
Chia Rabiei weint vor Freude, als er das Urteil des Richters hört: Er darf in Deutschland bleiben. Das hat das Verwaltungsgericht Würzburg an diesem Montag entschieden. Es gibt Rabieis Klage gegen die Ablehnung seines Asylantrag statt.
Dem Kurden hatte die Abschiebung in den Iran gedroht, nachdem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) seinen Antrag auf Asyl im September 2022 abgelehnt hatte. In Würzburg ist Chia Rabiei als "Mann mit dem Rucksack" bekannt. Am 25. Juni 2021 hatte er bei der Messerattacke am Barbarossaplatz sein Leben riskiert, um andere Menschen vor dem psychisch kranken Täter zu schützen. Drei Frauen starben bei dem Angriff, etliche Passantinnen und Passanten wurden verletzt.
Rabiei, der mutige Helfer, war bereits zur Ausreise aufgefordert worden. Doch Anwalt Roj Khalaf hat vor dem Verwaltungsgericht in Würzburg Klage gegen die ablehnende Entscheidung des BAMF eingelegt. An diesem Montag fand die mündliche Verhandlung statt. Man müsse sich anschauen, was gegen die Rückkehr des 43-Jährigen in den Iran sprechen, sagte Richter Wolfgang Müller zu Beginn. "Allein, dass Sie verhindert haben, dass Leute in Deutschland erstochen werden, ist kein Grund", wandte er sich an den Kläger mit Verweis auf das Asylrecht.
BAMF: Integrationsleistungen darf nicht berücksichtigt werden
Auch die Tatsache, dass der 43-Jährige Deutsch spricht, einen Job als Küchenhilfe hat und in Würzburg zur Miete wohnt, spielt vor Gericht keine Rolle. Für seine Zivilcourage hat Rabiei mehrere Auszeichnungen erhalten, darunter die Bayerische Rettungsmedaille. Doch das Bundesamt prüft im Asylverfahren ausschließlich, ob und welche Gefahr dem Asylsuchenden bei Rückkehr in sein Herkunftsland droht. "Integrationsleistungen kann und darf das Bundesamt bei der Entscheidung im Asylverfahren nicht berücksichtigen", sagt BAMF-Sprecher Jochen Hövekenmeier.
Chia Rabiei war 2019 vom Iran nach Italien geflogen. Eigentlich habe er nur Urlaub in Mailand machen wollen, schilderte er im Gespräch mit dieser Redaktion, spontan sei er nach Deutschland weitergereist. Er beantragte im November 2019 Asyl, weil er der im Iran unterdrückten Volksgruppe der Kurden angehört. Zunächst war Rabiei im Ankerzentrum in Bamberg untergebracht, später in einer Flüchtlingsunterkunft in Würzburg.
Im Juli 2022 fand die persönliche Anhörung beim BAMF statt, bei der Antragssuchende ihre Lebensumstände darstellen und den Reiseweg schildern. Außerdem werden sie zu ihrem Verfolgungsschicksal befragt sowie zu ihrer Einschätzung, welche Umstände, sie bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland erwarten.
Rabiei war selbst im Iran nicht verfolgt worden und gab das bei der Anhörung seinem Anwalt Roj Khalaf zufolge auch so an. Mitte September 2022 bekam Rabiei den Bescheid: Asylantrag abgelehnt.

"Meine Schwiegermutter war politisch aktiv", sagt Rabiei an diesem Montag vor dem Verwaltungsgericht. Sie habe im Iran nachts Flugblätter verteilt. Er habe zu der Zeit als Taxifahrer gearbeitet und die Schriften transportiert, ohne von deren politische Brisanz zu wissen: "Ich dachte, sie macht Werbung für ihren Friseursalon". Als er bereits in Deutschland war, habe er von der Schwiegermutter erfahren, dass der Geheimdienst nach ihr suchen würde und auch ihn im Blick habe. Er sei mit der Regierung in seinem Herkunftsland "nicht zufrieden", sagt der 43-Jährige vor Gericht. Sein Anwalt gibt zu: "Die politische Verfolgung ist überschaubar."
Bohrende Nachfragen zum christlichen Glauben und der Konvertierung des Klägers
Anders sieht es Khalaf zufolge mit einer Verfolgung aus religiösen Gründen aus: Rabiei wurde als Muslim geboren. In Würzburg kam er mit einer freien christlichen Gemeinde in Kontakt und konvertierte er zum Christentum - "weil das mein Weg ist".
