Das erste Telefonat ist kurz und dann ist alles geritzt: Einen freien Termin in der Würzburger Bahnhofsmission? Hat Helmut Fries im hauseigenen Wochenplan schon ausgewählt. Einen Überblick der wichtigsten Gesprächspunkte? Hätte er gerne im Voraus. Angefertigte Bilder? Würde er gerne vor Veröffentlichung einsehen. Den fertigen Text? Darf er vor Veröffentlichung nicht einsehen. "Das dachte ich mir", sagt Fries. Dann folgt gemeinsames Gelächter und der Termin steht.
Helmut Fries war fast 20 Jahre lang bei der Bahnhofsmission beschäftigt – als Helfer im Betrieb und als Vorsitzender des zugehörigen Fördervereins. Rund eine Million Euro an Spenden hat er in dieser Zeit gemeinsam mit seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern gesammelt. Seit Mitte letzten Jahres ist Helmut Fries nicht mehr Vorsitzender des Fördervereins. Er ist aus Altersgründen ausgeschieden.
Was treibt den Mann an, der sich jahrelang so effizient für die Ärmsten dieser Gesellschaft eingesetzt hat? Und was hat es mit der Kunst der Verführung auf sich, die er selbst ins Gespräch bringt? Höchste Zeit für einen Blick in Fries' Vergangenheit und in die Zukunft der Bahnhofsmission.
Viele Ehrungen für den ehemaligen Mitarbeiter der Würzburger Bahnhofsmission
Vieles wurde zuletzt über den 81-Jährigen mitgeteilt. "Helmut Fries ist ein fabelhafter Netzwerker, Organisator, hervorragender Redenschreiber, Erzähler und liebenswerter Menschenfreund", schrieb Michael Lindner-Jung, Leiter der Würzburger Bahnhofsmission, anlässlich Fries' Abschied im Juli. "Helmut Fries ist die gute Seele des Bahnhofs", sagte Oberbürgermeister Christian Schuchardt, als er Fries kürzlich den Tanzenden Schäfer, eine Auszeichnung der Stadt Würzburg, überreichte.
Ruth Belzner, Leiterin der Würzburger Telefonseelsorge, bei der Fries bis 2020 ebenfalls aktiv war, sagt: "Wenn ich ihn beim Telefonieren gehört habe, ging mir immer das Herz auf." Klientinnen und Klienten habe er mit einer "wärmenden Klarheit" betreut und sich nicht gescheut, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen.
Die Erfahrungen der Nachkriegszeit in Würzburg trieben Helmut Fries an
Bereits in den vergangenen Jahren war Fries geehrt worden. "Es macht mich stolz, so besondere Menschen in unserer Gemeinde zu wissen", sagte Alexander Knahn, Bürgermeister von Fries' Heimatgemeinde Höchberg, als dieser ihm für seine Arbeit im Jahr 2021 die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland überreichte.
Woher nimmt Fries die Energie für sein Engagement? "Ich habe intensiv die Nachkriegszeit erlebt", sagt er. Um ihn herum habe damals Armut, Tod und Angst geherrscht. In ihm habe dieser Kontrollverlust das starke Bedürfnis nach Gemeinschaft ausgelöst. Und mit seinem Schaffen habe er andere vor derlei Erfahrungen bewahren wollen.
Und so wurde der studierte Pädagoge zunächst Teil des Bildungswesen: Er war bis 2004 Rektor der Hauger-Schule, davor Lehrer und Konrektor an der Goethe-Volksschule und Ausbilder an der Universität Würzburg. Als die Hauger-Schule geschlossen wurde, ging Fries in den Vorruhestand, aber das Nichtstun lag ihm nicht.
So wurden zwei Hauptakteure der Würzburger Bahnhofsmission Freunde
Und da kam sein heutiger Freund Michael Lindner-Jung ins Spiel. Ein intensives Bewerbungsgespräch habe er 2004 beim Leiter der Bahnhofsmission vor seiner Tätigkeit durchlaufen, sagt Fries. Dabei sei es etwa um die Frage gegangen, ob er denn überhaupt die nötigen Ressourcen mitbringe.
