Ständiges Husten. Das Ringen um Luft. Die Angst, nicht richtig atmen zu können. Genau das, was viele Menschen an Covid-19 fürchten, ist für Sarah Veit Alltag. Die 29-Jährige hat Mukoviszidose. Eine seltene Stoffwechselerkrankung, für die es keine Heilung gibt. "Als Corona aufkam und ich von den Symptomen gehört habe, dachte ich mir: Ach, da lebe ich quasi schon mein ganzes Leben mit Corona", sagt Sarah Veit.
Sie lacht am Telefon, hustet kurz. Ja, als Lungenkranke sei sie Risikopatientin für das Virus, Panik habe sie deshalb aber keine. Im Gegenteil. Momentan, mitten in der Pandemie, gehe es ihr so gut wie lange nicht. Der Grund: ein neues Medikament.
Das Präparat "Kaftrio" bestehe aus mehreren Einzelsubstanzen und sei im August vergangenen Jahres von der europäischen Arzneimittelbehörde zugelassen worden, sagt Professor Helge Hebestreit, stellvertretender Direktor der Uni-Kinderklinik in Würzburg und Leiter des Zentrums für Seltene Erkrankungen sowie des Christiane Herzog-Zentrums für Mukoviszidose Unterfranken. Geeignet sei "Kaftrio" für eine Mehrheit der Mukoviszidose-Patienten über zwölf Jahren. Und es zeige bei den meisten Betroffenen eine "durchschlagende Wirkung" - im positiven Sinne.
Der Würzburger Spezialist betreut mit seinem Team rund 150 Mukoviszidose-Patienten in Unterfranken. Bundesweit leben etwa 8000 Menschen mit der Erkrankung, die durch einen Fehler im Erbgut entsteht. Dieser Gendefekt führt dazu, dass in vielen Organen des Körpers zähe Sekrete wichtige Leitungen verstopfen, vor allem in der Lunge und der Bauchspeicheldrüse.
Das neue Medikament könne diesen Fehler teilweise reparieren, so Hebestreit. Dadurch verbessere sich die Lungenfunktion der Patienten im Durchschnitt um rund 14 Prozent – bei manchen schwer Betroffenen verdoppele sie sich sogar.
Heute liegt die Lebenserwartung von Mukoviszidose-Patienten bei etwa 50 Jahren
Zum Beispiel bei Sarah Veit. Sie bekam die Diagnose Mukoviszidose bereits mit sechs Jahren. Der Hausarzt ihrer Familie hatte die Symptome erkannt und sie in die Würzburger Uniklinik geschickt. Dort wurde der Verdacht Gewissheit. Trotz der Erkrankung war sie als Kind viel draußen, beim Sport, vor allem im Reitstall, erzählt Veit. Bei den Pferden war sie glücklich. "Eigentlich wollte ich nach der Schule mit Tieren arbeiten, aber das ging nicht." Die Infektionsgefahr war zu hoch für ihr anfälliges Immunsystem. Also begann sie eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau.
In den vergangenen zwei Jahren jedoch wurde die Arbeit im Supermarkt immer schwieriger für Veit. Ihre Lunge baute rapide ab, im Frühjahr 2020 schaffte das Organ nur noch knapp 25 Prozent seiner eigentlichen Leistung. "Ich lief mit Sauerstoff herum und wartete auf eine Lungentransplantation", blickt die 29-Jährige, die heute in Walldürn im Neckar-Odenwald-Kreis lebt, zurück. Als sie gefragt wurde, ob sie an einer Studie zu einem neuen Medikament teilnehmen wolle, sagte sie zu. "Ich habe gedacht, schlechter kann es ja nicht mehr werden."
Die Verschlechterung mit zunehmendem Alter ist für Mukoviszidose-Patienten typisch. Früher reichte die Lebenserwartung bei der seltenen Erkrankung meist kaum über die Volljährigkeit hinaus. Heute liege sie bei etwa 50 Jahren, allerdings mit einer sehr großen Spannweite, sagt Experte Helge Hebestreit. Da spezialisierte Behandlungszentren für Erwachsene nach wie vor selten sind, werden auch volljährige Mukoviszidose-Kranke in Würzburg über die Strukturen in der Kinderklinik mit versorgt – unterstützt von Kollegen aus der "Erwachsenenmedizin". Wichtig sei, dass die Therapie konsequent durchgeführt werde, sagt Hebestreit. Auch wenn das für die Patienten oft anstrengend und zeitaufwendig ist.
