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München
Starker Anstieg judenfeindlicher Vorfälle in Unterfranken
Ob Relativierung des Holocaust oder höhnische "Jude"-Rufe: Die Anzahl antisemitischer Vorfälle in Bayern nimmt zu – besonders stark in Unterfranken.
Nicht nur bei Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen wird Judenfeindlichkeit offen gezeigt. Auch der alltägliche Antisemitismus nimmt laut einer Dokumentationsstelle stark zu.
Foto: Christophe Gateau, dpa | Nicht nur bei Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen wird Judenfeindlichkeit offen gezeigt. Auch der alltägliche Antisemitismus nimmt laut einer Dokumentationsstelle stark zu.
Henry Stern       -  Obermeier/ Henry Stern
Henry Stern
 |  aktualisiert: 10.02.2024 01:51 Uhr

Bayernweit steigt die Anzahl der registrierten judenfeindlichen Vorfälle – und besonders stark in Unterfranken: Nach Zahlen der Dokumentationsstelle Rias Bayern wurden im Freistaat in 2021 insgesamt 447 antisemitische Vorfälle dokumentiert – ein Zuwachs von 82 Prozent gegenüber 2020. In Unterfranken hat sich die Zahl der gemeldeten Fälle im gleichen Zeitraum sogar fast verdreifacht – von elf in 2020 auf 31 in 2021.

Rias Bayern erfasst neben möglichen Straftaten auch den meist nicht strafbaren Alltag-Antisemitismus. Rund 84 Prozent der dokumentierten Fälle fallen in diese Kategorie des "verletzenden Verhaltens": So wurden zum Beispiel zwei Jüdinnen in Zeil am Main (Lkr. Haßberge) am 6. Januar 2022 aus einer Gaststätte heraus mit "Jude, Jude"-Rufen konfrontiert. Der darauf angesprochene Gastwirt habe sich weder entschuldigen, noch irgendwelche Konsequenzen ziehen wollen, so Rias. Andere Gäste hätten durch ihr Verhalten zudem gezeigt, "dass sie hinter den abschätzigen 'Jude'-Rufen stehen".

Corona-Leugner verhöhnen mit gelben Punkten die Opfer der Nazi-Diktatur

Rund ein Drittel der von Rias dokumentierten Vorfälle steht zudem im Zusammenhang mit Protesten gegen Corona-Maßnahmen: So war etwa in Knetzgau (Lkr. Haßberge) in einer Unterführung zu lesen: "Ungeimpft heute = Jude 1935". Und bei einem Aufeinandertreffen von Impfgegnern und Impfbefürwortern auf dem unteren Markt in Würzburg im Mai 2021 behauptete laut Rias ein Impfgegner, während der Verfolgung in der Nazi-Diktatur sei es "den Juden in den Ghettos besser gegangen als uns heute".

Auf einer Kundgebung von Impfgegnern der Initiative "Eltern stehen auf" Ende Oktober 2021 in Würzburg trugen mehrere Teilnehmer in Anlehnung an den diskriminierenden "Judenstern" während der Nazi-Diktatur gelbe Punkte mit der Aufschrift "ungeimpft". Die Demo fand zudem in unmittelbarer Nähe der Gedenkstätte für die deportierten und ermordeten unterfränkischen Juden statt.

In Unterfranken: Israel-Fahne bespuckt und heruntergerissen

Auch im Zusammenhang mit gegenseitigen Raketen-Angriffen von Palästinensern und Israelis im Mai 2021 kam es zu einer Vielzahl antisemitischer Vorfälle: So wurde etwa in Haibach (Lkr. Aschaffenburg) laut Rias eine Israel-Fahne, die eine Familie an ihr Haus gehängt hatte, zunächst bespuckt, dann abgerissen. Später habe die Familie Post mit antisemitischem Inhalt erhalten.

Laut Rias-Leiterin Annette Seidel-Arpaci ist überall in Bayern von einem großen Dunkelfeld nicht gemeldeter antisemitischer Vorfälle auszugehen. Zuletzt hatte auch die Polizei einen deutlichen Anstieg antisemitischer Straftaten von 353 auf 510 registriert. Jenseits von judenfeindlichen Straftaten  zeugten aber "insbesondere die Vorfälle im Alltag und das nahezu reflexartige Ausleben von Ressentiments auf der Straße, im Wohnumfeld und sogar im Bekanntenkreis von einer alltäglichen 'Normalität', die unerträglich ist", kritisiert Seidel-Arpaci.

Josef Schuster: Antisemitismus wird oft nicht erkannt und deshalb bagatellisiert

Es ist gut, dass Polizei und Justiz viel stärker etwa gegen nachgemachte "Judensterne" auf Corona-Demos vorgehen, findet Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Doch noch immer werde Antisemitismus "häufig nicht als solcher erkannt und entsprechend bagatellisiert", klagt der Würzburger. Auch Seidel-Arpaci fordert ein schärferes Bewusstsein nicht nur bei Polizei und Justiz, sondern von allen Bürgerinnen und Bürgern auch beim Alltags-Antisemitismus im Wirtshaus oder am Arbeitsplatz: "Da gibt es sicherlich noch Nachholbedarf."

 
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  • H. S.
    Was ist eigentlich ein Antisemitismus, der häufig nicht als solcher erkannt wird??
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  • C. F.
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  • R. W.
    Man kann die Zahl dieser Vorfälle natürlich auch künstlich in die Höhe treiben, wenn man diese ungeimpft-Geschichten mit dazu zählt. Dazu der eine Fall in besagter Gaststätte, bliebe dann aber immer noch zu klären, aus welchem Milieu die restlichen zwei Drittel der "Vorfälle" her resultieren, immerhin zwei Drittel? Dass die Raketen-Angriffe von Palästinensern und Israelis eine "Vielzahl" an Vorfällen hervorgerufen haben ist mir da etwas zu pauschal.
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