Am 17. Juni 2020, dem 77. Jahrestag der letzten Deportation jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger aus Unterfranken in die osteuropäischen Vernichtungslager der Nationalsozialisten, wurde der "DenkOrt Deportationen" vor dem Würzburger Hauptbahnhof offiziell eröffnet. In den vergangenen Tagen sind aus bisher 47 Gepäckstücken aus Holz, Metall und Stein, die an die verschleppten und ermordeten Juden erinnern sollen, fast 80 geworden: 32 neue Koffer wurden aufgestellt und das Mahnmal vor etwa 200 Gästen am Freitag Nachmittag zum zweiten Mal eröffnet.
Die neuen Koffer repräsentieren Gemeinden und Wohnorte aus ganz Unterfranken
Die neuen künstlerisch gestalteten Koffer repräsentieren insgesamt 43 Gemeinden und Wohnorte aus ganz Unterfranken, in denen bis 1933 jüdische Menschen lebten. In den einzelnen Kommunen steht jeweils ein identisches Gepäckstück als kleines Denkmal vor Ort. Am Ende der zweiten Eröffnung stellten sich Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus den Gemeinden zu ihren Gepäckstücken und gedachten in einer Schweigeminute an die 2069 jüdischen Kinder, Frauen und Männer, die zwischen 1941 und 1944 aus ganz Unterfranken verschleppt wurden. Soweit bekannt ist, haben nur 63 von ihnen die Shoa überlebt.
Zehranur Manzak vom Würzburger Bündnis für Demokratie und Zivilcourage Würzburg berichtete von intensiven Diskussionen über die Gedenkstätten – mit Skepsis, Fragen und Kritik in den einzelnen Orten: "Und trotzdem stehen die Koffer heute hier." Einige der Gepäckstücke wurden von Schülerinnen und Schülern der Holzbildhauerschule in Bischofsheim und der Berufsschule in Bad Kissingen erstellt. Die Bad Kissinger Drechslerklasse hat ihre Gepäckstücke als Jahresklassenarbeit hergestellt: "Ich halte es für wichtig, dass dieses Kapitel der Geschichte nicht vergessen wird", betonte Takayo Miura, eine der Schülerinnen.
Schuchardt: Es ist ein wachsendes Denkmal
"Es ist etwas Besonderes, was hier unter Mithilfe von so vielen Menschen entstanden ist", betonte Oberbürgermeister Christian Schuchardt bei seiner Begrüßung: "Es ist ein wachsendes Denkmal, und ich gehe davon aus, dass wir noch viele Eröffnungen haben werden." Insgesamt sind durch die Erweiterung jetzt 103 ehemalige jüdische Kultusgemeinden aus Unterfranken am DenkOrt Deportationen repräsentiert.
An der Einweihung mit den ersten 47 Gepäckstücken konnten im vergangenen Jahr wegen der gerade erst beginnenden Corona-Pandemie nur 50 Personen teilnehmen – auch deshalb gab es jetzt die zweite Eröffnung mit den Vertretern der beteiligten Gemeinden. "Damit ist das wahrlich ein gesamt-unterfränkischer Ort, von dem aus sich das Denkmal ausbreitet und auch eine breite Verankerung findet", so Schuchardt.
Immer mehr Orte beteiligen sich am Mahnmal
Erst vor wenigen Tagen wurde in Bad Kissingen ein Koffer aufgestellt. "Ich freue mich sehr, dass sich immer mehr Orte an diesem Mahnmal beteiligen", sagte Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden. Er erinnerte daran, dass die Ermordung der jüdischen Bevölkerung zwischen 1933 und 1945 unter den Augen von Millionen von Deutschen geschah, "die weggesehen haben, als ihre jüdischen Nachbarn jahrelang drangsaliert wurden und schließlich über Nacht verschwanden".
Der vom Würzburger Architekten Matthias Braun entworfene und errichtete DenkOrt wurde bereits mit dem Kulturpreis der Bayerischen Landesstiftung, mit der Kulturmedaille der Stadt Würzburg und mit einem Sonderpreis bei dem nach Antonio Petrini benannten städtischen Bauherren-Preis ausgezeichnet. "Die hohe Anerkennung dieses Erinnerungsprojekts ist auch eine Auszeichnung für alle Gemeinden, die daran mitgewirkt haben", betonte der OB.
