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Würzburg
Hoffnung für Arthrose-Patienten: Wie Würzburger Forscher aus Nasenzellen Knie-Implantate züchten
Ein kaputtes Knie könnte künftig geflickt werden - mit einem winzigen Stück Gewebe aus der eigenen Nase. Wie funktioniert das? Und können so künstliche Prothesen ersetzen werden?
Für Arthrose-Patienten sind Schmerzen im Knie Alltag. Wissenschaftler der Uniklinik Würzburg untersuchen, wie sich mit Knorpel aus der Nase Gelenkverschleiß im Knie behandeln lässt. (Symbolbild)
Foto: Getty Images | Für Arthrose-Patienten sind Schmerzen im Knie Alltag. Wissenschaftler der Uniklinik Würzburg untersuchen, wie sich mit Knorpel aus der Nase Gelenkverschleiß im Knie behandeln lässt. (Symbolbild)
Susanne Schmitt
 |  aktualisiert: 15.07.2024 19:45 Uhr

Ein kaputtes Knie mit einem Stück aus der Nase flicken? Geht es nach Dr. Oliver Pullig und Dr. Sarah Nietzer könnte das für Patienten mit Knie-Arthrose in einigen Jahren Realität sein.

Die beiden Würzburger Wissenschaftler untersuchen in zwei Studienprojekten, wie sich mit körpereigenem Knorpel aus der Nase Gelenkverschleiß im Knie behandeln lässt. Nur: Ist das eine echte Alternative zur künstlichen Prothese – und wie genau soll das funktionieren?

Der Nase-Knie-Knorpel ist ein Arzneimittel - nur eben aus menschlichen Substanzen

Die Operation Nase-ins-Knie beginnt in der Nase. In einer HNO-Klinik wird den Patienten zunächst ein Stück Nasenscheidewand entnommen, sieben mal sieben Millimeter klein, erklärt Oliver Pullig. In einer Transportlösung gelangt das winzige Gewebestück zu ihm und seiner Kollegin Sarah Nietzer.

Die beiden Biologen arbeiten am Lehrstuhl für Tissue Engineering und Regenerative Medizin der Universitätsklinik Würzburg. In dem Gebäude am Röntgenring wechseln sich Labore und Büroräume ab. Hier entwickeln die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus menschlichen Zellen verschiedene Gewebearten – wie den Nase-Knie-Knorpel.

Um Verunreinigungen zu vermeiden, arbeiten die Forscherinnen und Forscher im Reinraum unter sterilen Bedingungen.
Foto: Oliver Pullig, TERM Universitätsklinikum Würzburg | Um Verunreinigungen zu vermeiden, arbeiten die Forscherinnen und Forscher im Reinraum unter sterilen Bedingungen.

"Am Ende ist das Produkt, das wir herstellen, ein Arzneimittel", sagt Pullig. Nur eben nicht aus chemischen, sondern aus menschlichen Substanzen. "Es darf keine Verunreinigungen geben", sagt Nietzer. Deshalb stehen die technischen Assistenten und Assistentinnen "komplett vermummt" mit Schutzanzug, Maske und zwei Lagen Handschuhen im Reinraum. Unter sterilen Bedingungen zerschneiden sie das Nasengewebe, lösen die Zellen mit einer Verdaulösung aus der Knorpelmatrix, waschen sie und säen sie in einer Kulturflasche aus.

Auf einer Membran bilden die Zellen in den Würzburger Laboren neuen Knorpel

Zwei Wochen lang dürfen sie sich dann vermehren, sagt Pullig. "Am Ende haben wir eine ausreichende Zellzahl, die wir als Ausgangsmaterial für das Implantat nutzen." Die Zellen werden auf eine Membran gegeben und beginnen dort, neuen Knorpel zu bilden. Nach etwa vier Wochen komme der Tag, "vor dem wir Bauchschmerzen haben", sagt Pullig. Die Qualitätskontrolle, der Test, wie gut das Implantat gewachsen ist.

