„Wir wollen eigentlich gar nicht, dass ihr erwachsen werdet. Dieses Signal gibt uns das Gesundheitssystem“, sagt Stephan Kruip, der 27 Jahre lang in Unterfranken lebte, studierte und arbeitete und mittlerweile Bundesvorsitzender des gemeinnützigen Vereins „Mukoviszidose“ in Bonn ist. Der 51-Jährige leidet selbst an der unheilbaren Erbkrankheit, bei der die Lunge ständig durch zähflüssigen Schleim geschädigt wird. Der Grund für seinen Ärger: Deutschlandweit fehlen gesicherte Strukturen für die ambulante medizinische Versorgung erwachsener Mukoviszidose-Patienten.
„Die Erwachsenenversorgung krankt an zwei Dingen“, bestätigt Professor Dr. Helge Hebestreit vom Christiane Herzog-Zentrum für Mukoviszidose Unterfranken. Zum einen sei sie mit Ausnahme einzelner Zentren nicht finanziert, zum anderen gebe es nicht genügend Mediziner, die sich mit der Behandlung der Erwachsenen, die an der seltenen Erbkrankheit leiden, auskennen.
Mehr als 3000 der rund 8000 Mukoviszidose-Patienten in Deutschland sind volljährig
Dabei sind mittlerweile mehr als 3 000 der rund 8 000 Mukoviszidose-Patienten in Deutschland volljährig. Viele von ihnen werden weiter in Kinderkliniken behandelt. So auch am Universitätsklinikum in Erlangen. Dort ist die Situation jetzt eskaliert. Der Zulassungsausschuss Ärzte Mittelfranken hat der Erlanger Lösung ein Ende bereitet. Diese bestand darin, ihre 72 erwachsenen Patienten still und heimlich weiter nach SPZ (Sozialpädiatrisches Zentrum)-Entgelten kostendeckend abzurechnen: mit rund 600 Euro pro Quartal und Patient. Damit ist seit Juli Schluss.
Die Innere Medizin des Erlanger Krankenhauses kann keine neuen Patienten mehr aufnehmen, weil die Behandlung dort mit rund 185 Euro nicht ausreichend vergütet wird. „Wir haben keinen Geldsack im Keller, auch wir müssen kostendeckend arbeiten“, sagt der Ärztliche Direktor des Universitätsklinikums Erlangen, Prof. Dr. Heinrich Iro. Allein in diesem Jahr zahle sein Haus 150 000 Euro für die Behandlung der volljährig gewordenen Patienten drauf.
Im November gingen Ärzte, Therapeuten und Pflegekräfte gemeinsam mit ihren Patienten auf die Straße, um gegen den Sparkurs zu demonstrieren. Die Klinik versprach, eine „Rumpfversorgung“ für die Betroffenen aufrecht zu erhalten. Im Februar soll es eine Anhörung beim Zulassungsausschuss geben.
Das Würzburger Zentrum kann die Erlanger Patienten nicht aufnehmen
„Bei uns haben auch schon Patienten aus Erlangen angefragt“, sagt Professor Helge Hebestreit vom unterfränkischen Mukoviszidose-Zentrum. „Doch wir haben nicht die Kapazitäten, um sie alle aufzunehmen.“ Würzburg habe ein sinnvolles Konzept, fügt er hinzu. „Die Erwachsenen gehen bei uns nicht verloren. Allerdings zahlen auch wir pro erwachsenem Patienten mehr als 1 000 Euro jedes Jahr drauf.“
Einen einzigen Patienten zu übernehmen, bedeute, viele zusätzliche Stunden zu investieren, um den komplexen Krankheitsverlauf und die persönlichen Umstände des Patienten kennen zu lernen. Relativ gesunde Patienten kommen alle drei Monate, kränkere häufiger. Allein der Standardbesuch eines stabilen Patienten dauere mehr als eine Stunde. Neben Anamnese und Untersuchung werden die Lungenfunktion sowie die Besiedlung mit relevanten Keimen getestet, Vitaminspiegel und Entzündungswerte untersucht. Dazu kommen in regelmäßigen Abständen Röntgenbilder, Zuckertest, EKG, Herzultraschall und Ultraschall des Bauches, Ernährungsberatung, Physiotherapie und Kontakte zum psychosozialen Team. Nach einer Lungentransplantion folgen Reha und intravenöse Therapien.
Sandro Cocchiarella kommt aus Aschaffenburg und ist Mukoviszidosepatient in der Würzburger Ambulanz. Er bekam 2012 in Hannover eine neue Lunge transplantiert. Der 28-Jährige sagt: „Die Mukoviszidose-Zentren sind deshalb so wichtig, weil man als Patient in regelmäßigen Abständen zur Kontrolle dort ist und der Krankheitsverlauf permanent überwacht und dokumentiert wird. In einem Notfall kann schnell und gezielt eine Therapie erfolgen.