"Hier geht es um die Menschen, die sonst niemand bei sich haben will", sagt dazu Michael Linder-Jung. Im Jahr 2004 habe die Bahnhofsmission massive finanzielle Probleme gehabt und sollte zu einer Beratungsstelle ohne betreuenden Charakter umgebaut werden. "Wir wissen nicht mehr weiter", habe er sich Helmut Fries damals anvertraut.
Gemeinsam hätten sie dann die Idee eines Fördervereins entwickelt. "Wir haben uns immer wieder gegenseitig aufgebaut und sind Freunde geworden", sagt Lindner-Jung. Doch wie haben die beiden es nun geschafft, in knapp 20 Jahren eine Million Euro an Spenden zu sammeln, mit der unter anderem der 24-Stunden Hilfsdienst der Bahnhofsmission finanziert werden konnte?
Durch "Verführung" hat Helmut Fries die Spendenbereitschaft in Würzburg maximiert
Bei dieser Frage blitzt es schelmisch im Gesicht von Helmut Fries. Er sagt: "Ich bin ein ehrgeiziger Mensch." Die "Verführung" von Menschen liege ihm und er könne deren Wünsche gut lesen. Einigen wohlhabenden Menschen ginge es darum, Gutes zu tun. Andere wollten gerne in der Würzburger Gesellschaft bekannt werden. Wieder andere wüssten nicht wohin mit ihrem Geld. Er habe stets für alle die richtige Ansprache gehabt und es so geschafft, deren Spendenbereitschaft zu maximieren.
Helfer, Seelsorger und Stratege mit Blick auf das große Ganze: Letzterer Charakterzug findet sich auch in einer Chronik, die Fries im vergangenen Jahr vollendet hat. "Die Bahnhofsmission Würzburg ist ein Seismograph gesellschaftlicher Entwicklungen und Erschütterungen", schreibt er darin. "Wenn unsere Mitarbeiter flexibel und kompetent auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren sollen, dann brauchen sie Beratung, Fortbildung und Supervision."
Die Herausforderungen seien für die Klientinnen und Klienten der Bahnhofsmission spürbar größer geworden, sagt Fries. Zwei Projekte hätten sich jedoch als zukunftsweisend herausgestellt: Der hauseigene Nachtdienst, der etwa für Frauen in Notsituationen 24 Stunden am Tag zur Verfügung steht. Und das "Mutmachter"-Projekt, in dessen Rahmen psychosozial geschultes Personal Klientinnen und Klienten der Bahnhofsmission als eine Art Coach individuell unterstützen. Beide Projekte seien ohne die Arbeit des Fördervereins nicht finanzierbar.
Am Ende steht der Verführer dort, wo er oft stand: In der Stube der Bahnhofsmission
Der Besuch in der Bahnhofsmission neigt sich dem Ende. Was noch fehlt ist ein Foto. Routiniert will der selbsternannte Verführer Helmut Fries sich vor ein Marketing-Plakat stellen, doch der Fotograf und der Reporter meinen, das werde ihm nicht gerecht.
Also geht es herab in die Stube der Bahnhofsmission. Zwei Männer mittleren Alters sitzen dort und spielen Karten. Im Eck sitzt eine Frau und dreht sich Zigaretten. Etwas verloren steht Helmut Fries hinter dem Tresen und fragt, was er denn nun machen solle. Was er hier denn in den letzten 20 Jahren getan habe, will der Reporter wissen. "Ich habe Essen ausgegeben", sagt Helmut Fries.
Also öffnet er für das Foto bedächtig eine der großen Plastikboxen und holt eine Stulle hervor. "Das Brot sieht gut aus", sagt der Reporter. "Ja hier ist es gut", sagt die Frau in der Ecke.
Die Würzburger Bahnhofsmission
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Stichwort: Lebensmittel für Bedürftige