Der Kampf gegen den Antisemitismus ist kein leichter. Diese Erfahrung machen nicht nur viele Akteure in der Zivilgesellschaft und der Politik. Auch die Justiz tut sich häufig schwer beim Abwägen, ob eine Äußerung noch unter die schützenswerte Meinungsfreiheit fällt oder als strafbewehrte Volksverhetzung zu werten ist. Eine "Beschwerdeentscheidung" des Landgerichts Würzburg stärkt nun die Ermittler in ihren Anstrengungen, Holocaust-Verharmloser vor Gericht zu bringen.
Im konkreten Fall ermittelt die Staatsanwaltschaft Würzburg wegen Volksverhetzung gegen einen pensionierten Polizisten, der sich in der sogenannten Querdenker-Szene engagiert. Unter anderem sei er in 59 "systemkritischen" Gruppen im Messenger-Dienst Telegram aktiv, so der Vorwurf. Sein für alle Nutzer einsehbares Profilbild dort sei ein gelber Judenstern mit der Aufschrift "nicht geimpft".
Landgericht korrigiert Entscheidung des Amtsgerichts
Um Beweismaterial wie Handys und Computer zu sichern, beantragte der ermittelnde Staatsanwalt einen Durchsuchungs- und Beschlagnahme-Beschluss. Das zuständige Amtsgericht Würzburg wies den Antrag zurück, eine Durchsuchung sei nicht verhältnismäßig. Gegen diese Entscheidung legte die Staatsanwaltschaft daraufhin beim Landgericht Würzburg Beschwerde ein - und war erfolgreich. Die Entscheidung der Würzburger Richter vom Mai gilt als so grundlegend, dass sie vielfach Widerhall in der juristischen Fachliteratur fand. Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in ganz Deutschland sehen sich ermuntert, in Fällen von Holocaust-Verhamlosung bei Demonstrationen oder im Internet mit aller Härte zu ermitteln.
Die Würzburger Richter bestätigen nicht nur den Anfangsverdacht gegen den Polizeibeamten im Ruhestand, sie machen auch sehr eindrücklich deutlich, dass Vergleiche zwischen dem Umgang mit Kritikern der Corona-Politik in heutiger Zeit und der Verfolgung der Jüdinnen und Juden durch Nazi-Deutschland "offenkundig jeglicher Tatsachengrundlage" entbehren. Der gelbe Stern, den Jüdinnen und Juden ab 1941 in Deutschland und den überfallenen Nachbarstaaten an ihrer Kleidung anbringen mussten, diente, so heißt es in der Entscheidung, "nicht 'nur' der Ausgrenzung jüdischer Mitbürger, sondern war vielmehr eine öffentlich sichtbare Maßnahme zur Durchführung des Holocausts".
Die Situation ungeimpfter Personen heute sei "nicht einmal ansatzweise" mit der der Juden unter der Herrschaft der Nationalsozialisten vergleichbar, argumentiert das Gericht weiter. Wer den Stern verwende, bagatellisiere "die Qualität der damals begangenen Gräueltaten".
Profilbild ist geeignet, Gewaltbereitschaft zu entfesseln
Die Verharmlosung der Schoah wertet der Gesetzgeber, ähnlich wie die Holocaust-Leugnung, als Volksverhetzung - sofern sie öffentlich stattfindet. Dass hier ein Anfangsverdacht vorliegt, begründet das Landgericht nicht nur mit dem Profilbild, sondern auch mit den mutmaßlichen Aktivitäten des Beschuldigten in diversen rechten Telegram-Gruppen. Das Diskussionsklima dort sei "vergiftet". So würden fortlaufend antisemitische und den Holocaust leugnende Äußerungen getätigt und geteilt. Insofern sei die Verwendung des gelben Judensterns dazu geeignet, "die ohnehin bereits aufgeheizte politische Stimmung weiter zu verschärfen, die Hemmschwelle für gewaltsame staatsfeindliche Handlungen herabzusetzen und eine latent vorhandene Gewaltbereitschaft zu entfesseln".
Entsprechend gestärkt, ermittelt die Staatsanwaltschaft Würzburg nun weiter gehen den beschuldigten Polizisten im Ruhestand. Ziel ist es, den Mann vor Gericht anzuklagen. Zum aktuellen Stand des Verfahrens möchte sich die Anklagebehörde derzeit aber "aus ermittlungstaktischen Gründen" nicht äußern.
Corona-Leugner mit gelbem Punkt
Ebenfalls noch nicht abgeschlossen ist das Ermittlungsverfahren gegen drei Personen, die bei einer Demonstration gegen die Corona-Politik am 29. Oktober 2021 vor dem Würzburger Hauptbahnhof auf ihren Jacken runde gelbe Aufkleber mit der Aufschrift "ungeimpft" trugen - offensichtlich eine Anspielung auf den gelben Judenstern. Verschärfend kam hier hinzu, dass die sogenannten Querdenker sich ausgerechnet in unmittelbarer Nähe des Denkorts Deportation, dem Mahnmal zur Erinnerung an die ermordeten mainfränkischen Juden, versammelten. Der Vorwurf lautet auch hier: Volksverhetzung.
Über Erfolge und Schwierigkeiten bei der strafrechtlichen Verfolgung von volksverhetzenden Holocaust-Vergleichen bei Corona-Demonstrationen in ganz Bayern berichten an diesem Donnerstag, 6. Oktober, vor der Presse in München der bayerische Justizminister Georg Eisenreich und Andreas Franck, der Antisemitismusbeauftragte der bayerischen Justiz.
:-(
Wehret den Anfängern !!!!!
...auf ein grundlegendes Umdenken in der Justiz bei solchen antisemitischen, die Nazizeit verharmlosenden Kundgebungen in der Öffentlichkeit und vor allem im Netz!
Es ist erschreckend, was inzwischen alles unter dem Deckmäntelchen der "demokratischen Meinungs- und Demonstrationsfreiheit" ungestraft von den Behörden hingenommen wird.
Der Ruf "Wehret den Anfängen" scheint hier schon längst überholt 😢