Linda Keller kennt es nicht anders. Bei der 25-Jährigen aus dem Landkreis Main-Spessart war der Gendefekt schon im Alter von wenigen Monaten festgestellt worden. Heute inhaliert sie täglich, nimmt Tabletten, achtet auf ihre Ernährung, geht regelmäßig zu Kontrolluntersuchungen und zur Physiotherapie. Und sie lebt in dem Wissen, dass das Atmen für sie eben keine Selbstverständlichkeit ist. "Nur wenn ich mich wirklich schlecht fühle, von der Lunge und psychisch, dann denke ich mir: Ich weiß nicht, wie lange ich das noch durchhalte."
Sie zuckt mit den Schultern. Die Angst gehört für Linda Keller dazu, auch wenn man ihr die Krankheit auf den ersten Blick nicht ansieht. Ihr gehe es insgesamt "relativ gut", sagt Keller, die bei einem Dienstleistungsunternehmen arbeitet, in Vollzeit. Vor Corona war sie jeden Tag ganz normal im Büro.
Ihre Krankheit sollte nie Ausrede sein, nie der Grund, etwas nicht zu tun oder sich zu verstecken, sagt die 25-Jährige. Die Familie sei "immer offen damit umgegangen", und sie selbst hielt in der Schule Referate über Mukoviszidose. Auch im Heimatort "wussten es alle". Meistens seien die Reaktionen positiv gewesen. Selten nur hätten Lehrer ihre häufigen Fehlzeiten durch die Klinikbesuche kritisiert oder Mitschüler sie wegen ihrer Tabletten gehänselt.
Das Medikament "Kaftrio" verbessert die Lungenfunktion von Mukoviszidose-Patienten enorm
Linda Kellers Mutter leitet die Regionalgruppe Unterfranken im Mukoviszidose-Verein. Loslassen sei ihr, wie vielen Eltern erkrankter Kinder, schwer gefallen, erzählt ihre Tochter. "Natürlich machen sie sich immer Sorgen. Aber ich habe schon beim Schul-Skikurs gesagt: Ich will mitfahren, ich will zeigen, dass ich das alleine kann." In der Pubertät dann flog sie alleine nach Amerika. "Meine Eltern waren entsetzt." Bei der Rückkehr hätten Mutter und Vater am Gate gestanden und geweint. "Sie haben gesagt: Wir hätten nie gedacht, dass du das schaffst."
Für Linda Keller war immer klar: Sie will leben. Auch wenn ihr Lungenvolumen reduziert ist, auch wenn sie Folgeerkrankungen der Mukoviszidose spürt, auch wenn jeder Morgen mit anhaltendem Husten beginnt. Vor Corona tanzte die 25-Jährige mehrmals pro Woche - Standard- und Showtanz in der Gruppe. "Ich habe schon gemerkt, dass ich danach fertig war. Aber es hat mir Spaß gemacht."
Genau das fehlt ihr heute. Das Tanzen. Der Kontakt zu anderen. Seit März 2020 arbeitet Linda Keller im Homeoffice. Dennoch infiziert sie sich im Sommer mit einem Keim und muss ins Krankenhaus. Die Lungenwerte werden schlechter. Im Oktober entscheidet sich die 25-Jährige, das neue Medikament auszuprobieren. In den ersten drei Wochen spürt sie starke Nebenwirkungen. Mittlerweile aber "geht es mir so gut wie gefühlt nie".
Auch Sarah Veit geht es besser. Viel besser, sagt sie. Schon kurz nach Beginn der Medikamenteneinnahme kann sie wieder im Haushalt arbeiten, "ohne Schnappatmung zu bekommen". Nach zwei Wochen beginnt sie mit "Sport in kleinem Maße", fährt mit dem Rad zu ihrem Reitstall, geht mit den Pferden spazieren "ohne dauernd anhalten zu müssen". Ihre Lungenfunktion klettert auf 40 bis 44 Prozent.
Heute schafft die 29-Jährige 20 Minuten Spazierengehen am Stück, arbeitet wieder und ist glücklich. Trotz Corona. "Ich achte auf die Hygiene, trage immer eine Maske und wasche mir oft die Hände." Ins Schneckenhaus ziehe sie sich nicht zurück. "Ich könnte auch an einer Grippe oder Lungenentzündung sterben", sagt sie nüchtern. Mitleid will sie keines. Warum auch? "Ich kann wieder alles normaler machen."
Die Tabletten wirken. Sie bekommt besser Luft als in all den Jahren zuvor. Und die Transplantation? Die ist verschoben.