denn die Berechnungen der Bundesnetzagentur sind teilweise nicht öffentlich zugänglich. Es wird seit Jahren gefordert, das zu ändern. Allerdings weigert sich die Bundesnetzagentur bisher beharrlich. Hinzu kommt: Die Bundesnetzagentur und die Netzbetreiber denken nahezu ausnahmslos in ihrem Stromsystem.

Das würde aber doch heißen, dass die Politik einen Weg forciert, mit dem man die Klimaziele nicht erreicht und der obendrein richtig Geld kostet. Warum sollte sie das tun?

Kleedörfer: Ich glaube, dass die Forderung nach Sektorenkopplung bei vielen Politikern zumindest im Hinterkopf Gehör findet. Aber wir kommen aus einer Historie, bei der Gesetze ausschließlich auf die einzelnen Sektoren abgestimmt wurden. Und es gibt vermutlich auch das starke Interesse, erst einmal das Beschlossene umzusetzen. Würde man jetzt nachjustieren, würde das Zeit kosten, aber den Verbrauchern hohe Ausgaben ersparen. Und man müsste eingestehen, dass vielleicht die bisherigen politischen Entscheidungen und Gesetzesnormen Nachbesserungen brauchen.

Ob mit oder ohne Corona: Ist generell noch zu verhindern, dass Trassen wie SuedLink gebaut werden – oder ist es dafür zu spät?

Kleedörfer: Die Trassen verhindern könnte nur der Bundestag, wenn er die entsprechenden Rechtsnormen ändern würde. Aus meiner Sicht wäre es wirklich bedauerlich, wenn man die Trassen bauen würde. Bedauerlich und teuer: Die mir bekannte Kostenschätzung geht von 95 Milliarden Euro für den Ausbau der Übertragungsnetze aus. Das wird aber vermutlich nicht reichen, da zum Beispiel die Kosten für den Tiefbau stark gestiegen sind. Die Refinanzierung müsste der Bürger tragen. Wenn man dann feststellt, dass trotz der Trassen die Ziele der Energiewende nicht erreicht werden können, bleibt die Frage: Warum wurden sie gebaut? Nur dann ist es leider zu spät. Zudem wird man weitere Technologien aufbauen müssen und auch diese Kosten werden die Bürger zahlen müssen. Würde man jetzt also einfach so weiter machen, wäre das volkswirtschaftlich ein Fiasko, energiewirtschaftlich unsinnig und für den Klimaschutzeine Fehlentwicklung.

In einer früheren Version dieses Artikels war von einer Kostenschätzung in Höhe von 95 Millionen Euro für den Ausbau der Übertragungsnetzwerke die Rede. Tatsächlich sind es aber 95 Milliarden Euro. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

 
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Kommentare
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  • thomas@blotevogel.de
    Mir fehlt in diesem Artikel (wie schon in vorherigen) eine kritische Nachfrage nach den Gaskraftwerken, an denen die N-Ergie beteiligt ist, und deren aktuelle Wirtschaftlichkeit oder Unwirtschaftlichkeit.
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  • Mainheini
    Leider wird die Politik nicht auf Hr. Kleedörfer hören. Der SüdLuink wird durchgezogen gegen alle Widerstände und besseres Wissen. Der Kleine Mann als Stromabnehmer bezahlt ja alles.
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  • emilundemma
    Leider ist ein gravierender Fehler im Bericht. Anstatt :Die mir bekannte Kostenschätzung geht von 95 Millionen Euro für den Ausbau der Übertragungsnetze aus, müsste es heißen: Die mir bekannte Kostenschätzung geht von 95 ooo Millionen oder 95 Milliarden Euro für den Ausbau der Übertragungsnetze aus.
    Das sollte richtiggestellt werden.
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  • emilundemma
    Trotz vieler Beteuerungen sich für die Klimaziele stark zu machen und die dezentrale Energiewende zu fördern, ist es vielen MdB`s wohl nicht möglich über den eigenen Schatten zu springen und das auch in Berlin in den entsprechenden Gremien zu fordern. Statt dessen wird im Bundestag alles unterstützt was der Wirtschaftsminister fordert, ohne die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahmen zu hinterfragen. Nicht einmal die Anforderungen an die BNA werden auf den aktuellen Stand und schon gleich gar nicht auf zukunftsreichere Technologien erweitert. Alles in allem ein einziges Trauerspiel unserer Verantwortlichen in Berlin. Da die Kosten keinen Bundeshaushalt belasten, winken unsere Volksvertreter alles durch. Der kleine Stromabnehmer bezahltes oder besser, er muß es bezahlen.
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