Dieser Montag, 2. Mai, ist für bayerische Viertklässlerinnen und Viertklässler ein entscheidender Tag: Die Kinder bekommen ihr Übertrittszeugnis für die weiterführende Schule. Gewertet werden dafür nur die Fächer Deutsch, Mathematik sowie Heimat- und Sachunterricht. Auf der Basis dieser drei Noten wird ein Schnitt errechnet. Ist er besser als 2,33, gibt es eine Übertrittsempfehlung fürs Gymnasium. Für eine Realschul-Empfehlung brauchen die Kinder einen Schnitt, der besser ist als 2,66.
Dass in Bayern - anders als in den meisten anderen Bundesländern - die Empfehlungen nicht nur eine Orientierung für die Eltern darstellen, sondern verbindlich sind, ist im Freistaat seit Jahren ein Aufregerthema. In diesem Jahr allerdings ärgern sich unterfränkische Betroffene über die strikte bayerische Übertrittsregelung noch mehr als sonst. Der Grund: Corona.
Sind Noten aussagekräftig nach Lockdowns, Wechselunterricht und Quarantäne-Ausfällen?
"Mein Sohn hatte doch seit der zweiten Klasse keinen geregelten Unterricht mehr!", empört sich ein Vater aus der Region, dessen Kind die erwünschte Gymnasialempfehlung eventuell verpasst. Der Mann verweist auf den ersten bayerischen Lockdown von März 2020 bis Mai 2020, auf den zweiten Lockdown für Grundschülerinnen und -schüler von Mitte Dezember 2020 bis Ende Februar 2021 sowie auf "das Chaos mit der Quarantäne seither".
Der Grundschulstoff sei wegen der Pandemie nicht so gut vermittelt und geübt worden wie in Vor-Corona-Jahren, argumentiert der Vater. "In so einer Ausnahmesituation sind Noten nicht aussagekräftig!" Dass die Schulkarriere seines Sohnes dennoch vom Notenschnitt abhängt, kann er nicht verstehen.
Auf die Frage, ob Kinder den verpassten Lernstoff nicht in den von den Schulen organisierten Brückenkursen aufholen konnten, sagt eine Würzburger Mutter: "In unserer Schule gab es keine Aufholkurse. Unsere Klassenlehrerin war monatelang krank. Den Stoff, den meine Tochter in der zweiten und dritten Klasse verpasst hat, versuchen wir mit einem Nachhilfelehrer aufzuholen."
Doch nicht alle Väter und Mütter haben Geld für Nachhilfe. In Gesprächen bedauern manche Viertklässler-Eltern, dass sie selbst in den monatelangen Homeschooling-Phasen ihre Kinder "nicht optimal unterrichtet hätten". Einige sagen: "Es ist schlimm, dass unsere Kinder das jetzt ausbaden müssen, weil ihre Übertrittsnoten sicher nicht so sind, wie sie es ohne Corona wären."
Bayerns größter Lehrerverband fordert Freigabe des Elternwillens beim Übertritt
Nicht nur diese stichprobenartig befragten Eltern aus Unterfranken plädieren deshalb nach den Pandemiejahren für eine Freigabe des Elternwillens beim Übertritt. Position bezogen hat auch der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV). Die Verantwortung für die Wahl der weiterführenden Schule gehöre in die Hände der Eltern, fordert BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann.
Schon seit Jahren vertritt der BLLV die Meinung, dass die Fokussierung auf die Übertrittsnoten in der Grundschule der individuellen Sicht auf die Lernprozesse von Kindern widerspricht. Der Druck, nur bloß ein gutes Übertrittszeugnis zu erzielen, beeinflusse das Lernverhalten und die seelische Gesundheit der Kinder negativ. "Corona hat diese Effekte weiter verstärkt", sagt Fleischmann. "Dass die Politik nicht einmal in dieser Ausnahmesituation in der Lage ist, die starren Muster zu verlassen und vom klassischen und eh schon nicht validen Übertrittszeugnis abzurücken, ist mir ein Rätsel."
Bayerns Kultusministerium sieht keine Notwendigkeit, das Übertrittssystem zu ändern
Bayerns Kultusministerium sieht auch nach zwei Jahren Pandemie keine Notwendigkeit, am Übertrittssystem etwas zu ändern. "Ein Schulversuch zur Änderung des Übertritts ist von Seiten des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus (. . .) nicht angedacht", teilt Pressesprecher Michael Kern auf Anfrage dieser Redaktion mit. Die "bewährte Übertrittsphase und ihre Instrumente" seien aber zuletzt "mit Bedacht weiterentwickelt" worden. So sei die Elternberatung intensiviert und die Anzahl der Proben zum Übertrittszeugnis in Jahrgangsstufe vier reduziert worden – von ursprünglich 22 auf aktuell 18.
Viertklässler ohne Übertrittsempfehlung können in den Probeunterricht
Viertklässlerinnen und Viertklässler, die fürs Gymnasium oder die Realschule keine Übertrittsempfehlung bekommen haben, können am Probeunterricht teilnehmen. Die Anmeldung dafür erfolgt vom 9. bis 13. Mai direkt bei den gewünschten Schulen; dort wird in der Regel auch der Probeunterricht durchgeführt und zwar vom 17. bis 19. Mai. Doch die Teilnahme bedeutet noch keine Eintrittskarte für die gewünschte Schulart – den Probeunterricht an Gymnasien besteht in Bayern nur ungefähr die Hälfte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, an Realschulen nur rund ein Drittel. Die Aufgaben werden zentral gestellt.
