
Erst 15 Grad und Sonnenschein, dann plötzlich wieder Frost: Im Frühjahr schlägt das Wetter oft Kapriolen und manche sagen, sie merken das in den Knochen. Doch stimmt das? Können Menschen Wetterumschwünge spüren - oder ist das ein Aberglaube?
Wetterfühligkeit ist keine Einbildung, sagt der Würzburger Geriater Dr. Michael Schwab. Sie sei sogar nachweisbar. Im Interview erklärt der Chefarzt am Bürgerspital Würzburg, was es mit schmerzhaften Temperaturstürzen und dem bangen Blick auf den Wetterbericht auf sich hat - und wie sich Widerstandskraft trainieren lässt.
Dr. Michael Schwab: Selbstverständlich gibt es zwischen Mensch und Umwelt Interaktionen. Und im Prinzip meint der Begriff Wetterfühligkeit genau das. Wetter ist ein physikalischer Reiz und kann zu Reaktionen führen. Dahinter steckt mehr als subjektives Empfinden: Man weiß aus der Tierwelt, dass Pferde auf Wetterstürze reagieren – sie bekommen Kreislaufprobleme, es gibt sogar den tödlichen Verlauf einer Wetterkolik. Es ist normal, dass wir auf Wetter reagieren. Der Deutsche Wetterdienst gibt sogar eine eigene Vorhersage für Wetterfühlige mit bestimmten Gefahrenindizes heraus.
- Hier finden Sie die Karte zu Gefahrenindizes für Wetterfühlige des DWD
Schwab: Man muss unterscheiden. Im Grunde reagiert jeder auf Wetter, das sind die normalen Wetterreaktionen. Das merken wir besonders, wenn es sehr heiß oder sehr kalt ist. Es gibt aber auch Menschen, die extrem reagieren und deren Befinden durch das Wetter negativ beeinflusst wird – das meint man mit Wetterfühligkeit. Das ist in der Volkskunde und Erfahrungsmedizin weit verbreitet.
Schwab: Zur Wetterfühligkeit gab es in den letzten Jahren viele Untersuchungen. Und ja, es gibt Belege für Zusammenhänge zwischen Erkrankungen und Wetter. Der Auslöser sind meist Wetteränderungen, beispielsweise der Umschlag von einem Hochdruck- auf ein Tiefdruckgebiet oder Temperaturstürze. Bekannt ist das zum Beispiel bei Migräne-Patienten: Hier korreliert das Auftreten der Migräne oft mit Temperaturschwankungen. Auch für Arthrose, Arthritis oder entzündliches Rheuma gibt es Nachweise, dass Wetterumschwünge die Erkrankung verstärken oder die Symptome wie Schmerzen verschlechtern. Ein extremes Beispiel ist übrigens das Thunderstorm-Asthma.
Schwab: 2016 haben Forscher in Melbourne nachgewiesen, dass durch ein anstehendes Gewitter Asthmapatienten schwer erkrankt sind. Damals mussten 8500 zusätzliche Asthmafälle im Krankenhaus behandelt werden. Laut Untersuchungen lag das daran, dass Pollen durch die besondere Wetterlage nach unten auf die Erdatmosphäre gedrückt und zerkleinert wurden. So konnten sie besser in die Lunge eindringen.

Schwab: Was man kennt, ist der Hitzedurchfall. Das autonome oder vegetative Nervensystem sorgt dafür, dass das Herz schlägt, der Darm funktioniert, die Gefäße reguliert werden – und es reagiert auf physikalische Reize. Herzinfarkte treten zum Beispiel bei koronarkranken Personen bei sehr niedrigen und sehr hohen Temperaturen häufiger auf. Das ist ein Basiswissen in der Medizin. Warum? Ein Herzinfarkt ist ein Verschluss eines Herzkranzgefäßes. Und Gefäße ziehen sich eben bei Kälte zusammen. Und bei sehr hohen Temperaturen muss das Herz mehr arbeiten.
Schwab: Wetterumschwünge sind bei Wetterfühligkeit sehr typisch. Es gibt aber auch Reaktionen, die durch Dauerreize erfolgen. Hitzeperioden machen oft Probleme: Wird mehr als drei Tage eine bestimmte Temperatur überschritten, reagieren Menschen anders, als wenn es sie nur einen Hitzetag wegstecken müssen.
Schwab: Die Psyche spielt immer eine Rolle. Aber die Idee, Wetterfühligkeit sei Einbildung, ist völliger Unsinn. Wetterfühligkeit gibt es und sie ist bei Tieren und Menschen nachweisbar. Aber manchmal ist das, was man als Wetterfühligkeit empfindet, ein zufälliger Zusammenhang, der sich verfestigt. Problematisch ist, dass sich bei ängstlichen Menschen allein durch den geglaubten Zusammenhang Wetterreaktionen verstärken können. So weit, dass die Schmerzen schon einsetzen, wenn sie nur den Wetterbericht lesen. Die Angst verstärkt den Reiz.
Schwab: Studienergebnisse zeigen eindeutig, dass Depressionserkrankungen im Herbst gehäuft auftreten – und interessanterweise auch im Frühling. Also, wenn sich das Wetter ändert.
Schwab: Da sind wir wieder bei der physikalischen Reaktion, die völlig unterschätzt wird: Das Auge und das Gehirn brauchen stimulierende Reize - wie Licht. In Innenräumen erreichen wir mit künstlichen Lichtquellen maximal 1000 Lux, draußen kommt man bei Sonnenschein sicher auf 100.000 Lux. Das macht etwas mit uns. Das beeinflusst unsere Stimmung und das Müdigkeitsempfinden, die Schlafregulation, positiv. Ohne Licht fehlt ein Reiz, der wach macht.
Schwab: Im Grunde ist es so: Im Körper laufen manche Reaktionen aus dem Ruder, weil wir nicht gut reguliert sind. Ursprünglich ist der Mensch dafür gedacht, draußen zu sein und 20 bis 30 Kilometer pro Tag zu laufen. Wir leben jedoch quasi in Stallhaltung, fahren mit dem Auto ins Büro und sitzen abends vor dem Fernseher auf dem Sofa. Das ist nicht die Biologie des Menschen. Wir haben verlernt, mit Wetterreizen umzugehen. Die gute Nachricht ist: Man kann das einfach trainieren. Hinausgehen, sich möglichst viel im Freien, im Licht, an der frischen Luft bewegen!