Seit dem Privileg König Ottos I. vom 13. Dezember 941 in der Pfalz Salz, ehemals Palast Kaiser Karls des Großen, heute eine Burgruine auf dem Veitsberg bei Bad Neustadt, verfügte das Würzburger Domkapitel über das Recht der freien Bischofswahl. Der König verzichtete damit für sich und seine Nachfolger auf die Vollmacht zur Ernennung des künftigen Bischofs und späteren Herzogs in Franken.
Zu gewissen Zeiten war das Kapitel, die Gemeinschaft der führenden adligen Kleriker an der Hauptkirche, der Kathedrale des Bistums Würzburg, Mitregent. Nach dem Tode eines jeden Bischofs lenkte es bis zur Neuwahl vorübergehend die Politik sowohl im Hochstift, dem weltlichen Herrschaftsbereich, wie auch in der Diözese. Die päpstliche Gesetzgebung stärkte seinen Einfluss auf die Wahlentscheidung.
Auf dem IV. Laterankonzil 1215 wurde den Domherren das ausschließliche Wahlrecht bestätigt. In der Regel fand die Erhebung auf Wunsch oder mit Zustimmung des Kaisers statt. Die erste, nachweislich allein von Domherrn getragene Wahl war in Würzburg die des Bischofs Hermanns von Lobdeburg 1225.
Domkapitel ließ sich beim freien Bischofs-Wahlrecht nicht einschränken
Wiederholte Ansprüche der römischen Kurie in späterer Zeit, die Neuwahl zu entscheiden, lehnte das Domkapitel ab. In der Ausübung seines freien Wahlrechtes wollte es sich nicht beschränken lassen. Bis zum Ende des Alten Reiches gingen fast alle Würzburger Bischöfe aus der Abstimmung des Kapitels hervor. 1802 dankte Georg Karl von Fechenbach, der letzte Würzburger Fürstbischof, von Werneck aus ab.
Die Zahl der Domkanoniker hing in erste Linie von der materiellen Ausstattung ab. Die Vermögensmasse, die in Würzburg beträchtlich war, resultierte aus Teilen des Kirchenguts sowie kontinuierlichen Schenkungen. Die Beschränkung erforderte klare Auswahlkriterien wie bestimmtes Alter, eheliche Geburt, höhere kirchliche Weihen, eine wissenschaftliche Ausbildung und adlige Herkunft. Seit dem 13. Jahrhundert ist in Würzburg die Herrschaft des Domkapitels eine Adelsherrschaft.
Zu den wichtigen Aufgaben der Kapitulare gehörten u.a. der Chordienst, der feierliche Vollzug der Liturgie, das Chorgebet und die Unterstützung des Bischofs in seiner Regierungshandlungen. Die Zahl lag meist bei 30 Personen, hinzu kam der in Ausbildung befindliche Nachwuchs: die Domizellare bzw. Scholaren. Die obersten Würdenträger waren die Dignitäre, nämlich Dompropst, Domdekan und Domscholaster.
Das „collegium sancti Kiliani“, das Kapitel, verfügte über bedeutende Grund- und Dorfherrschaften, seit 1295 war es Stadtherr von Ochsenfurt, im 15. Jahrhundert auch von Karlstadt. 1406 erhielt es aus dem Tafelgut des Bischofs den reichen Marktflecken Frickenhausen. Weiter gehörte ihm die Burg Frankenberg bei Uffenheim. Jeder Domkanoniker verfügte über Landgüter mit Einzelhöfen, auch Vorwerke genannt, die mit angrenzendem Grundbesitz außerhalb der Dörfer lagen. Als Einnahmen kamen von hier vorrangig Getreide, Wein und Kleinvieh.
Im Würzburger Domstift lebten Bischof und Domherren ursprünglich gemeinsam im sogenannten Bruderhof, der „curia fratrum sancti Chiliani“, in unmittelbarer Nachbarschaft des Domes. Um die erste Jahrtausendwende löste man sich aus der „vita communis“, dem gemeinsamen Lebensverband, gab die klosterähnliche Gemeinschaft auf und zog in die im Lauf der Zeit exklusiv ausgebauten Domherrnhöfen. Dort pflegten die Kapitulare eine herrschaftliche Hofhaltung mit einer beträchtlichen Zahl von Bediensteten.