Dr. Oliver Pullig und Dr. Sarah Nietzer (beide vom Lehrstuhl für Tissue Engineering und Regenerative Medizin) leiten an der Uniklinik Würzburg die Forschungsprojekte zum Knie-Implantat aus Nasenzellen.
Foto: Johannes Kiefer | Dr. Oliver Pullig und Dr. Sarah Nietzer (beide vom Lehrstuhl für Tissue Engineering und Regenerative Medizin) leiten an der Uniklinik Würzburg die Forschungsprojekte zum Knie-Implantat aus Nasenzellen.

Vorhersehbar ist das nicht. "Lebende Zellen reagieren immer anders", sagt Pullig. In einer ersten Vor-Studie seien Knorpel-Implantate für rund 100 Patienten erzeugt worden. "Überwiegend" funktionierte das gut, bei einem Teilnehmer fiel das Implantat jedoch durch.

Bei der Qualitätskontrolle wird ein Querschnitt des Implantats eingefärbt und unter dem Mikroskop untersucht. Sarah Nietzer zeigt auf dem Bildschirm ihres Computers ein körniges, rotes Band: den entstandenen Knorpel. Ist dieser dick genug und gleichmäßig aufgebaut, "darf das Implantat ins Knie", sagt Nietzer.

"Wenn alles gut läuft, könnte unser Implantat nach sieben Jahren als Produkt zur Verfügung stehen."
PD Oliver Pullig, Biologe am Lehrstuhl für Tissue Engineering und Regenerative Medizin in Würzburg

Gut eine Stunde dauere diese Operation, erklärt Pullig. Das Knie werde geöffnet, der defekte Knorpelbereich abgetragen und das Implantat aus den Nasenzellen in derselben Größe aufgesetzt und angenäht. Ähnlich einem Pflaster, das auf eine Wunde geklebt wird.

Bei den Teilnehmern der Vorstudie sei der Eingriff sehr gut verlaufen, so Pullig. Langzeitdaten fehlten zwar noch, in der Zwischenauswertung seien die Patientinnen und Patienten aber zufrieden, teilweise auch begeistert gewesen. Ihr Produkt sei "mindestens so gut" wie andere künstliche oder biomedizinische Implantate, sagt Pullig.

Zudem gebe es zwei klare Pluspunkte: "Nasenzellen vermehren sich extrem gut", sagt der Biologe. So ließen sich vergleichsweise große Implantate herstellen. Und: Anders als Knorpelzellen aus dem Knie wachsen Nasenzellen auch bei älteren Patientinnen und Patienten über 55 Jahren noch gut.

Der Nasenknorpel wird zerkleinert und die Zellen daraus isoliert.
Foto: Oliver Pullig, TERM Universitätsklinikum Würzburg | Der Nasenknorpel wird zerkleinert und die Zellen daraus isoliert.

Ist der Nasen-Knie-Knorpel also in der Zukunft ein Ersatz für künstliche Kniegelenke? Nein, sagt Pullig. Wenn das Knie komplett kaputt ist, führe an einem künstlichen Gelenk wohl kein Weg vorbei. Aber bei kleinen, mittleren und fortgeschrittenen Knorpelschäden könnte das Implantat aus Nasenknorpel helfen.

Insgesamt sollen rund 225 Patienten mit Arthrose behandelt werden

In der Vorstudie wurde das an Patienten mit eng umrissenem Knorpelschaden, etwa wegen einer Sportverletzung, erprobt. "Jetzt gehen wir einen Schritt weiter", sagt Pullig. In den beiden aktuellen Studienprojekten werden rund 225 Patienten mit patellofemoraler Arthrose behandelt, Menschen also, die größere Knorpelschäden auf der Rückseite der Kniescheibe und am gegenüberliegenden Oberschenkelknochen haben.