“ Die gleiche Versorgung könne ein Hausarzt niemals leisten, da sowohl das Fachwissen, die Kapazitäten als auch spezielle medizinische Geräte fehlen. Er fühle sich im Würzburger Zentrum sehr gut aufgehoben.
Pendeln ist für schwer Kranke „mit riesigen Ängsten verbunden“ (Winfried Klümpen)
„Eine Situation, die schwer Kranke dazu zwingt, von Erlangen nach Würzburg oder München zu pendeln, kann dazu führen, dass Leute früher sterben. Das ist mit riesigen Ängsten verbunden“, warnt Winfried Klümpen, Mitglied der Geschäftsführung des Mukoviszidose-Vereins. Bereits vor zehn Jahren errechnete die Organisation, dass eine Pauschale von 500 Euro pro Quartal notwendig wäre, um den besonderen medizinischen Bedarf eines Mukoviszidose-Patienten zu decken und dass die gesetzlichen Krankenkassen den Kliniken nur 52 Prozent der ambulanten Behandlungskosten vergüteten. Der Rest wurde über Querfinanzierung und Spendengelder gedeckt. Viel hat sich seither nicht verändert. „Alle haben viel Verständnis, sind tief betroffen, aber es passiert wenig“, sagt Klümpen.
„Wir freuen uns, dass es immer mehr Erwachsene gibt, aber die Strukturen und die Finanzierung im Gesundheitssystem haben nicht standgehalten“, sagt Hebestreit. Eine fehlende Spezialversorgung bestehe bei fast alle seltenen Erkrankungen, beispielsweise auch für Sarkoidose (Erkrankung des Bindegewebes) oder bestimmte rheumatische Krankheiten. Immer dann, wenn volljährige Patienten in Spezialambulanzen betreut werden müssen, gebe es bislang keine flächendeckende Lösung. Mukoviszidose sei nur ein Beispiel von vielen. In Bayern gibt es für Kinder, die an Mukoviszidose erkrankt sind, vier zertifizierte Einrichtungen, für Erwachsene dagegen nur zwei.
Lebenserwartung der Patienten steigt seit Jahren
Dabei steigt die Lebenserwartung der Patienten gerade dank der präventiven Betreuung. „Es gibt immer noch Kinder, die an Mukoviszidose sterben, aber es gibt auch 70-Jährige. Viele Betroffene ergreifen einen Beruf und gründen eine Familie - ohne dass wir bisher die magische Pille hätten, die sie komplett gesund macht“, sagt Hebestreit. Wurden Erkrankte 1980 durchschnittlich 20 Jahre alt, lag ihre Lebenserwartung 2012 im Mittel schon bei 40 Jahren.
Dabei scheint es nicht einmal am Geld, sondern am System zu scheitern. Einige neue Medikamente kosten bis zu 200 000 Euro pro Jahr und Patient. Diese Arzneimittel werden zu 100 Prozent von den Krankenkassen getragen. Der finanzielle Aufwand, die Patienten in ambulanten Zentren zu betreuen, mache gerade einmal 0,9 Prozent der Medikamentenkosten aus, hat der Mukoviszidose-Verein errechnet. „Diese 0,9 Prozent nicht zu investieren, ist absurd“, urteilt Stephan Kruip.
Hilfe für Mukoviszidose-Patienten in Unterfranken
Im Christiane Herzog-Zentrum für Mukoviszidose in Würzburg werden circa 65 Erwachsene und 60 Kinder aus Unterfranken und weit darüber hinaus betreut. Auch hier werden die Erwachsenen in der Kinderklinik mitbehandelt; die Betreuung wird allerdings von drei Erwachsenenmedizinern, Fachärzte für Pneumologie, unterstützt.
Die Arbeit des Teams, bestehend aus Ärzten, Diätassistenten, Physiotherapeuten, Sozialpädagogen und Kinderkrankenschwestern, wird von der Regionalgruppe Würzburg/Schweinfurt des Mukoviszidose-Vereins sowie durch private Spenden und Vereine in der Region bezuschusst.
Die psychosoziale Beratungsstelle für Mukoviszidose-Patienten und ihre Angehörigen in der Nähe der Universitätskinderklinik in Würzburg bietet darüber hinaus „einen Teil der Unterstützung, die man sich für ein Erwachsenenzentrum wünschen würde“, sagt Winfried Klümpen, Sprecher der Geschäftsführung beim Mukoviszidose-Verein. akl