
Am Morgen nach der Landtagswahl tagten in München die CSU-Bezirksvorsitzenden. Wie war die Stimmung? "Umso nördlicher der Verband, desto besser", sagt der unterfränkische CSU-Chef Steffen Vogel. Eine Anspielung darauf, dass die Unterfranken-CSU erneut das stärkste Ergebnis aller sieben Bezirksverbände eingefahren hat. Dennoch stellt Vogel fest: "Die Ampel hat verloren, aber wir haben davon nicht profitiert."
Stattdessen haben Freie Wähler und AfD zugelegt. Woran liegt das?
Am Montag schwankt die Stimmung in der CSU zwischen Ernüchterung und Aufbruch. Schon am Sonntagabend hatten neben Ministerpräsident Markus Söder viele andere aus der Partei die Migrationspolitik nicht nur als wahlentscheidend, sondern auch als Thema identifiziert, das man nun stärker besetzen müsse.
So auch Unterfrankens Bezirkschef Steffen Vogel: In seinem Heimatort Obertheres (Lkr. Haßberge) soll aus einem ehemaligen Gasthaus eine Gemeinschaftsunterkunft für 60 afghanische Geflüchtete werden. "Natürlich bewegt das die Menschen", sagt Vogel. "Das betrifft ihre Lebenswirklichkeit."
Asylkompromiss von 1993 als Blaupause, um den rechten Rand zu schwächen?
Die Union trage hier zwar eine Hypothek, weil es schließlich die CDU-Kanzlerin Angela Merkel war, die 2015 mit dem berühmt gewordenen Satz "Wir schaffen das" in der Flüchtlingskrise den Kurs vorgegeben hatte. Bei einigen in der Bevölkerung sei das so hängengeblieben, als hätte man damals "eine Einladung ausgesprochen", meint Vogel. Aber: "Wenn man das Thema Migration nicht angeht, wird die AfD nicht kleiner."
Der Landtagsabgeordnete erinnert an die frühen 1990er Jahre, als die Republikaner auf ihrem Höhepunkt waren. Dann kam 1993 der sogenannte Asylkompromiss, eine Verschärfung des Asylrechts - "und die Republikaner verschwanden wieder". Dass die AfD jetzt einfach so verschwinde – unwahrscheinlich. Vogel jedenfalls glaubt: "Die Freien Wähler nehmen der AfD keine Stimmen weg."
Dass im Thema Migration nach dieser Wahl die Antwort auf viele Fragen liegt, meint auch Thomas Habermann. Die Zugewinne der AfD erklärt sich der CSU-Landrat von Rhön-Grabfeld mit einer "sich verfestigenden Stimmung", dass die Politik komplexe Probleme - wie die Migration - nicht lösen könne. "Es nutzt nichts, die AfD oder deren Wähler zu kritisieren", sagt Habermann. "Wir müssen selbstkritisch sein und uns fragen, was wir konkret machen können."
In der Asylpolitik müsse geltendes Recht "konsequent angewandt" werden, findet der Landrat. Schon 2015 sei man "zu lax" mit dem Thema umgegangen. Man müsse nun unter anderem zu schnelleren Asylverfahren kommen und zur Formel "Sachleistungen statt Geldleistungen" – das sieht auch Steffen Vogel so.
"Wir müssen auch was tun, nicht nur reden, dann kommt wieder Ruhe rein", hofft Habermann. Wenn das nicht passiere, werde die AfD immer stärker werden. Dabei müsse für die CSU gelten: "Im Ton gemäßigt, aber klar in der Sache."
Ist man diesem Anspruch in dem teils hitzigen Wahlkampf gerecht geworden?
"Was die Ampel macht, ist eine einzige Katastrophe", findet Habermann. Die Kritik sei deshalb berechtigt gewesen. "Überspitzung gehört zum Wahlkampf dazu." Und: "Wir können die Leute nicht mit populistischen Aussagen auf die Bäume jagen, das hat auch Söder nicht gemacht." Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger habe dagegen "verantwortungslos" agiert, als er bei einer Kundgebung in Erding skandierte, das Volk müsse sich "die Demokratie wieder zurückholen". "Da", sagt Habermann, "hat die CSU mehr Verantwortung."
CSU kann mit landespolitischen Themen im bayerischen Wahlkampf nicht punkten
Das Ergebnis der AfD in Bayern sei "erschreckend", sagt CSU-Vize Dorothee Bär. Es dürfe keinen Demokraten kaltlassen. "Wir können nicht zur Tagesordnung übergehen. Seit gestern bin ich wie elektrisiert, noch mehr als ohnehin schon für unsere Demokratie zu kämpfen", meinte die Bundestagsabgeordnete am Tag nach der Bayern-Wahl. Die Schwierigkeit: Den Bürgerinnen und Bürgern sei es vor allem um bundespolitische Themen, Migration, Angst vor sozialem Abstieg und das Heizungsgesetz gegangen, sagt die CSU-Politikerin aus dem Landkreis Haßberge.