Weil wegen coronabedingter Unterrichtsausfälle unklar ist, ob in allen Grundschulen der Stoff, der im Probeunterricht drankommt, abgedeckt wurde, gibt es seit vergangenem Jahr eine Zusatzvorgabe: Laut Ministerium nehmen die Grundschulen am Tag des Probeunterrichts Einblick in die Aufgaben, um herauszufinden, ob alle Inhalte erarbeitet wurden.
Das Verfahren für den Probeunterrichts ist extrem aufwendig
Als "aufwendig" hat dieses Verfahren Andrea Kotzbauer erlebt; sie ist stellvertretende Leiterin der Realschule Karlstadt (Lkr. Main-Spessart) sowie unterfränkische Bezirksvorsitzende des Bayerischen Realschullehrerverbands. "Letztes Jahr hatten wir rund ein Dutzend Kinder aus verschiedenen Grundschulen zum Probeunterricht hier", so Kotzbauer; "gleichzeitig haben deren Lehrkräfte die vier Aufgabenseiten pro Fach durchgeschaut, um herauszufinden, ob der Prüfungsstoff überhaupt durchgenommen wurde, und uns informiert."
Bei der Bewertung der Probeaufgaben hätten dann nicht behandelte Aufgabenteile herausgerechnet werden müssen; der Bewertungsschlüssel sei jeweils entsprechend angepasst worden. So wird das laut Kotzbauer auch in diesem Jahr gehandhabt. Was der Vize-Realschulleiterin heuer bei Elterngesprächen aufgefallen ist: "Viele Eltern wissen nicht, wo ihr Kind steht; bei Informationsgesprächen stand auffällig oft die Frage nach der Möglichkeit von Zusatz- oder Förderunterricht im Raum."
Und mal ehrlich, was bringt's jetzt die Noten außer Kraft zu setzen und nur noch den Elternwillen zählen zu lassen? Dann landen 80% der Kinder auf dem Gymnasium - und gehen da gnadenlos unter! Es ist doch für ein Kind frustrieren, wenn es zwar auf dem Gymnasium ist - dann aber nur schlechte Noten nach Hause bringt, oder? Spätestens im Gymnasium ist es dann nämlich egal, wie die zwei Corona-Jahre in der Grundschule waren, da heißt es dann nur: Friss oder stirb! Oder beginnt dann das Gejammer, dass die Anforderungen im Gymnasium doch zu hoch sind, und da abgespeckt werden müsste?
Das bayer. Schulsystem ist doch inzwischen so durchlässig geworden - wer möchte, kann auch nach der fünften Klasse noch aufs Gymnasium wechseln.
Ich hab da in der Nachbarschaft so ein Kerlchen, das nahmen seine Eltern nach der achten Klasse endlich vom Gymnasium und dann war er "eine Stufe tiefer" der Gescheiterte - und das auch in den Augen der Verwandt- und Bekanntschaft - und auch dort schleppt er sich lustlos durch die Schule.
aber von irgendwo müssen ja die "Human Resources" für die Niedriglöhner-Jobs herkommen, damit die Wirtschaft nicht zusammenbricht, oder?
(Sarkasmus: wieder aus)
Vor vielen Jahren hat die OECD schon mal angemerkt, dass in Deutschland ein besonders ausgeprägter Zusammenhang zwischen dem Bildungserfolg der Kinder und dem sozialen Status der Eltern besteht. Bildungspolitik scheint aber in D immer noch darin zu bestehen, Ungerechtigkeiten zu zementieren statt allen gleiche Chancen einzuräumen - wer kein Geld hat, hat Pech gehabt und kriegt auch weniger bis keine Gelegenheit, das zu ändern. Grenzt ja schon beinahe an ein Wunder, dass wenigstens das unsägliche Büchergeld wieder in die Tonne getreten wurde...
Die Schule war von März 2020 bis Juli 2020 so gut wie komplett geschlossen. Die Lehrer waren mit dieser Situation selbst völlig überfordert.
Am Ende gab es ein paar Wochen "Wechselunterricht" mit halber Besetzung (sofern nicht doch ganz geschlossen war) - selbst das Zeugnis musste mein Enkel vom "Homescooling" aus abholen - die geliebte Lehrerin hat es den Schülern vor der Schule mit Abstand und Maske (und ohne große Verabschiedung - in der dritten Klasse war Lehrerwechsel) ausgehändigt.
Später gab es "verlängerte Weihnachtsferien" - die dann gleich mit dem nächsten Lockdown bis Ostern weiter verlängert wurden.
Von Gemeinschaftsveranstaltungen wie "Ausflug, Exkursionen, Gottesdienste, Theateraufführungen, Chor, Theaterbesuch, Schwimmunterricht..." haben diese Kinder überhaupt nichts mitbekommen.
die "Kinder" merken das dann auch erst, wenn sie aus der Schule kommen, sich bewerben und erzählt kriegen, ohne zumindest einen Realschulabschluss brauchen sie sich (hier) keine Hoffnungen zu machen...