Die Universitätsklinik Würzburg fungiert dabei neben Basel als Herstellungszentrum für das Nasen-Knie-Implantat. Das Nasengewebe werde Patienten an verschiedenen klinischen Zentren in sieben europäischen Ländern entnommen, sagt Nietzer. Logistisch und organisatorisch eine "Mammutaufgabe".

Die Biologin Dr. Sarah Nietzer zeigt die winzigen Querschnitt-Stücke eines fertigen Implantats, die für die Qualitätskontrolle eingefärbt und unter dem Mikroskop untersucht werden.
Foto: Johannes Kiefer | Die Biologin Dr. Sarah Nietzer zeigt die winzigen Querschnitt-Stücke eines fertigen Implantats, die für die Qualitätskontrolle eingefärbt und unter dem Mikroskop untersucht werden.

Wenn zum Beispiel Nasengewebe unter isolierten Bedingungen von Zagreb nach Unterfranken gebracht werden müsse und vier Wochen später das fertige Implantat auf demselben Weg zurück, "ist das eine Herausforderung", sagt Nietzer. "Das Implantat ist nur drei Tage haltbar – innerhalb dieser Zeit muss es eingesetzt sein." 

Wichtig ist: Das Implantat wird immer aus den eigenen Zellen des Patienten hergestellt - niemand bekommt Nasenzellen eines anderen Menschen ins Knie. Anders als zum Beispiel bei Organspenden ist die Gefahr von Abstoßungsreaktionen somit laut Nietzer gering.

Fünf Jahre dauern die Studien, danach wird die Zulassung bei der Arzneimittelagentur beantragt

Noch stecken die beiden Würzburger Wissenschaftler mitten in den Vorbereitungen. Auf fünf Jahre sind ihre beiden Studien ausgelegt. Danach stünde die Auswertung und der Antrag auf Zulassung bei der europäischen Arzneimittelagentur an. "Wenn alles gut läuft, könnte unser Implantat nach sieben Jahren als Produkt zur Verfügung stehen", sagt Pullig.

Spätestens im Januar 2025 aber wollen er und Sarah Nietzer mit den Studien starten. Dann könnte den ersten Patienten ein Stück Nasenscheidewand entnommen werden. Ein besonderes Risiko gebe es für die Studienteilnehmer nicht, sagt Pullig. Auch das Einsetzen des gezüchteten Knorpels laufe letztlich wie eine normale Knie-OP ab. Nur haben die Patienten statt einem künstlichen Implantat dann eben ein Stück Nase im Knie.

Encanto-Projekt und Arthrose-Studie

Das sogenannte Encanto-Projekt (Englisch: Engineered Cartilage from Nose for the Treatment of Osteoarthritis) untersucht, wie sich mit künstlich hergestelltem Knorpel aus der Nase degenerativer Gelenkverschleiß im Knie behandeln lässt. Aufgenommen werden Patienten mit patellofemoraler Arthrose (Knorpelschäden an der Rückseite der Kniescheibe und am Oberschenkelknochen).
Die Universitätsklinik Würzburg ist neben Basel eines der beiden Herstellungszentren der Implantate. Das Projekt wird von der EU mit 11,3 Millionen Euro gefördert, nach Würzburg gehen aus diesem Topf rund 1,88 Millionen Euro.
Daneben läuft eine parallele Studie zur Behandlung von Patienten mit Knie-Arthrose am Uniklinikum Würzburg. Diese wird vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert und bringt den Würzburger Forschern weitere 415.000 Euro.
Geleitet werden beide Projekte in Würzburg von Dr. Sarah Nietzer, Biologin am Lehrstuhl für Tissue Engineering und Regenerative Medizin (TERM), und Privatdozent Dr. Oliver Pullig, Biologe am TERM und Leiter der Arbeitsgruppe „GMP-konforme ATMP-Entwicklung“.
Quelle: UKW/sp
 
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