Richter Wolfgang Müller fragt bohrend nach: Wann hat sich der Kurde erstmals mit dem Christentum beschäftigt? Wie ist der Kontakt zu der Gemeinde zustande gekommen? Wie oft geht er in den Gottesdienst? Kann er sich die Rückkehr zum Islam vorstellen? Müller lässt durchblicken, dass sich manche Asylsuchende vom Übertritt zum Christentum Vorteile im Asylverfahren versprechen. Bei Rabiei will er eine "asyltaktische Taufe" ausschließen.
"Angenommen Sie landen in Teheran und man fragt sie nach ihrer Religion - was würden Sie antworten?", fragt der Richter weiter. "Das wird nicht passieren", geht Anwalt Khalaf dazwischen. Sein Mandant kann seine zunehmende Anspannung kaum verbergen.
Abschiebungen aus Deutschland in den Iran waren nach dem Beginn der Proteste in der Islamischen Republik im September 2022 nicht komplett ausgesetzt worden. Die Innenministerkonferenz hatte sich Ende November aber darauf verständigt, "dass angesichts der gegenwärtigen katastrophalen Menschenrechtssituation im Iran bis auf Weiteres keine Abschiebungen in den Iran durchgeführt werden". Das Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführungen teilte zuletzt mit: "Nach sorgfältiger Einzelfallprüfung wird bei Gefährdern oder schweren Straftätern eine Rückführung weiterhin als geboten angesehen."
Überraschend schnelles Urteil des Verwaltungsgerichts
Nach kurzer Verhandlung am Vormittag zieht sich der Würzburger Verwaltungsrichter zur Urteilsfindung zurück. Gewöhnlich schickt das Gericht die Entscheidung in Asylverfahren den Beteiligten schriftlich zu. Bis zu fünf Monate können dabei vergehen. In Rabieis Fall dauert es zehn Minuten: Der Klage wird stattgegeben. Der ablehnende Bescheid des BAMFs ist unwirksam. Der Kurde erhält nun einen Flüchtlingsstatus, eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre und kann dann einen Antrag auf Einbürgerung stellen.
Die vorgebrachten Gründe für die mögliche Verfolgung aus politischen oder religiösen Folgen hätten allein nicht ausgereicht, macht der Richter deutlich. Sein Blick schweift über die zahlreichen Journalisten im Saal. Die "Publizität" des Klägers sei ausschlaggebend gewesen. Vom Tag des Messerangriffs bis zur Klage gegen den Asylbescheid war Chia Rabiei national und international in den Medien immer wieder präsent gewesen. Seine ablehnenden Haltung gegenüber dem herrschenden Regime im Iran sei dadurch öffentlich bekannt geworden.
Klage um Anerkennung des Asyls stattgegeben: Ausführliche Urteilsbegründung folgt
"Wenn der Messervorfall nicht gewesen wäre, hätte ich die Klage abgewiesen", sagt Müller. "Nicht der Vorteil, weil Sie ein guter Mensch sind", sondern die Tatsache, dass dem Asylsuchenden kein Nachteil aus den Folgen des Messerangriffs entstehen dürfe, habe zu der Entscheidung geführt. Eine ausführliche schriftliche Urteilsbegründung folge.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Das BAMF kann beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof einen Antrag auf Zulassung der Berufung stellen.
Chia Rabiei war die Erleichterung nach dem Urteil anzusehen. "Ich froh, dass ich in Deutschland bleiben darf", sagte er und bedanke sich bei allen, die ihm geholfen hatten.
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"Eine BAMF-Sachbearbeiterin hatte zuvor gesagt, das Bundesamt halte an seinem Beschluss fest."
Super Urteil!
Ich wünsche Herrn Rabiei alles Gute für seine Zukunft hier in Deutschland!
Allerdings muss ich auch hinzufügen, dass Herr Rabiei mit Herrn Khalaf einen wirklich erstklassigen Anwalt an seiner Seite gehabt hat, so wie Herr Khalaf vor Gericht agiert, dass ist schon wirklich (erstklassig) bemerkenswert!
Glückwunsch und alles Gute für eine gute Zunft für Herrn Chia Rabiei.
Es geht dabei darum, ob jemand zurecht Asyl beanspruchen kann.
Abgeschoben werden von den Abgelehnten ja wohl nur sehr wenige.
Ein Bleiberecht das sicherlich nicht dem Willen des Volkes entsprach.