DenkOrt ermöglicht Blick in die Vergangenheit und Bezug zur Gegenwart
Der DenkOrt ermögliche einen Blick in die Vergangenheit, habe aber auch einen Bezug zur Gegenwart. Die Zunahme antisemitisch motivierte Straftaten von der Hassrede im Internet über Mordanschläge bis zur Holocaust-Relativierung bei Querdenker-Kundgebungen zeige deutlich, "wie notwendig es ist, die Erinnerung an die ungeheuren Verbrechen wachzuhalten, zu denen dieser menschenverachtende Ungeist in unserem Land schon einmal geführt hat".
Als Vertreter der unterfränkischen Landrätinnen und Landräte nannte Florian Töpper aus Schweinfurt den DenkOrt ein "bedeutendes Zeichen für den Willen zur Erinnerung an unvergleichliches Unrecht, an nicht fassbare Grausamkeit, an nicht wiedergutzumachende Verluste für ganz Unterfranken."
Danke für Ihren Hinweis!
Dann habe ich mit meiner Bezugnahme auf die 2.069 Deportationsopfer in Ihrem Fall Eulen nach Athen getragen.
Dafür bitte ich um Entschuldigung.
Aber auch um Verständnis:
Jemand hatte im ersten Kommentar zu diesem Artikel die Formulierung "GELD verbrennen" verwendet. Das war entweder seltsam unbedacht oder ein deutliches Signal aus der antisemitischen Hundepfeife!
Dieser Kommentar wurde gelöscht, aber der Ungeist lässt sich nicht so leicht aus der Welt schaffen.
Wenn wir heute DenkOrte gegen diese Hass-Ideologien einrichten und pflegen, dann geht es ganz wesentlich um die bis heute persistierenden Strukturen des Hasses – und um deren Opfer in unseren Tagen.
Es geht um Erinnerung, aber auch um unsere Bereitschaft, aufmerksam zu bleiben, Signale ernst zu nehmen - und bei Bedarf entschieden zu handeln.
Solange es uns nicht gelingt, durch Erziehung und Information dieses asoziale Grundübel unwirksam zu machen, müssen wir gemeinsam dagegen arbeiten.
Danke!
https://www.youtube.com/watch?v=S8_D0cKM1T8
Hervorragend!
Diese Art der Gestaltung des Ortes von Matthias Braun, zur Erinnerung und Mahnung im Würzburger Alltag, ermöglicht einen leichten Zugang zu einem unfassbaren, schmerzhaften und bedrückenden Thema. Ich habe in Deutschland bisher noch keinen Erinnerungsort erlebt, der im Alltag so offen und präsent die Auseinandersetzung mit dieser Zeit auf einer so leichten Ebene ermöglicht. Dafür mein aufrichtiger Dank an die Initiator*innen und dem Künstler!
gerade ihre Einlassung zeigt, wie wichtig es ist, immer wieder auf diesen Teil unserer deutschen Geschichte hinzuweisen, denn es gibt ganz offensichtlich immer noch und schon wieder zuviele Menschen, die gerne unter den Teppich kehren würden, was im sogenannten Dritten Reich geschehen ist.
Umso wichtiger ist es, vielleicht gerade für jungen Menschen, über ein Denk mal! zu stolpern und sich und anderen Fragen zu stellen.
Ich finde diesen Denkort richtig gut - "Scheinheiligkeit" ist hier gänzlich fehl am Platz!
Antwort: Ja! Leider.
Zehranur Manzak (--> Kommentar von dalle-tv) kann das tadellos erklären.
Falls neun Minuten für aufmerksames Zuhören aufgebracht werden können.
Frau Manzak nennt das Mahnmal einen „DenkOrt gegen den Hass.“
Von dieser Qualität könnten wir noch ein paar mehr brauchen, in unserem schönen Deutschland.
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@Einwohner
Musste es wirklich diese abwertende Wortprägung „Kofferaktion“ sein?
Vielleicht lesen Sie mal ein paar Zeilen zum Thema:
https://wuerzburgwiki.de/wiki/Deportation_der_Juden
„Von 2.069 Menschen, die in Würzburg und Kitzingen in die Züge getrieben wurden, überlebten nur 63 den Holocaust.“
Die „Koffer“ stehen für 2.069 Menschen, sowie für deren Familien und Angehörige.
Und sie stehen für Millionen von Opfern der manigfalt-bösen Ideologien des Hasses: Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, ...
Diese Wahn-Ideen sind auch heute mitten unter uns.
Gemeint war natürlich @Erding.