Turbulente Konflikte im späten Mittelalter
Besonders turbulent gestaltete sich das Verhältnis des Kapitels im späten Mittelalter. Unter den Bischöfen Johann von Egloffstein (reg. 1400 – 1411) und seinem Nachfolger Johann von Brunn aus dem Elsass (reg. 1411 – 1440) kam es zu handfesten Auseinandersetzungen wegen neuer, bislang unüblicher Abgaben. Hohe Steuerforderungen an die Stadt Würzburg hatten bereits unter Bischof Gerhard von Schwarzburg (reg. 1372 – 1400) zur Schlacht von Bergtheim im Januar 1400 geführt, die trotz adliger Hilfstruppen in einer vernichtenden Niederlage der Stadt endete.
Johann von Egloffstein fand bei seinem Dienstantritt 1400 im Hochstift einen immensen Schuldenstand über 2,5 Millionen Gulden vor. Diese Last war nur durch neue Steuern auf Städte und Geistlichkeit zu bewältigen. Wie der Adel versuchte auch der Klerus möglichst steuerfrei zu bleiben. Die neuen Abgaben ihres Landesherrn, vom Papst abgesegnet, lehnte das Kapitel 1407 ab. Es verbot auch den zahlreichen Domvikaren, Steuern zu leisten. Johann von Egloffstein reagierte zügig.
Am 22. Mai 1408 ließ er während einer Prozession 18 Domherrn gefangen nehmen und auf dem Marienberg einsperren. Der Rest des Kapitels setzte sich nach Ochsenfurt ab und verbündete sich mit Grafen und Rittern gegen den Bischof. Im August kam es zu einem Schiedsspruch und Egloffstein ließ die Gefangenen frei. Diese forderten vom Papst die Exkommunikation ihres Bischofs, die indes erfolglos blieb. Letztendlich akzeptierte das Kapitel eine reduzierte Steuerleistung.
Angesichts der Hussitengefahr aus Böhmen eskalierten unter Johann von Brunn die Probleme. Als königlicher Rat hatte dieser dem königlichen Heerbann zu folgen und zog zwei Mal persönlich 1427 und 1431 gegen deren gefürchtete Truppen ins Feld. In ihrer neuen, kämpferisch-religiösen Ideologie mit der Forderung nach Freiheit der Predigt und Verzicht der Kirche auf weltliche Macht bereiteten sie als „Gottesstreiter“ die Reformation vor.
Krieg zu führen war bereits im Mittelalter extrem teuer. Trotz Verpfändungen im großen Umfang und neuer Zölle stieg die Verschuldung weiter. Einer Hussitensteuer stimmte das Kapitel noch zu, nahm sich selbst aber aus. Von der Judenschaft des Hochstifts erpresste Bischof von Brunn trotz deren Freibriefs laut dem Chronisten Lorenz Fries 60 000 Goldgulden.
1427 brach der Konflikt endgültig aus
1427 brach der Konflikt mit dem Kapitel vollends aus: Seine Mitglieder kündigten ihrem Bischof den Gehorsam auf. Des Bischofs radikalster Feind im Domkapitel war der Domherr Friedrich Schoder, der auf Befehl des Bischofs festgenommen und im Randersackerer Turm eingekerkert wurde. In Basel betrieben Teile des Domkapitels zusammen mit der Würzburger Bürgerschaft die Absetzung des Landesherrn – dies allerdings ohne Erfolg.
1440 starb Johann, von Chronisten seiner Zeit als der „böse Bischof von Würzburg“ bezeichnet, auf der Marienburg. Die moderne Geschichtsschreibung misst ihm allerdings durchaus Verdienste zu. Er trat sein Amt in schwierigen Zeiten an, beim Kaiser nahm er eine bedeutende Stellung ein und unter den Fürsten des Reichs genoss er hohes Ansehen. Sein kontinuierlicher Dienst für das Reich und die Auseinandersetzungen mit Adel, Domkapitel und Städten verschlangen beträchtliche Finanzmittel. Die Domherren unterstützten ihn nur insoweit, als sie ihr Eigeninteresse nicht gefährdet sahen. Für die Geschicke des Hochstifts erwiesen sie sich als ausgleichender Machtfaktor.
Text: Ulrich Wagner. Der Autor war langjähriger Leiter des Würzburger Stadtarchivs.