Klassische landespolitische Themen, etwa Bildung, hätten nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Die CSU habe die wichtigen Themen angesprochen – auch die Migration, aber "wir hatten eben die Herausforderung, dass wir im Bund nicht regieren", meint die stellvertretenden Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Judith Gerlach sieht das ähnlich und macht die Bundesregierung für die Zuwächse von AfD und Freien Wählern in Bayern verantwortlich. "Es braucht endlich eine Umkehr bei der Asylpolitik in Deutschland", sagt die CSU-Politikerin aus Aschaffenburg. Die Union habe in den letzten Wochen versucht, darüber mit der Bundesregierung zu reden. "Ein Einlenken der Ampel fiel bisher aus. Das muss sich aber dringend ändern", fordert die bayerische Digitalministerin. Sie sei sicher, "dass die Wahlergebnisse in Bayern und Hessen den Ampelparteien deutlich vor Augen führen, dass sie jetzt umsteuern müssen". Ansonsten? "Ansonsten droht bei den nächsten Wahlen noch mehr Aufwind für den rechten Rand."
Eberhard Sinner: Mehr eigene Inhalte und keine Nachahmung der AfD-Rhetorik
Eberhard Sinner blickt da kritischer auf die eigene Partei. "Der AfD-Rhetorik hinterherzulaufen, ist ein großer Fehler", sagt der frühere Leiter der Staatskanzlei aus Lohr (Lkr. Main-Spessart). Als Beispiel nennt Sinner die umstrittene Aussage des CDU-Chefs Friedrich Merz über Zahnbehandlungen für abgelehnte Asylbewerber, die während des bayerischen Wahlkampfs eine Populismus-Debatte entfachte.
Söder habe zwar immer wieder betont, dass die "Brandmauern" zur AfD wichtig sind. "Hier hätte man besser erklären müssen, warum sie wichtig sind und welche Folgen eine starke AfD haben kann", sagt der ehemalige bayerische Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten.

Über das Thema Migration hätte man "möglicherweise früher" sprechen müssen, meint der Lohrer. Wer sich die Wahlprogramme anschaue, könne erkennen, dass rechte Parteien in Europa keine Lösungen anbieten. "Die AfD muss entzaubert werden", sagt der 78-Jährige.
Eberhard Sinner hält es jedenfalls für unerlässlich, künftig "die eigene Agenda und eigene Projekte noch klarer herauszustellen". Die Aspekte Klimaschutz und Innovation in Bayern seien Themen, mit denen die CSU ihr Profil schärfen könnte.
Mit Blick auf die AfD: Härtere Gangart von Söder gefordert
Wie dieses Profil künftig tatsächlich aussieht? Ein Stück weit wird sich die CSU auch neu erfinden müssen. "Für die CSU war es immer ein Grundpfeiler, dass rechts neben uns keine demokratisch legitimierte Partei stehen soll. Das ist mit den Freien Wählern heute der Fall", stellte CSU-Vize Manfred Weber vor einer weiteren CSU-Sitzung am Montag fest. "Deswegen müssen wir die Samthandschuhe ablegen." Man müsse inhaltlich die Auseinandersetzung suchen. Auch mit Blick auf die AfD fordert er von Söder eine härtere Gangart und kritisiert damit indirekt dessen bisherigen Kurs.
geben Sie den Gewählten jetzt erst mal Zeit, die Dinge anzugehen. Ich gehe davon aus, dass jetzt Probleme angegangen werden schon um die Rechten nicht noch weiter anwachsen zu lassen. Einfach deren Wählern zeigen "wir haben erkannt und tun was". Schauen wir mal positiv in die Zukunft!!
meinen Sie damit (z. B.) den herausragenden Platz beim Stromimport?
Die CSU von heute lebt doch nur noch davon, was die CSU von früher ins Werk gesetzt hat. Dass das bei den Bürger/innen nicht wirklich Zuversicht für die Zukunft aufkommen lässt, dürfen Sie (aber prinzipiell auch die Vertreter/innen der anderen Parteien für ihren jeweiligen Laden) getrost annehmen. Kein Wunder, dass die Leute denen nachrennen, die ihnen eine bessere Zukunft ganz ohne Anstrengungen versprechen - dabei müsste eigentlich allen klar sein, dass jeder Tag "weiter so!" die Abrechnung nur höher und brutaler ausfallen lassen wird. Hm, vielleicht hängen die Politiker/innen von heute auch der Illusion nach, ihre Altersbezüge seien sakrosankt für Zeit und Ewigkeit - ich denke, das werden wir noch sehen, wenn die Lage WIRKLICH ernst wird...